Grün ist das Leben. Wolfgang Bendick
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Grün ist das Leben - Wolfgang Bendick страница 4
Außer dem Bauern arbeite seine Frau vollzeitig auf dem Hof. Der erwachsene Sohn machte eine Gärtnerlehre auf einem Betrieb in der Nähe. Er war aber selten zu Hause. Die Tochter wohnte in der Schweiz. Zum Glück gab es viele Kunden, die aus Freude an der Landarbeit, aus sportlichen Gründen oder als Status-Symbol öfters mithalfen. Unser Bauer jammerte oft genug, dass der Nahrungsmittelanbau es den Bauern heutzutage nicht mehr ermöglichte zu leben und dass er sich bald gezwungen sähe aufzuhören. Das brachte viele Kunden dazu, ihre Dienste anzubieten. Manchmal kamen sie scharenweise, und im Nu war ein Acker unkrautfrei. Auch waren wir nicht die einzigen jungen Leute, die eine ‚Praktikantenstelle‘ suchten. Fast jede Woche stellten sich neue vor, langhaarig wie wir, deren erste Erfahrungen mit der Landwirtschaft bisher bestimmt in der Aussaat ihrer Hanfkörner bestanden hatten, und die nun die Grundlagen der biologischen Landwirtschaft erlernen wollten. Es war wie eine Welle, wie eine Modebewegung, zurück aufs Land zu gehen! Viele von unserer Generation hatten vom Stadtleben genug oder suchten nach einer neuen, bewussteren Lebensweise. Die meisten hatten bei einem gemeinsamen Joint den Ruf der Natur gespürt. Sie alle kannten Tolkiens Bücher ‚Der Herr der Ringe‘ und die anderen. Der Beruf des Bauern, der vor einer Generation noch als unedel, als primitiv verachtet worden war, stand plötzlich als die ideale Lebensweise da, und der Bauer, bisher eher als Tölpel karikiert, wurde zum Vorbild einer neuen Generation…
Wir und unsere Freunde waren unpolitisch. Von den Politikern fühlten wir uns verraten. Erst als die ‚Grünen‘ auftauchten, gingen wir wieder wählen. Wir merkten in der Natur eine Änderung. Nicht nur, dass der Wald durch den sauren Industrieregen starb. Wissenschaftler hatten das Ozonloch entdeckt und trotz Verbot der Treibgase in Sprühdosen würde die Zerstörung der Erde weitergehen! Der ‚Club of Rome‘, ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern, hatte mit seinem Report über die Grenzen des Wachstums für ein leichtes, kurzzeitiges Interesse der Menschen an der Zukunft unseres Planeten gesorgt. Jedem von uns war klar, dass ein dauerhaftes Umdenken nötig war! Doch bald wurden die Warner wieder, gleich uns, als Spinner abgetan, und der Raubbau der Rohstoffe und die Verschmutzung der Luft, der Erde und der Meere ging weiter. Wir lasen das Buch ‚Der stumme Frühling‘ und ‚Ein Planet wird geplündert‘. Wir gaben die Bücher weiter, so wie die Zeugen Jehovas den ‚Wachturm‘ weitergaben. Doch die meisten nahmen uns nicht ernst, versuchten eher noch uns von unserer Lebensweise abzubringen. „Die Technik ist vielleicht schuld an einer Verschmutzung, doch nur die Technik kann diese auch wieder beseitigen. Und der Mensch hat sich bisher durch Mutationen angepasst, warum sollte er es nicht auch in Zukunft?“ Dem stimmten wir in gewisser Weise zu. Doch wären alle sozialen Ungerechtigkeiten und Umweltprobleme gelöst, würde dem Menschen durch Mutation das Gen der Habgier genommen werden!
In Bodenseenähe gab es genügend Menschen, die sich zur Anthroposophie bekannten oder zumindest dieser Geistesrichtung nahestanden und ihre Kinder auf die Waldorfschulen schickten. Das waren natürlich oft bessergestellte Leute, die es sich leisten konnten, auch ein Pferd zu haben oder höhere Preise für manchmal unansehnliches Gemüse zu zahlen. Sie kamen meist nach einem Ausritt bei uns vorbei, um ein Schwätzchen zu halten oder zu warten, bis der Hofladen aufmachte. Dann standen Mercedes und Porsche im Hof und es roch an allen Ecken nach Pferd. Unsere Bauern kümmerten sich um diese Kundschaft, wir zogen die Einfachheit der Feldarbeit vor. Am Freitagabend glich der Platz vor dem Verkaufsraum, je mehr sich die Tage längten und sich das Angebot vergrößerte, immer mehr einem bunten Kaleidoskop von Gemüse und Früchten. Diese glänzten nass vom Waschen und waren sorgfältig aufgeschichtet. Freitagabend war hier der Treffpunkt all derer, die nach bewusster Ernährung strebten. Kinder rannten umher oder knabberten eine (gekaufte) Möhre, während die Mütter Gemüse abwiegen ließen und den neuesten Nachrichten aus der anthroposophischen Welt lauschten. Männer sah man selten.
