Die verborgenen Geheimnisse. Marc Lindner

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Die verborgenen Geheimnisse - Marc Lindner Das Verborgene

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viele“, bestätigte Hönnlin. „Aber frag mich nicht wie viele.“

      „Aber“, wunderte sich Clara, „es gibt doch schon unterschiedliche Sprachen und alle die ich kenne haben die gleiche Schrift. Wie kann das sein?“

      „Nun die Schrift ist wohl an vielen Orten gleichzeitig entwickelt worden und deshalb gibt es in vielen Regionen unterschiedliche Schriften. Bei uns hat sich wohl für viele Länder nur eine Schrift behaupten können.“ So recht wusste Hönnlin hierauf auch keine Antwort.

      „Aber es ist schon schwer genug eine andere Sprache zu lernen. Wie soll das gehen, wenn man auch noch eine andere Schrift lernen muss?“, versuchte Clara sich die Mühe vorzustellen. „Können sie das lesen?“

      „Ja, aber es fällt mir schwer. Aber nur so kann man ganz neue Dinge lernen.“

      „Was für Dinge?“, wollte Clara wissen.

      „Andere Kulturen, andere Vorstellungen aber auch Erfindungen in Medizin oder in der Kunst des Bauens.“

      Clara machte große Augen und blickte Hönnlin sprachlos an.

      „Aber warum haben sie die hier versteckt?“, fragte Clara nach einer Weile, als Hönnlin dabei war sie einzupacken. „Im Kloster wären sie doch viel besser geschützt und da könnte jeder sie lesen.“

      „Glaubst du das?“, antwortete Hönnlin mit einer Gegenfrage.

      Die Frage machte Clara nachdenklich und so antwortete sie nicht gleich darauf.

      „Ich habe dir etwas noch nicht gesagt, weil keiner außer dir es wissen darf.“

      Clara runzelte die Stirn während Hönnlin zum Esel ging und in einer Tasche kramte.

      „Hier habe ich noch eine Mönchskutte und ich möchte, dass du die während der Reise trägst.“

      „Wieso? Was ist an meiner Kleidung nicht gut“, fragte Clara verwundert. Aber sie wirkte keineswegs schockiert, so wie Hönnlin es erwartet hatte.

      „Hier draußen ist eine andere Welt als in einem Kloster, oder selbst in der Stadt. Hier ist es gefährlich als Mädchen herumzulaufen. Du bist weithin als einfaches Opfer erkennbar. Als zwei Mönche werden wir weniger Aufmerksamkeit auf uns ziehen.“

      Clara verstand das nicht ganz, aber sie glaubte ihm.

      „Na gut, mir gefällt die Novizinnentracht ohnehin nicht“, lachte sie und schlug sich dann die Hand auf den Mund.

      „Keine Angst, das bleibt unser Geheimnis“, lächelte Hönnlin belustigt. „Ich schätze ehrliche Meinungen.“

      Clara brannte eine Antwort auf der Zunge, aber sie wagte nicht sie auszusprechen. Aber auch so wusste er, was sie sagen wollte und konnte sie nur allzu gut verstehen.

      Hönnlin reichte ihr die Kleidung und Clara ging fort, sich umziehen. Als sie zurückkehrte hatte sie die Kapuze aufgesetzt, grinste frech und freute sich diebisch. Wahrscheinlich stellte sie sich das Gesicht der Äbtissin vor, wenn diese sie so sehen würde.

      „Wir können nun den Weg zurück zur Kreuzung gehen“, begann Hönnlin und versuchte seinerseits ein Grinsen zu unterdrücken, „oder wir gehen auf direktem Weg durch den Wald. Du entscheidest.“

      „Durch den Wald“, antwortete Clara prompt und spielte mit den ungewohnt weiten Ärmeln ihrer Kutte.

      „Du bist mir eine Novizin“, lachte nun Hönnlin und konnte sich nicht mehr halten.

      Clara versuchte eine Unschuldsmiene aufzusetzen, doch vergebens, und so fiel sie mit in sein Lachen ein. Doch aus irgend einem Grund fühlte sich das richtig an. Hönnlin war nicht so wie die anderen Mönche und erst recht nicht wie die Nonnen, die sie kannte.

