Die vorgespielte Gerechtigkeit. Arber Shabanaj

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die vorgespielte Gerechtigkeit - Arber Shabanaj страница 4

Die vorgespielte Gerechtigkeit - Arber Shabanaj

Скачать книгу

      Fast Tag für Tag gingen sie hin, um das neue Haus zu bestaunen, dort, wo die Maler dabei waren, den letzten Anstrich anzubringen. Hier ist das Wohnzimmer, hier die Kochnische. Zugleich ist das hier auch das Schlafzimmer. Die dritte Etage. Sehr anziehend. Im Sommer endlich mal frische Luft und sauberes Wasser, ganz ohne Fäkalien!

      Auf eine besondere Art war die einzige Tochter des Agron Iravosok fast außer sich vor Freude. Sie hatte dafür Tausende von Gründen. Doch insbesondere und vor allem wäre sie jetzt dazu in der Lage, ihre Freundinnen in einer angenehmen Umgebung zu empfangen und ihnen eine gute Gastgeberin zu sein. Nicht so wie bis heute, wo sie ihre Freundinnen selbst zu ihrem Geburtstag nicht, kein einziges Mal, hatte einladen können. So hatte sie auch ihre engste Freundin, Arberia, abgelenkt und ihr gesagt, dass sie im Juli Geburtstag hätte. Und zwar genau dann, wenn Schulferien waren und die Schulglocke die Schüler nicht mehr zusammenbrachte ...

      Wenn du sie an den Tagen gesehen hättest, während sie auf die Schlüsselübergabe für die neue Wohnung warteten. Sie arbeitete mit der Mutter zusammen, bis es sehr spät wurde. Vor lauter Schimmel und Ungeziefer konnten die bisherigen Gardinen nicht benutzt werden. Die zwei schafften es in aller Not, eine neue Gardine zu kaufen. Eine dafür geeignete Gardinenstange fanden sie im Sperrmüll. Ein freundlicher Nachbar, der finanziell deutlich besser als sie gestellt war, hatte ihnen ein Sofa als Geschenk zugesagt. Drei Gemälde kaufte Agron auf dem Flohmarkt. In der Tat, bloß ein Raum und eine Kochnische waren es, dennoch im Vergleich mit dem, wo sie bisher waren, dachten sie, sie befänden sich in einem Traum.

      So oft sie gingen, um die Wohnung zu sehen oder etwas zu messen, tanzte die Tochter fast. Und jetzt, als ob er sie zum ersten Mal sehen würde, wirkte die Tochter des Agron Iravosok noch erwachsener, noch weit offener, genauso wie die Blume, wenn sie aus dem Schatten geholt und in die Sonne gestellt wird.

      In dem bisherigen dunklen Raum, in dem sie noch nicht einmal gelacht hatte, bewegte sie sich jetzt wie ein Schmetterling. Diejenige, die so still gewesen war, mischte sich jetzt, ohne zu zögern, in Gespräche ein, auch mit der Schneiderin, auch mit den Malern.

      Doch auch Agron schien an jenen Tagen, als ob seine Zunge sich lockerte, und das merkte er selbst genauso gut, ohne dass es ihm jemand sagte. Derjenige, der acht Stunden seinen Verpflichtungen nachgegangen war, ohne einmal dabei zu irgendeiner Tätigkeit „Nein“ zu sagen. Derjenige, der so viel wie ein „Tauber“ sprach.

      Seitdem sie ihm die Bestätigung über seine neue Wohnung im Zentrum gegeben hatten, bedankte er sich regelrecht bei der Kommune und bei dem Land öffentlich und intern, sodass jemand aus der Nachbarschaft unter seinem „Säuferbart“ lächelte, als er ihn hörte und dabei Agron Iravosok als eine Marionette bezeichnete.

      Vorgestern, als er seinen Umzug mit dem Sprinter seines Bekannten erledigte, schenkte die Hausmeisterin des Asylbewerberheims ihm eine Vase mit einer Viola, die gerade blühte. Seiner Tochter sagte sie, sie solle sie auf die Fensterbank des Zimmers stellen, da auf der Bank Platz und vorzugsweise Licht genug wären. Die Hausmeisterin bat sie drei Mal darum, die Viola ans Licht zu stellen.

      Agron Iravosok sah die Ehefrau und Tochter zum ersten Mal in einer Wohnung, bisher hatte er sie in dem Raum-Knast, wo sie lebten, nur im Halbdunkeln gesehen. Regelmäßig im Lichtschatten. Heute aber ...