Der Samstags-Markt war der Höhepunkt der Arbeitswoche. Doch das war Angelegenheit der Bauern. Wir halfen nur, das Auto und den Anhänger zu beladen, meist spät in der Nacht, wenn die Kunden gegangen waren oder die Feldarbeit endlich zuende war. Und wir luden auch wieder ab, am Samstagnachmittag, während die Bauern ihr Mittagsschläfchen hielten. Wir sortierten den ganzen Blätterkram durch und legten noch Brauchbares wieder säuberlich in Kisten oder schnitten es neu zurecht, das Restliche war für die Schweine oder für den Kompost. Klar, dass wir den „Rücklauf“ nochmals sortierten, sozusagen in eine vierte Kategorie, nämlich in das, was wir essen wollten. Das war zwar gegen die Abmachungen, doch sahen wir wirklich keinen Grund, die Schweine damit zu mästen und selbst am Hungertuch zu nagen!
KOMPOST
Eigentlich war der Kompost der wahre Mittelpunkt dieser Landwirtschaft. Nicht, dass dort alles nur hingeworfen wurde, nein, es wurde abgelegt! Mit Erde überstreut, mit Mist bedeckt oder vermischt. Die Fruchtbarkeit ist das Wichtigste in der Landwirtschaft. Ohne Fruchtbarkeit kein Leben! Das hatten schon die allerersten Bauern erkannt und nach ihnen wieder diejenigen, die an der Gründung der biologisch-dynamischen Landwirtschaft beteiligt waren: Deshalb hatten sie für ihren Kreis den Namen Demeter gewählt, den Namen der germanischen Fruchtbarkeitsgöttin!
Unser Bauer besaß einen mit Torf gefüllten Holzkasten, an den er uns, zumindest zu Anfang, nicht ranließ und der wie von einem Geheimnis umgeben schien. Waren wir noch nicht weit genug auf unserem geistigen Weg vorangeschritten, oder fürchtete er nur, sich lächerlich zu machen, wenn er ihn uns erklärte? Jedenfalls rief er mich eines Tages auf die Seite, und wir machten uns daran, mit Grabgabeln und Kartoffelgabeln den Komposthaufen umzuschichten und mit verrottetem Mist und etwas Erde zu vermischen. Unweit stand jener besagte Holzkasten. Je tiefer wir vordrangen, umso mehr war der Kompost und auch der Mist von Regenwürmern durchsetzt. Faustgroße Klumpen von verknoteter Wurmmasse, welche sich leicht ringelte, kamen zum Vorschein. Mir kam der Titel des biologischen Bauernblattes, das wir aus Interesse und aus Pflicht lasen, in Erinnerung: ‚Lebendige Erde‘! „Es sind die Regenwürmer, die die Humusschicht unserer Erde geschaffen haben!“, bekam ich zu hören. Und das wurde mir jetzt auch spontan klar! „Sie fressen sich durch Sand und Pflanzenreste. Ihr Kot ist der kostbarste Boden, den man sich vorstellen kann! Er ist ein Nährstoffkonzentrat und es reicht, ihn in geringen Mengen auszubringen oder mit der Erde zu vermischen, um den Boden zu beleben und zu verbessern!“, erklärte er mir. Er klaubte eines der sich windenden Knäuel auf und legte es mir auf die Handfläche. Anfangs ekelte es mich ein wenig, doch dann war ich fasziniert und schaute es genauer an. Kleine, dünne Würmchen schlängelten sich umeinander, diese wiederum umgeben von dicken, die sich aus dem Knäuel entfernten und zur Erde ‚abseilten‘. Manche hatten an verschiedenen Stellen Verdickungen am Rumpf. „Regenwürmer atmen mit der Haut. Sie sind Zwitter“, erklärte er mir weiter, „sie sind zweigeschlechtlich. Sie könnten sich selber begatten, ziehen aber die Paarung vor. Die Fortpflanzung ist sehr kompliziert. Sie tauschen bei der Paarung Samenzellen aus, die erst später befruchtet werden. Dazu bilden sie einen Ring um ihren Körper, den sie dann samt den befruchteten Eiern als Kokon abstreifen. Ein Wurm kann bis zu acht Jahre alt werden!“ Ich legte vorsichtig das Knäul auf den geschichteten Haufen zurück.
Als wir den ganzen Haufen mit dem Mist vermischt und umgeschichtet hatten, holte mein Bauer die Kiste. In ihrem Torfbett befanden sich fünf große, verschraubbare Gläser, angeordnet wie die Fünf eines Würfels. „Oben rechts befindet sich ein Eichenrinde-Präparat, im nächsten Löwenzahn, unten links Kamille und darüber Schafgabe. Im mittleren Glas ist Brennnessel. Jeweils zu einem Präparat verarbeitet. Wie das gemacht wird, erkläre ich dir ein anderes Mal! Reich mir mal den spitzen Holzpflock rüber!“ Ich gab ihm das, was ich für einen zu kurz geratenen Zaunpfahl gehalten hatte. Er kletterte vorsichtig auf den Haufen und stach damit fünf tiefe Löcher in die weiche Masse. Er trug mir auf, aus dem Boden, wo vorher der Kompost gelegen hatte, fünf faustgroße Klumpen zu formen und in jeden mit dem Finger ein Loch bis zur Mitte zu bohren. Dann reichte ich ihm eines der Gläser nach dem anderen. Er schraubte das erste auf und warf mit einem darin befindlichen Holzspatel etwas vom Inhalt in das Loch der ersten Kugel und drückte es zu. Dann versenkte er sie im Loch des Komposthaufens,