Charles Dickens. Charles Dickens
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Читать онлайн книгу Charles Dickens - Charles Dickens страница 10
»Wohin, Sir?«
»Wohin? Nun dahin, wohin du eben gehst.«
»Ich gehe sehr gern hin, Sir.«
»Nun also! Mach doch ein freundliches Gesicht!«
Der Herr kam mir höchst sonderbar vor; wenigstens was ich von ihm sehen konnte, war sehr merkwürdig. Bis ans Kinn eingehüllt, verschwand sein Gesicht fast unter einer Pelzmütze mit breiten Pelzohrklappen. Ich hatte mich wieder gefaßt und fürchtete mich nicht mehr vor ihm. Ich sagte ihm, ich hätte wegen des Todes meiner Patin geweint, und weil Mrs. Rachael der Abschied von mir so leicht geworden sei.
»Der Kuckuck soll Mrs. Rachael holen!« brummte der Herr. »Soll sie beim nächsten Sturmwind auf einem Besenstiel wegfliegen!«
Ich fing jetzt an, mich doch wieder vor ihm zu fürchten, und betrachtete ihn mit größter Verwunderung. Aber er hatte freundliche Augen, wenn er auch fortfuhr, ärgerlich vor sich hinzubrummen und auf Mrs. Rachael zu schimpfen.
Nach einer kleinen Weile öffnete er seine oberste Hülle, die groß genug zu sein schien, um die ganze Kutsche damit zu bedecken, und fuhr mit dem Arm tief in seine Seitentasche.
»Da schau einmal!« sagte er. »In diesem Papier ist ein Stück von der besten Pflaumentorte, die für Geld zu haben ist – mit einem Zuckerüberguß, zolldick wie Fett auf einer Hammelkeule. Hier ist ein Pastetchen, ein Juwel an Größe und Beschaffenheit, aus Frankreich. Und woraus glaubst du wohl, ist es gemacht? Aus Leber von fetten Gänsen! Das ist eine Pastete! Wollen mal sehen, wie sie dir schmeckt.«
»Ich danke Ihnen bestens, Sir«, gab ich zur Antwort. »Ich bin Ihnen außerordentlich verbunden, aber, – ich hoffe, Sie nehmen es nicht übel – es ist zu schwer für mich.«
»Wieder einmal abgefahren!« sagte der Gentleman – ich verstand nicht, was er damit meinte – und warf beides zum Fenster hinaus.
Er sprach kein Wort mehr mit mir, bis er kurz vor Reading die Kutsche verließ und mir sagte, ich solle ein gutes Mädchen sein und recht fleißig lernen. Dann schüttelte er mir die Hand. Ich muß gestehen, ich fühlte mich erleichtert, als er ausstieg. Wir ließen ihn an einem Meilenstein zurück. Oft später ging ich an dieser Stelle vorüber und mußte dabei noch lange Zeit an ihn denken, und immer erwartete ich so halb und halb, ihn wieder dort zu treffen. Aber er erschien nie, und so verschwand er allmählich aus meiner Erinnerung.
Als der Wagen anhielt, blickte eine sehr nette Dame zum Fenster herein und sagte:
»Miß Donny.«
»Nein, Maam. Esther Summerson.«
»Ja, ja, schon richtig«, sagte die Dame, »Miß Donny.«
Ich erriet jetzt, daß sie sich unter diesem Namen vorstellte, und entschuldigte mich wegen meines Irrtums. Auf ihren Wunsch zeigte ich ihr mein Gepäck. Unter der Leitung eines sehr saubern Dienstmädchens wurden meine Koffer auf eine winzige grüne Kutsche gepackt, und dann stiegen Miß Donny, das Mädchen und ich hinein und fuhren fort.
»Alles ist für Sie bereit, Esther«, wandte sich Miß Donny an mich, »und Ihr Stundenplan ist genau nach den Wünschen Ihres Vormunds Mr. Jarndyce festgesetzt.«
»Meines – wie sagten Sie, Maam?«
»Ihres Vormunds Mr. Jarndyce.«
Ich war so verwirrt, daß Miß Donny wahrscheinlich glaubte, die Kälte sei für mich zu groß gewesen, und mir ihr Riechfläschchen anbot.
»Kennen sie Mr. Jarndyce, meinen – Vormund, Maam?« fragte ich nach ziemlich langem Zögern.
