Nesthäkchen und der Weltkrieg. Else Ury

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Nesthäkchen und der Weltkrieg - Else Ury страница 10

Автор:
Серия:
Издательство:
Nesthäkchen und der Weltkrieg - Else Ury

Скачать книгу

die Enkelkinder in Abwesenheit der Eltern sehr ernst nahm, entschloß sich, an den Arzt, dem Vertreter ihres Schwiegersohnes, zu telephonieren und ihn zu bitten, möglichst noch am selben Abend nach dem Kinde zu sehen.

      Der Arzt kam denn auch und wurde von der Großmama an Annemaries Bett geführt, denn das kleine Mädchen war bereits schlafen gegangen. Da versteckte sich ein tränenüberströmtes Gesichtchen in den Kissen.

      »Herr Doktor, das Kind ist bestimmt krank, sicherlich hat es irgendwo Schmerzen. Warum sollte es denn sonst weinen! Es ist solch ein heiteres, kleines Mädel.« Die Großmama war ganz blaß vor Aufregung.

      »Das wollen wir gleich feststellen. Na, nun sage mir mal, wo es dir weh tut, mein Kind.« Nesthäkchen, das Zeit ihres Lebens gewöhnt war, nur vom Vater behandelt zu werden, wenn es krank war, schüttelte den Blondkopf. Es schämte sich, daß der fremde Herr Doktor sah, daß es geweint hatte.

      Der begann inzwischen eingehend zu untersuchen. Aber soviel er auch klopfte, horchte und befühlte, er konnte beim besten Willen nichts finden. Das kleine Mädchen war kerngesund.

      »Welche Anzeichen haben Sie denn für die Krankheit, gnädige Frau?«

      »Das Kind wollte nicht essen und hat geweint.«

      »Hat sie gefiebert oder sich übergeben?«

      Großmama schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht der Fall gewesen.

      »Ich rate, die Kleine jedenfalls morgen im Bett zu lassen, vielleicht entwickelt sich irgendeine Kinderkrankheit. Leichte Kost, dreimal täglich Temperatur messen und vor Erkältung in acht nehmen«, verordnete der Arzt.

      Das wurde Nesthäkchen aber nun doch zu bunt. Im Bett sollte sie bleiben, wo sie ganz gesund war! Nicht zur Strickstunde zu ihrem lieben Fräulein Hering gehen? Jawoll, daß Margot und ihre anderen Freundinnen mit ihrem Strumpf früher fertig wurden als sie! Und morgen sollte ja auch Fräulein kommen, die sie von der Bahn abholen wollte. Da sollte sie im Bett liegen? Nein, lieber besiegte sie ihre Scheu und sagte, weshalb sie geweint hatte.

      »Ich bin ja nicht ein bißchen krank, Herr Doktor, ich hab' ja bloß nicht gegessen, weil – weil –« nun stockte Annemarie doch.

      »Na, weshalb denn, mein Kind?« half der Arzt ihr aufmunternd ein.

      »Weil – weil meine Mutti in England hungern muß und nicht mal Wasser und Brot hat«, kam es plötzlich wieder jämmerlich schluchzend heraus.

      »Woher weißt du denn das, Herzchen, ist denn Nachricht gekommen?« Nun mußte die arme Großmama sich wieder um die ferne Tochter aufregen.

      »Nee – Klaus hat es gesagt.«

      Großmama atmete erleichtert auf.

      »Klaus ist ein dummer Junge, daß er dir so etwas vorredet, und du bist ein ebenso dummes, kleines Mädchen, es zu glauben. Entschuldigen Sie vielmals, Herr Doktor, daß ich Sie bei Ihrer vielen Arbeit umsonst herbemüht habe«, der alten Dame war die Sache recht peinlich.

      Aber der Arzt beruhigte sie lachend.

      »Ich freue mich, daß es umsonst gewesen ist, und daß das Töchterchen meines lieben Kollegen ganz gesund ist. Nun mache dir nur weiter keine Sorgen um die Mutter, mein Kind. So arg behandeln die Engländer Damen doch nicht, selbst wenn sie einer feindlichen Nation angehören. Grüße deinen Vater, wenn du an ihn schreibst, und sollte dir dein Bruder Klaus wieder mal derartiges erzählen, dann glaube ihm nur die Hälfte davon.« Der nette Herr Doktor nickte ihr noch einmal freundlich zu und verabschiedete sich von der Großmama.

      So wurde Annemaries Strumpf am nächsten Tage fertig. Zwar fand Marianne, daß er mehr für Elefantenbeine als für Soldatenfüße geeignet wäre, aber die war sicher nur neidisch, daß sie noch nicht so weit war.

