Die eiserne Ferse. Jack London

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Die eiserne Ferse - Jack London

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haben sollen?« fragte ich ihn.

      »Gewiß«, antwortete er. »Das heißt, dies ist ein persönliches Gefühl. Aber das hat nichts mit der rechtlichen Seite der Sache zu tun.«

      Er versuchte sich zu sammeln.

      »Sagen Sie, hat Recht etwas mit Gesetz zu tun?« fragte ich.

      »Sie haben einen falschen Ausdruck gebraucht«, antwortete er lächelnd.

      »Macht?« fragte ich, und er nickte. »Und doch meinen wir, durch das Gesetz immer zu unserm Recht zu kommen.«

       »Das ist eben das Paradoxe dabei«, entgegnete er. »Wir erhalten nicht Gerechtigkeit, sondern Recht.«

      »Jetzt sprechen Sie beruflich, nicht wahr?« fragte ich. Ingram errötete, errötete wirklich und warf wieder ängstliche Blicke um sich. Aber ich versperrte ihm den Weg und machte keine Anstalten, ihn freizugeben.

      »Sagen Sie mir,« fragte ich, »wenn jemand seine persönlichen Gefühle mit dem Beruflichen vermengt, gibt das dann nicht eine Art geistiger Mißgeburt?«

      Ich erhielt keine Antwort. Herr Ingram hatte unrühmlich die Flucht ergriffen, wobei er eine Palme umwarf.

      Nunmehr versuchte ich mein Heil bei den Zeitschriften. Ich schrieb einen ruhigen, zurückhaltenden, leidenschaftslosen Aufsatz über den Fall Jackson. Ich griff darin die Männer, mit denen ich gesprochen hatte, nicht an, erwähnte sie nur. Ich legte die Tatsachen dar, sprach von den langen Jahren, die Jackson in der Spinnerei gearbeitet, von der Anstrengung, die er gemacht hatte, um die Maschine vor Schaden zu bewahren, und von dem daraus folgenden Unfall, sowie von seiner jetzigen furchtbaren, bedauernswerten Lage. Weder die drei Tageszeitungen, noch die beiden Wochenblätter unserer Stadt nahmen den Aufsatz an.

      Ich wandte mich an Percy Layton. Er hatte sein Staatsexamen gemacht, war dann zum Journalismus übergegangen und verdiente sich augenblicklich seine Sporen als Reporter an der einflußreichsten der drei Zeitungen. Als ich ihn fragte, warum die Zeitungen nichts über Jackson und seinen Fall bringen wollten, lächelte er.

      »Redaktionspolitik«, sagte er. »Damit haben wir nichts zu tun. Das ist Sache der Redakteure.«

      »Was heißt Politik?« fragte ich.

      »Wir sind alle solidarisch mit den großen Unternehmungen«, erwiderte er. »Selbst wenn Sie die Anzeigegebühr bezahlen würden, könnten Sie etwas derartiges nicht in die Zeitungen bringen. Und wenn einer von uns versuchen wollte, es einzuschmuggeln, würde er seine Stellung verlieren. Sie würden es nicht hineinbringen, und wenn Sie die zehnfache Gebühr zahlten.«

      »Und wie steht es mit Ihrer eigenen Politik?« forschte ich. »Es sieht fast so aus, als hätten Sie auf Befehl ihrer Arbeitgeber, die ihrerseits wieder den Befehlen der Unternehmungen gehorchen, die Wahrheit zu verdrehen.«

      »Damit habe ich nichts zu tun.« Einen Augenblick schien ihm die Sache unbehaglich zu werden, dann aber sah er einen Ausweg, und seine Miene erhellte sich. »Und selbst schreibe ich nichts Unwahres. Ich halte mein Gewissen rein. Aber natürlich gibt es bei meinem Tagewerk viele Widerstände. Das gehört nun einmal dazu, sehen Sie«, schloß er naiv.

      »Aber Sie hoffen doch, eines Tages am Redaktionstisch zu sitzen und die Politik zu leiten.«

      »Bis dahin bin ich abgehärtet«, lautete seine Erwiderung.

      »Da Sie heute noch nicht abgehärtet sind, bitte ich Sie, mir Ihre aufrichtige Meinung über die allgemeine Redaktionspolitik zu sagen.«

      »Ich denke nicht darüber nach«, antwortete er schnell. »Man kann es sich nicht leisten, über die Stränge zu schlagen, wenn man als Journalist Erfolg haben will. Soviel habe ich jedenfalls schon gelernt.«

      Er nickte weise mit seinem jungen Kopfe.

      »Aber das Recht?« beharrte ich.

