Der kleine Lord. Frances Hodgson Burnett

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Der kleine Lord - Frances Hodgson Burnett

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in Bewegung gesetzt hatte. Die Händchen hielt er fest geschlossen, den Oberkörper vorgebeugt und seine blonde Mähne flog um ihn her.

      »Hurra, Ced Errol!« brüllten die Jungens unter lautem Händeklatschen. »Hurra, Billy Williams! Hurra, Ceddie! Hurra, Bill! Hurra–ra–ra!«

      »Ich glaube wahrhaftig, er gewinnt!« sagte Mr. Havisham, der wirklich nicht ohne Erregung die roten Beine auf und nieder fliegen sah, denen die gar nicht zu verachtenden braunen von Billy in bedenklicher Nähe folgten. »Ich möchte wahrhaftig – ich wünsche, daß er den Sieg davonträgt,« setzte er mit einem entschuldigenden Husten hinzu.

      In diesem Augenblick erklang ein wildes, gellendes Geschrei aus den Kinderkehlen; mit einem letzten gewaltigen Satze hatte der künftige Graf Dorincourt den Laternenpfahl umfaßt, den sein keuchender Gegner erst ein paar Sekunden später erreichte.

      »Dreimal hoch, Ceddie Errol!« brüllte die kleine Schar. »Hurra, Ceddie Errol.«

      Mr. Havisham lehnte sich mit befriedigtem Lächeln in sein Wagenkissen zurück

      »Bravo, Lord Fauntleroy,« sagte er.

      Als das Coupé vor Mrs. Errols Hause hielt, kamen Sieger und Besiegter inmitten des Kinderhaufens einträchtiglich des Weges daher, und Cedrik redete eifrig auf Billy Williams ein. Sein siegesbewußtes kleines Gesicht war dunkelrot, die blonden Locken klebten an der feuchten Stirn, die Händchen steckten tief in den Taschen.

      »Siehst du,« sagte er eben, »ich glaube, daß ich gewonnen habe, weil meine Beine ein bißchen länger sind als die deinigen. Ich glaube ganz sicher, daß es daher kommt, und dann, weißt du, bin ich auch drei Tage älter als du, und das ist auch ein Vorteil. Drei Tage bin ich älter.«

      Diese Darstellung der Sachlage schien auf Billy Williams so erheiternd zu wirken, daß ihm die Welt wieder erträglich vorkam und er sogar wieder ein wenig zu schwindeln anfing, gerade als ob er die Wette gewonnen und nicht verloren hätte. Ceddie Errol bewährte auch hier wieder sein Talent, andre vergnügt zu machen i sogar im ersten Feuer des Triumphes übersah er nicht, daß dem unterliegenden Teile wohl minder fröhlich ums Herz sein möchte, und daß es dem andern ein Trost sein könnte, in äußeren Umständen die Ursache seiner Niederlage zu sehen.

      Mr. Havisham hatte an diesem Morgen noch eine lange Unterredung mit dem kleinen Sieger, in deren Verlauf er mehr als einmal lächelte und sein Kinn mit der mageren Hand rieb.

      Mrs. Errol war abgerufen worden, und Cedrik und der Advokat blieben miteinander allein; anfangs zerbrach sich Mr. Havisham ein wenig den Kopf, was er mit seinem jugendlichen Gefährten anfangen solle; es schwebte ihm dunkel vor, daß es vielleicht am besten wäre, ihn auf die Begegnung mit seinem Großvater und die ihm bevorstehende große Veränderung ein wenig vorzubereiten. Daß Cedrik von dem Leben, das ihn in England erwartete, und von seinem künftigen Daheim keinerlei Begriff hatte, war klar, sogar daß seine Mutter nicht unter einem Dache mit ihm wohnen würde, wußte er nicht; Mrs. Errol hielt es für besser, ihm diese Schreckenskunde vorläufig zu ersparen.

      Mr. Havisham saß in einem Lehnstuhle am offnen Fenster, dem gegenüber stand ein noch größerer, in welchem Cedrik saß und Mr. Havisham unverwandt anblickte. Er hatte sich ganz zurück gesetzt in dem für sein kleines Gestältchen ungeheuren Fauteuil, das lockige Köpfchen schmiegte sich in die Kissen, die Beine waren übereinander gelegt, die Hände steckten wieder tief in den Taschen und die ganze Haltung war entschieden frei nach Mr. Hobbs. Schon als seine Mama noch im Zimmer gewesen war, hatte er Mr. Havisham sehr genau beobachtet, und nachdem sie hinausgegangen war, fuhr er fort, ihn mit einer Art von Andacht anzublicken; ein Schweigen entstand, und der alte Herr und der kleine Junge schienen sich mit gegenseitigem Interesse zu studieren. Was er jedoch mit einem Jungen, der Rennen gewann, Pumphöschen trug und dessen rotbestrumpfte Beine nicht über den Stuhlsitz herunterreichten, sprechen sollte, darüber kam Mr. Havisham nicht so leicht mit sich ins reine, bis Cedrik ihm plötzlich aus der Verlegenheit half, indem er die Konversation eröffnete.

