Franz Kafka: Gesammelte Werke. Franz Kafka
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Nach vier Uhr früh trat ein wenig Ruhe ein, aber Karl brauchte sie auch schon dringend. Er lehnte schwer am Geländer neben seinem Aufzug, aß langsam den Apfel, aus dem schon nach dem ersten Biß ein starker Duft strömte, und sah in einen Lichtschacht hinunter, der von den großen Fenstern der Vorratskammern umgeben war, hinter denen hängende Massen von Bananen im Dunkel gerade noch schimmerten.
- Der Fall Robinson
Da klopfte ihm jemand auf die Schulter. Karl, der natürlich dachte, es wäre ein Gast, steckte den Apfel eiligst in die Tasche und eilte, kaum daß er den Mann ansah, zum Aufzug hin.
»Guten Abend, Herr Roßmann«, sagte nun aber der Mann »ich bin es, Robinson.«
»Sie haben sich aber verändert!« sagte Karl und schüttelte den Kopf.
»Ja, es geht mir gut«, sagte Robinson und sah an seiner Kleidung hinunter, die vielleicht aus ziemlich feinen Stücken bestand, aber so zusammengewürfelt war, daß sie geradezu schäbig aussah. Das Auffallendste war eine offenbar zum erstenmal getragene weiße Weste mit vier kleinen, schwarz eingefaßten Täschchen, auf die Robinson auch durch Vorstrecken der Brust aufmerksam zu machen suchte.
»Sie haben teuere Kleider«, sagte Karl und dachte flüchtig an sein schönes einfaches Kleid, in dem er sogar neben Renell hätte bestehen können und das die zwei schlechten Freunde verkauft hatten.
»Ja«, sagte Robinson, »ich kaufe mir fast jeden Tag irgend etwas. Wie gefällt Ihnen die Weste?«
»Ganz gut«, sagte Karl.
»Es sind aber keine wirklichen Taschen, das ist nur so gemacht«, sagte Robinson und faßte Karl bei der Hand, damit sich dieser selbst davon überzeuge. Aber Karl wich zurück, denn aus Robinsons Mund kam ein unerträglicher Branntweingeruch.
»Sie trinken wieder viel«, sagte Karl und stand schon wieder am Geländer.
»Nein«, sagte Robinson, »nicht viel«, und fügte im Widerspruch zu seiner früheren Zufriedenheit hinzu: »Was hat der Mensch sonst auf der Welt.« Eine Fahrt unterbrach das Gespräch, und kaum war Karl wieder unten, erfolgte ein telephonischer Anruf, laut dessen Karl den Hotelarzt holen sollte, da eine Dame im siebenten Stockwerk einen Ohnmachtsanfall erlitten hatte. Während dieses Weges hoffte Karl im geheimen, daß Robinson sich inzwischen entfernt haben werde, denn er wollte nicht mit ihm gesehen werden und, in Gedanken an Theresens Warnung, auch von Delamarche nichts hören. Aber Robinson wartete noch in der steifen Haltung eines Vollgetrunkenen, und gerade ging ein höherer Hotelbeamter in schwarzem Gehrock und Zylinderhut vorüber, glücklicherweise ohne Robinson, wie es schien, besonders zu beachten.
»Wollen Sie, Roßmann, nicht einmal zu uns kommen, wir haben es jetzt sehr fein«, sagte Robinson und sah Karl lockend an.
»Laden Sie mich ein oder Delamarche?« fragte Karl.
»Ich und Delamarche. Wir sind darin einig«, sagte Robinson.
»Dann sage ich Ihnen und bitte Sie, Delamarche das gleiche auszurichten: Unser Abschied war, wenn das nicht schon an und für sich klar gewesen sein sollte, ein endgültiger. Sie beide haben mir mehr Leid getan als irgend jemand. Haben Sie sich vielleicht in den Kopf gesetzt, mich auch weiterhin nicht in Ruhe zu lassen?«
»Wir sind doch Ihre Kameraden«, sagte Robinson, und widerliche Tränen der Trunkenheit stiegen ihm in die Augen. »Delamarche läßt Ihnen sagen, daß er Sie für alles Frühere entschädigen will. Wir wohnen jetzt mit Brunelda zusammen, einer herrlichen Sängerin.« Und im Anschluß daran wollte er gerade ein Lied in hohen Tönen singen, wenn ihn nicht Karl noch rechtzeitig angezischt hätte: »Schweigen Sie, aber augenblicklich; wissen Sie denn nicht, wo Sie sind!«
»Roßmann«, sagte Robinson, nun rücksichtlich des Singens eingeschüchtert »ich bin doch Ihr Kamerad, sagen Sie, was Sie wollen. Und nun haben Sie hier eine so schöne Position, könnten Sie mir einiges Geld überlassen?«
»Sie vertrinken es ja bloß wieder«, sagte Karl, »da sehe ich in Ihrer Tasche sogar irgendeine Branntweinflasche, aus der Sie gewiß, während ich weg war, getrunken haben, denn anfangs waren Sie ja noch ziemlich bei Sinnen.«
»Das ist nur zur Stärkung, wenn ich auf einem Wege bin«, sagte Robinson entschuldigend.
»Ich will Sie ja nicht mehr bessern«, sagte Karl.
»Aber das Geld!« sagte Robinson mit aufgerissenen Augen.
»Sie haben wohl von Delamarche den Auftrag bekommen, Geld mitzubringen. Gut, ich gebe Ihnen Geld, aber nur unter der Bedingung, daß Sie sofort von hier fortgehen und niemals mehr mich hier besuchen. Wenn Sie mir etwas mitteilen wollen, schreiben Sie an mich. Karl Roßmann, Liftjunge, Hotel Occidental, genügt als Adresse. Aber hier dürfen Sie, das wiederhole ich, mich nicht mehr besuchen. Hier bin ich im Dienst und habe keine Zeit für Besuche. Wollen Sie also das Geld unter dieser Bedingung?« fragte Karl und griff in die Westentaschen, denn er war entschlossen, das Trinkgeld der heutigen Nacht zu opfern. Robinson nickte bloß zu der Frage und atmete schwer. Karl deutete das unrichtig und fragte nochmals: »Ja oder nein?«
Da winkte ihn Robinson zu sich heran und flüsterte unter Schlingbewegungen, die schon ganz deutlich waren: »Roßmann, mir ist sehr schlecht.«
»Zum Teufel«, entfuhr es Karl, und mit beiden Händen schleppte er ihn zum Geländer. Und schon ergoß es sich aus Robinsons Mund in die Tiefe. Hilflos strich er in den Pausen, die ihm seine Übelkeit ließ, blindlings zu Karl hin.
»Sie sind wirklich ein guter Junge«, sagte er dann, oder: »Es hört schon auf«, was aber noch lange nicht richtig war, oder: »Die Hunde, was haben sie mir dort für ein Zeug eingegossen!« Karl hielt es vor Unruhe und Ekel bei ihm nicht mehr aus und begann auf und ab zu gehen. Hier, im Winkel neben dem Aufzug, war ja Robinson