      »Sie verstehen das Spiel nicht. Alles ist natürlich recht, wenn es auf die rechte Weise gebraucht wird. Sehen Sie das nicht ein?«

      »Köstlich unklar«, murmelte ich; aber das Herz schmerzte mir um seine Jugend, und ich fühlte, daß ich es herausschreien oder in Tränen ausbrechen mußte.

       Ich fing an, die äußere Schale der Gesellschaft, in der ich lebte, zu durchschauen und die schreckliche Wirklichkeit dahinter zu entdecken. Es schien eine geheime Verschwörung gegen Jackson zu bestehen, und mir tat der jammernde Anwalt leid, der seinen Prozeß so unrühmlich geführt hatte. Und diese heimliche Verschwörung wuchs beständig. Sie richtete sich nicht gegen Jackson allein, sondern gegen jeden Arbeiter, der in der Fabrik zum Krüppel wurde. Und wenn gegen jeden Arbeiter in den Spinnereien, warum nicht auch gegen jeden in jeder andern Fabrik? Wirklich, war es nicht überall so, in der ganzen Industrie?

      Verhielt es sich aber so, dann war die Gesellschaft eine Lüge. Ich schreckte vor meinen eigenen Schlüssen zurück. Es war zu furchtbar und abscheulich, um wahr zu sein. Aber Jackson und Jacksons Arm und das Blut, das mein Kleid befleckte und von meinem eigenen Dache herabtropfte? Und es gab viele Jacksons – hunderte allein in den Spinnereien, wie Jackson selbst gesagt hatte. Ich konnte Jackson nicht entfliehen.

      Ich suchte Herrn Wickson und Herrn Pertonwaithe, die beiden Hauptaktionäre der Sierra-Spinnereien, auf. Aber sie konnte ich nicht zum Wanken bringen wie die beiden Maschinisten, die in ihren Diensten standen. Ich sah, daß ihre Moral der der übrigen Gesellschaft überlegen war. Es war eine Moral, die ich die aristokratische oder Herrenmoral Ehe Avis Everhard geboren war, schrieb John Stuart Mill in seinem Essay »Über Freiheit«: Wo auch immer es eine aufsteigende Klasse gibt, entsteht ein großer Teil der Moral aus den Interessen und dem Überlegenheitsgefühl dieser Klasse. nennen möchte.

      Sie redeten weitschweifig über Politik und identifizierten Politik und Recht. Mit mir sprachen sie väterlich, sie behandelten mich gönnerhaft mit Rücksicht auf meine Jugend und Unerfahrenheit. Sie waren die Hoffnungslosesten, die ich in meiner Sache aufgesucht hatte. Sie waren durchaus überzeugt, daß die Spinnereien richtig geleitet wurden. Darüber gab es keine Frage, keine Erörterung. Sie waren überzeugt, daß sie die Führer der Gesellschaft waren und der großen Masse das Glück brachten. Sie entwarfen ergreifende Bilder von dem Elend, das über die Arbeiter kommen mußte, wenn sie beschäftigungslos wurden, was sie allein durch ihre Weisheit verhüteten.

      Gleich nach der Begegnung mit diesen beiden Herren traf ich Ernst und berichtete ihm, was ich erfahren hatte. Er sah mich befriedigt an und sagte:

      »Wirklich ausgezeichnet! Sie beginnen auf eigene Faust nach Wahrheit zu schürfen. Es ist Ihre eigene, empirische Verallgemeinerung, und sie stimmt. Kein Mensch an der Industriemaschine ist Herr seines Handelns, außer den Großkapitalisten, und die sind es letzten Endes auch nicht. Sie sehen, die Herren sind vollkommen überzeugt, daß sie in allem, was sie tun, recht haben. Das ist der Gipfelpunkt der Absurdität in der ganzen Situation. Sie sind so tief in ihre menschliche Natur verstrickt, daß sie nichts tun können, ohne es für Recht zu halten. Sie brauchen eine Sanktion für ihr Tun.

      »Wenn sie etwas tun wollen, etwas Geschäftliches, beraten sie, bis in ihrem Hirn irgend ein religiöser oder ethischer, wissenschaftlicher oder philosophischer Begriff entsteht, der ihnen einen Rechtsstandpunkt verleiht. Und dann machen sie sich daran und wissen nicht, daß der Wunsch der Vater des Gedankens ist, eine der Schwächen der menschlichen Seele. Was sie auch tun, sie finden immer eine Sanktion dafür. Eine der angenehmsten und unumstößlichsten Fiktionen, die sie geschaffen haben, ist, daß sie der übrigen Menschheit an Weisheit

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