Planetoid 127. Edgar Wallace

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Planetoid 127 - Edgar Wallace

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      Edgar Wallace

      Planetoid 127

      Novelle

      e-book 109

      Erscheinungstermin: 01.01.2020

      © Arcanum Fantasy Verlag

      Erik Schreiber

      An der Laut 14

      64404 Bickenbach

       [email protected]

       www.arcanum-fantasy-verlag.de

      Titelbild:Giannoulas

      Vertrieb: neobooks

      1

      Chap West, der für Arbeit noch nie etwas übrig gehabt hatte, ließ die lange Stange fallen, mit der er das Boot von Bisham herüber zu dem abgelegenen Haffwasser westlich von Murley Lock gestakt hatte, und sank ächzend auf die Polster. Er war ein hochaufgeschossener junger Mann, und die große Hornbrille, die er seiner Kurzsichtigkeit wegen trug, verlieh seinem hageren Gesicht einen Anflug von Gelehrsamkeit, der in Widerspruch zu seinen Leistungen auf der Universität stand.

      Susan West machte die Augen auf, bedachte ihre Umgebung mit einem Blick und räkelte sich bequem.

      „Zünd den Kocher an und koch Tee“, murmelte sie.

      „Ich bin fertig für heut'“, brummte ihr Bruder. „Vor zehn Minuten hat's erst gepfiffen, und die ewige Kocherei geht mir auf die Nerven.“

      „Zünd den Kocher an und koch Tee“, sagte sie matt.

      Chap starrte grimmig auf die bequem hingestreckte Gestalt hinunter und richtete dann, ebenso erbost; den Blick nach vorn, wo Tim Leonard das Boot mit dem Paddel an Land steuerte.

      Tim war genauso alt wie sein Schulkamerad, aber er wirkte jünger. Er sah ausgesprochen gut aus und war Hausältester des Wohnheims gewesen, das die Ehre gehabt hatte, Chapston West zu beherbergen. Sie waren beide in Mildram Schulpräfekten gewesen, am gleichen Tag eingetreten und - nach Jahren - am gleichen Tag abgegangen.

      Tim Leonard besah sich geringschätzig das verfilzte Buschwerk und das hohe Gras.

      „Zutritt bei Strafe verboten!“ las er vor. „Klingt fast wie eine Einladung. Kannst du das Haus sehen, Chap?“

      „Nein. Das ist bestimmt die gräßlichste Bruchbude, die man sich vorstellen kann.“

      Susan, vom Anstoß des Bootes an der Uferböschung wachgerüttelt, setzte sich auf und starrte den kümmerlichen Landeplatz verblüfft an.

      „Warum fährst du nicht ein Stück weiter?“, fragte sie.

      „Hier kann man doch keinen Tee kochen, ohne -“

      „Denkst du überhaupt nur noch ans Essen, Weib?“, fragte ihr Bruder streng. „Begeistert dich denn der Gedanke nicht, daß du vor dem geheiligten Boden ankerst, auf dem der gelehrte Professor Colson, Doktor der Naturwissenschaft, Insektenforscher, Künstler auf dem Isobar und anderen musikalischen Instrumenten -“

      „Chap, du quatschst zuviel - und ich möchte gern eine Tasse Tee.“

      „Tee trinken wir beim Professor“, sagte Chap mit Entschiedenheit. „Wenn wir uns durch das Dorngestrüpp zu seinem verzauberten Palast durchgekämpft haben, wird der Tee wohl in kristallenen Gefäßen serviert, während wir auf Liegestätten aus Lapislazuli ruhen.“

      Sie betrachtete stirnrunzelnd den düsteren, unheimlichen Wald.

      „Wohnt er wirklich hier?“, fragte sie Tim.

      Er nickte. „Er wohnt wirklich hier“, sagte er. „Soviel ich weiß, jedenfalls. Er hat mir den Weg ganz genau erklärt, und wenn ich mich recht entsinne, hat er auch gesagt, daß es ein bißchen schwierig sein dürfte, das Haus zu finden. Er sagte: ›Einfach immer weiter steigen, bis ihr oben seid!‹“

      „Aber wie kommt er denn eigentlich hin?“, fragte das Mädchen verblüfft.

