Wären wir bloß Jäger und Sammler geblieben. Rolf W. Meyer
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Auszug aus dem Interview mit Prof. Dr. Gerd-Christian Weniger: [20]
„Erst in den vergangenen 10 000 Jahren lohnte es sich für die Menschen, stärker gegeneinander zu konkurrieren, als sie ihr Jäger- und Sammlerdasein aufgaben, Ackerbau betrieben und sesshaft wurden. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Sehr viel. Denn damit änderten sich die Lebensbedingungen grundlegend. Solange wir als Jäger und Sammler herumstreiften, machte es überhaupt keinen Sinn, Jagdbeute und andere Güter anzuhäufen. Denn alles, was nicht direkt verzehrt werden konnte, musste mitgeschleppt werden und behinderte die Gruppe. Erst für sesshafte Menschen wird es interessant, Ressourcen anderer zu okkupieren, auch mit Gewalt. Das ist mit einem hohen Risiko verbunden, dem Risiko, getötet zu werden. Jetzt kann es sich lohnen, dieses Risiko einzugehen, eine benachbarte Gruppe zu überfallen und deren Ernte, Herden oder Frauen zu rauben.“
Der folgende Vergleich des Zeitalters der frühzeitlichen Jäger und Sammler mit dem gegenwärtigen, digitalen Zeitalter erfolgt unter verhaltensbiologischen, sozialen und ökologischen Gesichtspunkten. [21]
Im Zeitalter der Jäger und Sammler / Im digitalen Zeitalter:
Das Leben der frühzeitlichen Jäger und Sammler spielte sich in einer natürlichen Umwelt ab. / Zunehmende Verstädterung (Urbanisierung); Schaffung multimedialer Computerwelten („Computerlandschaften“); zum Teil kein unmittelbarer Bezug mehr zur natürlichen Umwelt durch Freizeitparks und Unterhaltungselektronik
Zusammenleben in kleinen und damit überschaubaren Gruppen als Jäger und Sammler. Die soziale Kontrolle erfolgt über persönliche Bekanntschaften und über direkte Bereinigung von Konflikten. Soziales Leben in Form von Familienverbänden. / Große, für den Einzelnen nicht mehr überschaubare Sozialverbände („Mega-Verbände“) in Form politischer Verbände („Territorialstaaten“); Tendenz zur Auflösung von Familienverbänden; „Patchfamilies“; Zunahme des Single-Daseins. In den Wohlstandsgesellschaften wohnen die meisten Menschen nebeneinander und nicht mehr miteinander.
Jäger- und Sammlerverbände wiesen eine charismatische Herrschaft auf. / Heutzutage ist Bürokratie das Gegenteil von Charisma.
Soziale Intelligenz bei Jägern und Sammlern im Hinblick auf die Entwicklung von Strategien zum gemeinsamen Überleben / Soziale Intelligenz zeigt sich in Krisensituationen. Verstärkte Zunahme des Individualismus in Form egoistischen Verhaltens innerhalb der Großgesellschaften
Hochentwickelte Fähigkeiten zur Kooperation / Hochentwickelte Fähigkeit zur Kooperation auf technischer Ebene in Krisensituationen und in Situationen, die das nationale Interesse betreffen.
Fähigkeit, stabile und verlässliche Beziehungen einzugehen / Soziales Leben ist ohne staatliche Institutionen nicht möglich („sozialer Regulations- und Versorgungsstaat“).
Bereitschaft und Fähigkeit zur Beilegung von Konflikten / Konfliktbereitschaft stark ausgebildet; Lösung von persönlichen Problemen mit Hilfe von staatlichen Institutionen; verminderte Bereitschaft zu Kompromissen und zur Konfliktlösung. Verhandlungen zur Konfliktlösung in vielen Fällen nur über Rechtsanwälte
Frühzeitmenschen mussten sich anstrengen, um ihre Triebe („Bereitschaft zu einem bestimmten Verhalten) zu befriedigen / Die zur Triebbefriedigung erforderlichen Aktivitätspotenziale werden heutzutage in der Regel gar nicht oder zu wenig eingesetzt. Erzeugung von Glücksempfinden ohne persönliche Investition, totale Glücksanforderung in der Gesellschaft.