      Hönnlin schlug nicht den direkten Weg ein. Stellenweise war der Wald zu dicht und so folgten sie den Pfaden von Wildschweinen und anderem Getier. Er schwor Clara darauf ein, dass sie weglaufen sollte, wenn sie ein Wildschwein mit Jungen zu sehen bekämen. Von der Abenteuerlust, die sie nun voll und ganz durchströmte, enthemmt, demonstrierte sie ihm auch gleich ihr Können, was das Klettern anbelangte.

      „Etwa so“, strahlte Clara ihm aus vier Metern Höhe entgegen.

      „Genauso!“ Hönnlin hatte die Arme in die Seite gestemmt, weil er sich in der Pflicht gesehen hatte zu protestieren, doch er brachte es nicht fertig. Sein resignierendes Kopfschütteln galt genauso viel sich selbst, wie auch Clara. „Wer hat dir das alles beigebracht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das neuerdings im Kloster lernt.“

      „Ich musste mich einige Male verstecken“, berichtete Clara mit einer Unschuldsmiene, dass Hönnlin abermals lachen musste. Nein, er war wirklich nicht mehr für das Klosterleben gemacht. Ihm fehlte der notwendige Ernst.

      „Das kann ich mir bei dir lebhaft vorstellen, wobei einige Male wohl auch anders zu nennen wäre?“

      „Manchmal bin ich auch artig“, protestierte Clara entrüstet.

      „Du meinst, dass du dich manchmal nicht hast erwischen lassen?“

      „Ist doch das Gleiche!“, stellte sich Clara beleidigt und kletterte geschickt hinab. Unten angekommen verdrehte sie die Augen und ging an Hönnlin vorbei als wollte sie nichts mehr hören.

      „Du hast mir wirklich noch gefehlt“, lachte Hönnlin.

      Clara blieb kurz stehen, grinste frech und nickte als Bestätigung bevor sie weiter ging.

      Hönnlin blieb stehen und lächelte schwermütig. „Armes Ding, was machst du in einem Kloster?“, flüsterte er zu sich selbst. Er atmete tief aus und folgte Clara, die inzwischen etliche Meter voraus war.

      Bis zum Abend hatten sie den Rand des Waldes noch nicht erreicht. Es gab für Clara viel zum Staunen und im Gegensatz zum Vormittag legten sie vermehrt Rast ein. Keiner der Beiden hatte es eilig und so sah Hönnlin es auch nicht ein, sich unter Zeitdruck zu setzen. Während Clara das Abenteuer genoss, bot es Hönnlin Gelegenheit, über das Leben nachzudenken, das er bald führen würde. Er hatte schon lange darüber nachgedacht, aber jetzt war es bald soweit. Er war sich seines Entschlusses sicher, aber es lag doch viel im Ungewissen. Und schließlich war es auch nicht so, dass das Leben, das er hinter sich ließ, ihm verhasst wäre. Er hatte viel gelernt, viele bewundernswerte Menschen kennen gelernt, von denen Einige ihn auch nicht unwesentlich geprägt hatten. Aber das Leben, das er bis eben führte, schaffte es nicht mehr ihn zu erfüllen. Stellen in ihm waren leer, während er viel Zeit damit verbringen musste, Dinge zu tun, von denen er nicht überzeugt war. Genau von diesem Ballast wollte er sich lossagen. Aber er würde auch Freunde zurücklassen. Viel Vertrautes und auch Sicherheit würde ihm verloren gehen. Es war nicht so, dass ihm dies Angst machen würde, aber es beschäftigte ihn doch, nun da es bald soweit war. Vielleicht zeigte er sich Clara auch deshalb so offen. Er löste bereits die ersten Bande und bald gab es kein Zurück mehr, denn die Worte, die er sprach, würden ihn irgendwann einholen.

      Ells Vater

      Ismar war spät dran und er wusste das. Ebenso wie er um den Ärger wusste, der ihm drohte, da er beim Abendessen nicht erschienen war. Aber zumal im Sommer vergaß er abends schnell die Zeit, weil es nicht früh dunkel wurde.

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