Zärtlich ist die Nacht. F. Scott Fitzgerald
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Читать онлайн книгу Zärtlich ist die Nacht - F. Scott Fitzgerald страница 8
»Wie steht's mit deinem Plan für Amerika?« fragte Dick leichthin. »Wir wollten nach New York gehen und eine mit allen Schikanen ausgerüstete Anstalt für Billionäre gründen.«
»Das war Studentengeschwätz.«
Dick speiste mit Franz, seiner jungen Frau und einem kleinen Hund, der nach verbranntem Gummi roch, in ihrem Häuschen am Rande des Parks. Er fühlte sich irgendwie niedergedrückt, nicht durch die Atmosphäre maßvoller Einschränkung, auch nicht durch Frau Gregorovius – mit ihr hatte er im voraus gerechnet –, sondern durch die plötzliche Einengung des Horizonts, mit der sich Franz anscheinend abgefunden hatte. Für ihn zeichneten sich die Grenzen der Askese anders ab – er konnte sie als Mittel zum Zweck ansehen, ja als ruhmvollen Zweck in sich, aber es fiel ihm schwer, sich vorzustellen, daß man sein Dasein absichtlich auf den Zuschnitt eines ererbten Anzuges einengen konnte. Den häuslichen Gesten Franzens und seiner Frau fehlte es an Anmut und Temperament, wenn sie sich in beengtem Raum bewegten. Die Nachkriegsmonate in Frankreich und die Abwicklungen, bei denen man mit amerikanischer Großzügigkeit mit Geld um sich warf, hatten Dicks Lebensauffassung beeinflußt. Auch hatten Männer und Frauen viel von ihm hergemacht, und vielleicht war, was ihn zum Mittelpunkt der großen Schweizer Uhr zurückgebracht hatte, die intuitive Erkenntnis, daß dies einem ernsthaften Mann nicht eben gut bekam.
Er erreichte, daß Käthe Gregorovius sich bezaubernd vorkam, während ihn der alles durchdringende Blumenkohlgeruch zunehmend beunruhigte. Gleichzeitig verabscheute er sich wegen dieses ersten Stadiums einer ihm bis dahin unbekannten Oberflächlichkeit.
»Mein Gott, bin ich letzten Endes doch wie die anderen?« fragte er sich in Gedanken, als er des Nachts nicht schlafen konnte. »Bin ich wie die anderen?«
Da war unzureichendes Material für einen Sozialisten, aber gutes Material für einen von der Sorte, die auf der Welt die ungewöhnlichsten Aufgaben zu erfüllen hat. In Wahrheit durchlebte er seit einigen Monaten die Trennung vom Land der Jugend, in der es sich entscheidet, ob es sich für etwas zu sterben lohnt, woran man nicht mehr glaubt. In den toten, fahlen Stunden in Zürich, wenn er über eine aufflammende Straßenlaterne hinweg in eine fremde Vorratskammer starrte, pflegte er den Vorsatz zu fassen, gut zu sein, gütig zu sein, tapfer und weise zu sein, aber es war alles sehr schwierig. Er wollte auch geliebt werden, wenn er dazu Zeit finden würde.
V
Die Veranda des Mittelgebäudes erhielt ihr Licht aus den offenen französischen Fenstern, ausgenommen dort, wo die schwarzen Schatten kahler Wände und die phantastischen Schatten von Eisenstühlen unmerklich in ein Gladiolenbeet hinabglitten. Unter den Gestalten, die zwischen den Zimmern hin und her huschten, war Fräulein Warren zunächst nur hin und wieder sichtbar, um dann, als sie Dick bemerkte, völlig in Erscheinung zu treten. Als sie die Schwelle der Glastür überschritt, fing ihr Gesicht den letzten Lichtschein aus dem Zimmer auf und trug ihn mit sich nach draußen. Sie bewegte sich nach einem Rhythmus – diese ganze Woche klang ihr ein Singen im Ohr, Sommergesänge von feurigen Himmeln und wilden Schatten, und seit Dicks Eintreffen war das Singen so laut geworden, daß sie am liebsten eingestimmt hätte.