      „Mit dem Flugzeug“, erwiderte Chap, während er das Boot an einem großen Strauch festband. „Oder vielleicht benützt er seinen Zauberteppich. Jeder Naturwissenschaftler hat einen Vorrat davon. Oder er kommt auf einer ganz prosaischen Straße durch ein Tor hinein – es muß ja sogar in Berkshire Straßen geben.“

      Tim lachte vor sich hin.

      „Genau die Gegend, auf die der alte Colson Wert legt“, meinte er. „Du müßtest ihn kennen-lernen, Susan. Er ist ein komischer Kauz. Warum er überhaupt Vorlesungen hält, weiß ich nicht, weil er sehr viel Geld hat und jederzeit etwas anderes anfangen könnte. Ich hab' in Mildram den naturwissenschaftlichen Zweig bevorzugt, und es ist nicht einmal sein erstaunliches mathematisches Talent, das ihn so hervorhebt. Vom Schulleiter erfuhr ich, daß Colson einer der größten lebenden Astronomen ist. Aber die Geschichten, die man sich über ihn erzählt, daß er die Zukunft voraussagen kann - na ja -“

      „Und ob er das kann!“ Chap zündete den Kocher an, weil er trotz seiner schönen Hoffnungen sichergehen wollte, außerdem brauchte er nach der anstrengenden Tätigkeit eine Erfrischung.

      „Er hat genau vorher gewußt, wann der Krieg in Asien zu Ende sein wird - auf den Tag genau! Und er hat die große Explosion im Gaswerk Helwick prophezeit – er wäre beinahe noch eingesperrt worden, weil er nach Meinung der Polizei zuviel wußte. Voriges Jahr hab' ich ihn einmal gefragt, ob er wüßte, welches Pferd das Grand National gewinnen wird. Er hätte mir beinahe den Kopf heruntergerissen. Timothy Titus hätte er natürlich Bescheid gesagt, weil der Liebkind bei ihm ist.“

      Er half seiner Schwester an Land und schaute sich am Ufer um. Alles wuchs wild durcheinander, und obwohl er geduldig nach einem Pfad durch den Urwald spähte, blieben seine Bemühungen erfolglos. Ein uraltes, verwittertes Schild verkündet grimmig, daß das Land hier in Privatbesitz sei. An der Stelle, wo sie das Boot an Land gezogen hatten, war das Ufer jedoch, offenbar vor geraumer Zeit, abgesteift worden.

      „Soll ich mitkommen?“, fragte Susan, die von dem bevorstehenden Besuch nicht begeistert zu sein schien.

      „Willst du lieber hierbleiben?“, fragte Chap über die Schulter. Sie warf einen Blick auf den toten, düsteren Nebenarm mit dem brackigen Wasser und den überhängenden Weiden. Eine Bisamratte schwamm auf der unbewegten Oberfläche, und dieser Anblick gab den Ausschlag.

      „Nein. Ich komm' doch lieber mit.“

      Chap goß den Tee ein, und das Mädchen hob gerade die Tasse an die Lippen, als ihr Blick auf den Mann fiel, der sie von den Bäumen her beobachtete.

      „Was gibt's denn?“

      Tim hatte gesehen, daß sich ihr Gesichtsausdruck veränderte; er folgte der Richtung ihres Blickes und entdeckte den Beobachter ebenfalls. Der Fremde hatte ganz und gar nichts Unheimliches an sich, im Gegenteil, er machte einen ganz normalen Eindruck. Er war klein, dick, hatte ein rundes, stark gerötetes Gesicht mit einem rötlichen Schnauzbart, und seine kleinen Augen waren unverwandt auf die Besucher gerichtet.

      „Guten Tag!“, sagte Tim und ging auf den Fremden zu.

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