      Wenn alle Sachen geordnet sind, wird er sich trauen, seine Verwandten endlich nach so vielen Jahren einzuladen. Alles drehte sich in Agron Iravosoks Kopf, jetzt, wo er dort stand und darauf wartete, in das Büro des Bürgermeisters einzutreten.

      Letztendlich ging die Streitigkeit im Büro zu Ende und Agron konnte die Stimme des Bürgermeisters hören, der sagte: „Komm jetzt, stell dir vor, ich habe nichts gehört, hier eine Zigarette, bitteschön ...“

      Agron Iravosok schüttelte den Kopf. Er wollte nicht glauben, dass sich der Bürgermeister erneut auf solche derbe Beleidigungen einließ und weich und kuschelig dem anderen schließlich den Schwanz streichelte.

      Mit seiner Ehefrau hatte Agron darüber eine Nacht zuvor gesprochen. Für die Wohnung hatte der Bürgermeister von ihnen nichts verlangt, jedoch sollte man ihn nicht ganz „ohne“ lassen. Da letzten Endes die Tochter bald mit der Schule fertig sein würde, wäre das Stipendium erforderlich.

      Außerdem, auch die Menschen, als ob sie eins wären: Alle wunderten sich, wie Agron Iravosok, ein „Stück Arbeiter“ und ein Asylant, es bloß schaffte, die Wohnung in den Griff zu bekommen. Weder im Erdgeschoss noch in der fünften Etage, wo üblicherweise die älteren Menschen, Slawen und Rotationsmenschen wohnten, sondern in der dritten Etage. Und das Ganze quasi ohne ..., selbst einen Kaffee hatte er dafür nicht ausgeben müssen!

      Agron stand auf. Den Raum, in dem die Städtischen warteten, betrat der Teamleiter des Sozialamtes, Herr Slawa.

      „Guten Abend, Herr Agron!“

      „Guten Abend, Herr Slawa!“

      „Wartest du schon lange?“ [Autor ergänzt (I): Er wird zunächst mit dem Nachnamen angesprochen und dann geduzt! Das ist die wörtliche Rede des Teamleiters …]

      „Nein, eine Stunde.“

      „Na dann, gut ...“

      Slawa betrat, ohne zu klopfen, das Büro, in dem der Bürgermeister wartete, während Agron sich die Frage stellte, woher Slawa wusste, dass er von dem Bürgermeister eingeladen worden war. Egal, er hatte keinen Grund, unruhig zu werden. Slawa und den Bürgermeister sah er schließlich regelmäßig zusammen.

      Sobald Slawa eingetreten war, verließ derjenige, der sich mit dem Bürgermeister gestritten hatte, den Raum. Die Bürotür blieb offen und Agron stand auf, in der Erwartung, dass sie ihm den Eintritt anbieten würden.

      In der Tat, sie hatten ihn nicht eingeladen, mit seiner Ehefrau zusammen zu kommen, doch er dachte, es wäre sicher viel besser, zu zweit dort zu sein.

      Warum hatten sie ihn eingeladen?

      „Über wen wurde entschieden, zu der Familie Agron Iravosok geschickt zu werden?“, hörte Agron leise die Stimme des Bürgermeisters, der den Teamleiter des Sozialamtes, Herrn Slawa, fragte.

      „Sie werden Frau Korçula Nictylemann dort hinschicken ...“

      Agron Iravosok zitterte. Er zitterte und schaute seiner Frau direkt in die Augen. Doch er erlitt keinen Schock. „Keine Ahnung hat die Arme!“, sprach er einfach so mit sich selbst. Einfach so nahm er sie mit.

      „Doch Frau Korçula Nictylemann was für eine war sie?“, fragte sich Agron und hob seine Blicke hoch über den Eingang, da wo alle Porträts der eminenten Mitglieder der Reihe nach angebracht waren. Sie war die einzige Frau unter ihnen. Sehr selbstbewusst und kompetent wirkte sie. Sicherlich werden sie sie zum kommenden Fest zu Besuch bei ihm in die neue Wohnung schicken.

      „Komm, Herr Agron Iravosok, komm!“

      Agron knetete seine Mütze in der Hand zusammen. Slawa schaute ihm mit einem freundlichen Blick entgegen.

      „Hast eine Wohnung bekommen, Herr Agron?“, fragte er.

      „Jawohl, Herr Slawa.“

      „Schöne Wohnung, glaube ich.“

      „Wir hatten es sehr schlecht, Herr Slawa. Das kommt mir wie ein Traum vor. In der Tat, nur ein Raum mit Küche, doch in einem Kellerraum haben wir uns Jahre lang aufhalten müssen, im Dreck und im Dunkeln.“

      Herr

Скачать книгу