»Guten Tag, Captain«, sagte sie, ihre Augen mit Mühe von seinen lösend, so als wären sie fest miteinander verhaftet gewesen. »Sollen wir uns hier draußen hinsetzen?« Sie blieb stehen und ließ ihre Blicke eine Weile umherschweifen. »Der reine Sommer.«
Eine Frau war ihr gefolgt, eine untersetzte Frau mit einem Umschlagetuch, und Nicole stellte Dick vor: »Señora –«
Franz entschuldigte sich, und Dick rückte drei Stühle zusammen.
»Was für eine wunderbare Nacht«, sagte die Señora.
»Muy bella«, stimmte Nicole zu, dann zu Dick: »Bleiben Sie lange hier?«
»In Zürich bleibe ich lange, wenn Sie das meinen.«
»Dies ist wirklich die erste richtige Frühlingsnacht«, ließ sich die Señora vernehmen.
»Für immer?«
»Mindestens bis Juli.«
»Ich gehe im Juni von hier fort.«
»Der Juni ist hier ein schöner Monat«, bemerkte die Señora. »Sie sollten den Juni über hierbleiben und erst im Juli fahren, wenn es zu heiß wird.«
»Wohin gehen Sie?« fragte Dick Nicole.
»Irgendwohin, mit meiner Schwester – ich hoffe, irgendwohin, wo etwas los ist, denn ich habe ja so viel Zeit verloren. Aber vielleicht ist man der Meinung, ich sollte zunächst an einen ruhigen Ort – vielleicht Como. Warum kommen Sie nicht auch nach Como?«
»Ach, Como –«, setzte die Señora an.
Im Hause begann ein Trio, »Leichte Kavallerie« von Suppé zu spielen. Das benutzte Nicole, um aufzustehen, und der Eindruck, den ihre Jugend und Schönheit auf Dick machten, wurde immer stärker, bis ihn eine heftige Gefühlswelle durchströmte. Sie lächelte, ein rührend kindliches Lächeln, in dem die ganze verlorene Jugend der Welt lag.
»Die Musik ist zu laut, um sich dabei zu unterhalten. Ob wir nicht etwas herumgehen? Buenas noches, Señora.«
»Gutt Nacht – gutt Nacht.«
Sie gingen zwei Stufen hinab auf den Weg – der im Schatten lag. Sie nahm Dicks Arm.
»Ich habe ein paar Grammophonplatten, die mir meine Schwester aus Amerika geschickt hat«, sagte sie. »Wenn Sie das nächstemal herkommen, werde ich sie Ihnen vorspielen – ich weiß eine Stelle, wo man das Grammophon hinstellen kann, und wo es niemand hört.«
»Fein.«
»Kennen Sie ›Hindostan‹?« fragte sie ernst. »Ich hatte es noch nie gehört, aber es gefällt mir. Dann habe ich noch ›Why do they call them babies?‹ und ›I'm glad I can make you cry‹. Wahrscheinlich haben Sie in Paris nach all diesen Melodien getanzt.«
»Ich war gar nicht in Paris.«
Ihr kremfarbenes Kleid, das beim Gehen manchmal blau und manchmal grau schimmerte, und ihr sehr blondes Haar verwirrten Dick – jedesmal, wenn er sich ihr zuwandte, lächelte sie ein wenig, und ihr Gesicht leuchtete auf wie ein Engelsantlitz, wenn sie in den Bereich einer Bogenlampe kamen. Sie bedankte sich für alles bei ihm, fast, als habe er sie auf eine Gesellschaft mitgenommen, und während Dick allmählich die Übersicht über seine Beziehung zu ihr verlor, wuchs ihre Zuversicht – sie befand sich in einem Zustand der Erregung, der die Erregung der ganzen Welt widerzuspiegeln schien.
»Man läßt mir hier jegliche Freiheit«, sagte sie. »Ich werde Ihnen zwei hübsche Lieder vorspielen: ›Wait till the cows come home‹ und ›Good-bye, Alexander‹.«
Das nächstemal, eine Woche darauf, verspätete er sich, und Nicole erwartete ihn an einer Stelle des Weges, an der er, wenn er von Franzens Hause kam, vorbeikommen mußte. Ihr Haar, über den Ohren zurückgestrichen, fiel so auf ihre Schultern hinab, daß es aussah, als sei ihr Gesicht gerade aus ihm zum Vorschein gekommen, als sei dies genau der Augenblick, in dem sie aus einem Wald in klaren Mondenschein heraustrat. Das Unbekannte hatte sie hervorgebracht: Dick wünschte, sie hätte keine Bindungen, sie wäre weiter nichts als ein verlorenes