      Annemarie aber stand gegen Abend mit Klaus auf dem Bahnhof, um ihr liebes Fräulein, das so viele Jahre für sie gesorgt, zu empfangen.

      Fräulein kannte Nesthäkchen kaum wieder. Nein, war das Mädel in dem einen Jahr gewachsen, es war ja nicht viel kleiner als sie selbst. Und kräftig und rosig war das damals so blasse Dingelchen geworden, eine wahre Freude.

      Aber zu Hause hatte Fräulein noch viel mehr Gelegenheit, über die Veränderung zu staunen, die mit Doktors Nesthäkchen vorgegangen. Wie ordentlich es im Kinderzimmer aussah, in dem Fräulein immer hatte nachräumen müssen. Und die Schubladen und Schränke, die Fräulein gleich ansehen mußte, waren ebenfalls schön aufgeräumt. Natürlich hatte Annemarie zum Empfang Großreinemachen in den nicht immer so schön aussehenden Kästen abgehalten.

      Aber auch zum Haustöchterchen hatte sich Nesthäkchen in den letzten Wochen herausgebildet. Großmama war schon alt, die sollte nicht viel tun. Und die Hanne sorgte wohl für Essen und Trinken, aber daß ein Tisch hübscher aussah, wenn eine Blumenvase darauf stand, das wußte sie nicht. Annemarie aber hatte das im Kinderheim gelernt. Auch die Fußbank brachte sie für die Großmama herbei und fegte nach dem Essen die Krümel von dem Tisch, ohne daß man es sie erst hieß.

      Noch eins fiel dem zurückkehrenden Fräulein erfreulicherweise auf – das gute Einvernehmen mit Bruder Klaus. Der große Weltkrieg hatte den Krieg, der stets früher in der Kinderstube zwischen den beiden getobt, ganz beendet. Frieden herrschte mitten im Kriege bei Doktor Brauns Sprößlingen.

      Am erstaunlichsten aber war Fräulein, als Annemarie ihr voll Künstlerstolz ihren ersten, selbstgestrickten Strumpf zeigte. Soviel Ausdauer hatte sie dem Wildfang niemals zugetraut. Ja, was der Krieg alles zuwege brachte!

      »Wenn ich den zweiten Strumpf fertig habe, dann häkele ich Ohrenklappen für unsere Soldaten, und Leibbinden stricken wir und Kopfschützer. Wir haben nämlich gar keine Schule, Fräulein, bloß Handarbeit bei Fräulein Hering, weil aus unserer Schule ein Lazarett gemacht ist. Und die Großen haben eine Verpflegungsabteilung eingerichtet. Beim Herrn Direktor kochen sie Suppen, und da schmieren und belegen sie auch Stullen für die Soldaten. Und mein Taschengeld, Fräulein, das tue ich alles in unsere Büchse fürs Rote Kreuz. Margot, Ilse und ich, wir sind zu Vertrauensschülerinnen von unserer Klasse gewählt worden, wir sammeln immer alles Geld ein. Und auch Speck und Wurst und Wolle: Großmama und Hanne haben mir auch schon eine Menge geschenkt.«

      »Ei, Annemiechen, da muß ich wohl auch etwas stiften«, das gute Fräulein holte aus ihrem Koffer sogleich mehrere Pakete Strickwolle, die sie der beglückten Annemarie für ihre Sammlung überreichte.

      »Danke – danke tausendmal, mein geliebtes, goldenes Fräulein. Nun habe ich bloß noch eine einzige Bitte, aber die kann ich nur ins Ohr sagen.«

      »Was mag denn das bloß sein?«

      »Ich möchte so schrecklich gern wie früher ›du‹ zu Ihnen sagen, Fräulein«, flüsterte Nesthäkchen.

      »Aber das ist doch ganz selbstverständlich, Annemie«, lachte Fräulein. Sie hatte es noch gar nicht gemerkt, daß die Kleine eine direkte Anrede bisher vermieden hatte.

      Nun erst war Annemaries Freude über Fräuleins Rückkunft ohne jede Einschränkung, denn es hatte ihr doch viel Kopfzerbrechen gemacht, ob Fräulein das vertrauliche Du von früher auch nicht übelnehmen würde. Jetzt würde ihr des Abends auch nicht mehr nach Mutti so bange sein, da Fräulein bei ihr im Zimmer schlief.

      Eigentlich waren alle im Hause recht froh über Fräuleins Wiederkehr. Großmama fühlte ein Teil der schweren Verantwortung für die Kinder schwinden, und Hanne dachte: »Wenn die

Скачать книгу