»Nicht persönlich, Esther, nur durch seine Rechtsanwälte, die Herren Kenge & Carboy in London. Ein wirklich ausgezeichneter Gentleman, der Mr. Kenge. Diese Beredsamkeit! Sein Satzbau ist wahrhaft majestätisch.«
Ich wußte vollkommen die Wahrheit dieser Bemerkung zu würdigen, war aber zu verwirrt, um zu antworten. Unsere schnelle Ankunft an unserm Bestimmungsort, ehe ich Zeit hatte, mich zu fassen, vermehrte noch meine Verwirrung, und nie werde ich vergessen, welch unwirklichen und traumhaften Eindruck an jenem Nachmittage alles in Greenleaf – Miß Donnys Haus – auf mich machte.
Aber bald lebte ich mich ein und war in Greenleafs Stundenplan bald so zu Hause, als ob ich schon lange dort gewesen wäre. Mein altes Leben bei meiner Patin kam mir wie ein Traum vor. Alles ging hier nach dem Glockenschlag. Um das ganze Zifferblatt herum hatte alles seine festgesetzte Zeit und wurde genau in dem festgesetzten Augenblick verrichtet.
Wir waren zwölf Schülerinnen, und zwei Misses Donny – Zwillinge – standen uns vor. Man setzte voraus, daß ich später von meinen Kenntnissen als Gouvernante werde leben müssen, und ich wurde nicht nur in allem unterrichtet, was man in Greenleaf lehrte, sondern mußte auch sehr bald selbst Unterricht erteilen.
Obgleich man mich in jeder andern Hinsicht wie die übrigen Schülerinnen behandelte, so machte man diesen einzigen Unterschied doch von allem Anfang an. Je mehr ich selbst lernte, desto mehr gab ich Unterricht und bekam dadurch im Lauf der Zeit sehr viel zu tun. Das machte mir große Freude, und die Mädchen gewannen mich lieb. So oft eine neue Schülerin niedergeschlagen ankam und sich unglücklich fühlte, erwählte sie mich so sicher – die Ursache weiß ich nicht – zu ihrer Freundin, daß schließlich alle neuen Ankömmlinge mir anvertraut wurden. Sie sagten, ich sei so gut gegen sie, aber eigentlich waren sie gut gegen mich. Ich dachte oft an den an meinem Geburtstag gefaßten Entschluß, fleißig, zufrieden und freundlichen Herzens zu sein. Gutes zu tun und mir Liebe zu erwerben, wo ich könnte; und wahrhaftig, ich schämte mich fast, so wenig getan und soviel gewonnen zu haben.
Ich verlebte in Greenleaf sechs glückliche stille Jahre. Dort las ich, Gott sei Dank, an meinem Geburtstag in keinem Gesicht, daß es besser gewesen, wenn ich nie geboren worden wäre. So oft der Tag erschien, brachte er mir soviel Zeichen liebreicher Aufmerksamkeit, daß mein Zimmer geschmückt war vom Neujahrstag bis zu Weihnachten.
In diesen sechs Jahren war ich nie von Hause weggewesen außer auf Besuchen in der Nachbarschaft während der Feiertage.
Nach dem Schluß des ersten halben Jahres hatte ich Miß Donny um Rat gefragt, ob es schicklich sei, an Mr. Kenge zu schreiben, daß ich glücklich und voll Dankes wäre, und verfaßte dann mit ihrer Billigung einen solchen Brief. Ich erhielt eine formelle Antwort, die mit den Worten schloß:
»Wir notierten den Inhalt Ihres Geschätzten, den wir seinerzeit unserm Klienten mitzuteilen nicht verabsäumen werden.«
Hie und da hörte ich Miß Donny und ihre Schwester davon sprechen wie regelmäßig meine Rechnungen bezahlt würden, und ungefähr zweimal des Jahres wagte ich einen ähnlichen Brief zu schreiben. Ich empfing stets umgehend genau dieselbe Antwort mit derselben Kanzlistenschrift, unterschrieben »Kenge & Carboy« von einer andern Hand, von der ich annahm, sie müßte Mr. Kenges Handschrift sein.
Es kommt mir so seltsam vor, daß ich alles dieses von mir erzähle, als ob diese Geschichte die Geschichte meines Lebens wäre! Aber mein unbedeutendes Ich wird jetzt bald in den Hintergrund treten.
Sechs stille Jahre verlebte ich in Greenleaf, wie ich schon sagte, und wuchs mit meinen Freundinnen auf, als ich an einem Novembermorgen folgenden Brief empfing:
»Old Square