Direkte Kommunikation zwischen Sozialpartnern / Computer als Ersatz für Sozialpartner
Aushandeln von Kompromissen / Bildung von Zweckallianzen
Austausch und Gegenleistung / Gründung von Kartellen zum gegenseitigen Nutzen
Wenn-Dann-Abwägungen; Rücksichtsnahme; Absprachen / Egoistische Versuchung wird immer größer, Normen und Kooperationsabmachungen zu brechen
Ausrichten von Strategien zum Überleben gegenüber wechselnden Umweltbedingungen / Denken ist im politischen Handeln durch Kurzzeitstrategien geprägt, obwohl Langzeitstrategien erforderlich wären für das wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Überleben.
Reziproker Altruismus („Selbstlosigkeit“) im Hinblick auf Handelsbeziehungen / Egoismus, sekundärer Altruismus. In vielen menschlichen Organisationen (Vereine, Verbände, politische Parteien, wissenschaftliche Vereinigungen) findet man ein oligarchisches Verhalten vor (Oligarchie: „Herrschaft von wenigen“), praktiziert wird reziproker Altruismus.
Hierarchisches Muster ist nie ganz statisch gewesen. Im Hinblick auf die Rangordnung stand eine charismatische und pragmatisch erfolgreiche Persönlichkeit an der Führungsspitze. / Durch formale Regeln beeinflusste Hierarchiemuster (Bürokratien, Militär, strenge betriebliche Organisation, gesetzliche Regelungen); Herausbildung und Umgang mit globalen Hierarchiestrukturen
Kosten-Nutzen-Relation in der Regel günstig / Kosten-Nutzen-Relation in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens außerordentlich ungünstig auf Grund unwirtschaftlichen Denkens und Handelns
Ein weiterer Vergleich soll unser Interesse wecken, nämlich die soziale Situation für Kinder im heutigen Deutschland und für Kinder in der Steinzeit, dargestellt an ausgewählten Beispielen:
In Deutschland stellen Kinder mit 16% Anteil an der Bevölkerung eine Randgruppe dar. [22] In der Gruppe eines steinzeitlichen Sozialverbandes betrug der Anteil an Kindern im Durchschnitt 40%.
In drei Viertel der deutschen Haushalte leben nur 1 – 2 Personen, 20% der deutschen Kinder leben mit nur einem Elternteil. Als Mitglieder einer Großfamilie fanden Steinzeitkinder dort Geborgenheit.
Stillzeit für den jetztzeitlichen Nachwuchs in Deutschland beträgt in der Regel 7 Monate. Die Stillzeit für den steinzeitlichen Nachwuchs beträgt in der Regel 3 Jahre. Dies lässt sich auch bei heute noch lebenden indigenen („einheimischen“) Völkern beobachten.
Fett und Zucker werden von deutschen Kindern zu häufig konsumiert. Jedes 5. Kind ist übergewichtig. 50% der deutschen Kinder bekommen keine warme Mahlzeit. Die Ernährung für Steinzeitkinder richtete sich nach den Jahreszeiten. Im Winter war Hunger möglich.
Kindliche Freizeitbetätigungen in Deutschland: Fernsehen, Smartphone-Nutzung, Hausaufgaben, Kontakte zum Freundeskreis, unterstützt durch direkte oder durch indirekte Kommunikation mit Hilfe digitaler Technik. Steinzeitkinder: Viel Bewegung im Freien und intensiver Sozialkontakt innerhalb der Großfamilie; eingebunden in die mobile Lebensweise der Jäger und Sammler.
Schon gewusst?
Die anatomisch modernen Menschen, die als Jäger und Sammler aus Afrika kommend vor etwa 40.000 Jahren beginnend über den Balkan und zuvor über den Fernen Orient nach Europa kamen, waren dunkelhäutig und blauäugig gewesen. Diese europäische Urbevölkerung mischte sich später mit Einwanderern aus dem Vorderen Orient, die hellhäutig und braunäugig waren. Noch vor 6.000 Jahren waren die Menschen in Europa dunkelhäutig. Erst im Neolithikum („Jungsteinzeit“) hat sich allmählich (auf Grund von Mutationen und als Folge von genetischen Vermischungen) die Hellhäutigkeit herausgebildet. [23]
Wissenswert
Sozialverbände