      »Ich weiß gar nicht, was ein Graf ist,« bemerkte er ernsthaft.

      »Wirklich nicht?« erwiderte Mr. Havisham.

      »Nein, und wenn man einmal einer werden muß, sollte man das doch wissen, meinen Sie nicht auch?«

      »Allerdings – gewiß,« gab Mr. Havisham zur Antwort.

      »Würden Sie nicht so gut sein und mir das auseinandersetzen?« bat Ceddie sehr respektvoll, wobei er nur einige Silben verschluckte, was ihm bei den beliebten langen Wörtern des öftern vorkam. »Wer hat ihn denn zu einem Grafen gemacht?«

      »In erster Linie ein König oder eine Königin,« sagte Mr. Havisham. »Gewöhnlich erhält er den Titel zur Belohnung für irgend einen bedeutenden Dienst, den er seinem Landesherrn leistet, oder sonst eine große That.«

      »O!« sagte Cedrik. »Das ist also wie der Präsident.«

      »Meinst du?«

      »Ja gewiß,« versicherte Ceddie freudig. »Wenn jemand sehr gut ist und sehr viel weiß, dann wird er Präsident. Dann gibt es einen Fackelzug und Musik und viele Reden. Manchmal habe ich gedacht, ich möchte wohl Präsident werden; Graf zu werden, daran habe ich nie gedacht: ich wußte ja nichts davon,« setzte er eilig hinzu, besorgt, Mr. Havisham könnte es ihm verargen.

      »Die Sache ist doch ziemlich verschieden von einer Präsidentenwahl.«

      »Weshalb?« fragte Cedrik. »Gibt es keinen Fackelzug?«

      Mr. Havisham schlug nun gleichfalls die Beine übereinander und legte mit außerordentlicher Sorgfalt die Fingerspitzen der beiden Hände aufeinander; er hielt die Zeit für gekommen, den Gegenstand etwas eingehender zu erörtern.

      »Ein Graf ist – ist eine sehr einflußreiche Persönlichkeit,« begann er.

      »O, ein Präsident auch,« siel ihm Ceddie ins Wort. »Der Fackelzug, der ist immer fünf Meilen lang und Raketen steigen und Musik spielt.«

      »Ein englischer Graf,« fuhr Mr. Havisham ziemlich unsicher fort, »gehört jedenfalls einem sehr alten Geschlechte an, denn –«

      »Was heißt das?« forschte Ceddie.

      »Er ist von alter, sehr alter Familie.«

      »Ach!« sagte Cedrik und seine kleinen Hände versanken noch tiefer in seine Taschen. »Da ist die Apfelfrau beim Park wahrscheinlich auch von sehr alter Familie. Ja, ganz gewiß ist sie von uraltem Geschlecht, denn die ist so alt, so alt, ach, Sie würden sich wundern, daß sie nur noch stehen kann, und doch sitzt sie immer draußen, sogar wenn es regnet. Sie thut mir so leid und den andern Jungen auch, einmal hat Billy Williams beinahe einen Dollar gehabt, und da habe ich ihm gesagt, er solle ihr jeden Tag um fünf Cents Aepfel abkaufen, bis sein Geld alle sei, das hätte für zwanzig Tage gereicht, aber schon nach acht Tagen kriegte er Aepfel über. Aber damals – das traf sich gut – schenkte mir ein Herr fünfzig Cents, und nun konnte ich an seiner Statt Aepfel kaufen. Es thut einem doch so leid, wenn jemand so arm ist und von so altem Geschlecht; das ihrige, sagt sie, ist ihr in die Knochen gefahren, und wenn Regenwetter ist, thun sie ihr sehr weh.«

      Mr. Havisham blickte in einiger Verlegenheit in das ernsthafte, unschuldige Gesicht seines kleinen Gegenüber.

      »Ich fürchte, du hast mich nicht ganz verstanden,« fuhr er fort. »Wenn ich von altem Geschlecht spreche, so meine ich damit nicht hohes Alter der Personen, sondern daß der Name einer solchen Familie lange bekannt ist. Vielleicht Hunderte von Jahren sind Männer, die

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