Faust I + II: Gesamtausgabe. Johann Wolfgang von Goethe

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Faust I + II: Gesamtausgabe - Johann Wolfgang von Goethe

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auf. Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken; Allein der neue Trieb erwacht, Ich eile fort, ihr ew’ges Licht zu trinken, Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht, Den Himmel über mir und unter mir die Wellen. Ein schöner Traum, indessen sie entweicht. Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht Kein körperlicher Flügel sich gesellen. Doch ist es jedem eingeboren Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt, Wenn über uns, im blauen Raum verloren, Ihr schmetternd Lied die Lerche singt; Wenn über schroffen Fichtenhöhen Der Adler ausgebreitet schwebt, Und über Flächen, über Seen Der Kranich nach der Heimat strebt.

      WAGNER. Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden, Doch solchen Trieb hab ich noch nie empfunden. Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt; Des Vogels Fittich werd ich nie beneiden. Wie anders tragen uns die Geistesfreuden Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt! Da werden Winternächte hold und schön Ein selig Leben wärmet alle Glieder, Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen, So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.

      FAUST. Du bist dir nur des einen Triebs bewußt, O lerne nie den andern kennen! Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, Die eine will sich von der andern trennen; Die eine hält, in derber Liebeslust, Sich an die Welt mit klammernden Organen; Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust Zu den Gefilden hoher Ahnen. O gibt es Geister in der Luft, Die zwischen Erd und Himmel herrschend weben So steiget nieder aus dem goldnen Duft Und führt mich weg zu neuem, buntem Leben! Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein, Und trüg er mich in fremde Länder! Mir sollt er um die köstlichsten Gewänder, Nicht feil um einen Königsmantel sein.

      WAGNER. Berufe nicht die wohlbekannte Schar, Die strömend sich im Dunstkreis überbreitet, Dem Menschen tausendfältige Gefahr, Von allen Enden her, bereitet. Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn Auf dich herbei, mit pfeilgespitzten Zungen; Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran, Und nähren sich von deinen Lungen; Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt, Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt, Um dich und Feld und Aue zu ersäufen. Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt, Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen; Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt, Und lispeln englisch, wenn sie lügen. Doch gehen wir! Ergraut ist schon die Welt, Die Luft gekühlt, der Nebel fällt! Am Abend schätzt man erst das Haus.— Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus? Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?

      FAUST. Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen?

      WAGNER. Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.

      FAUST. Betracht ihn recht! für was hältst du das Tier?

      WAGNER. Für einen Pudel, der auf seine Weise Sich auf der Spur des Herren plagt.

      FAUST. Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise Er um uns her und immer näher jagt? Und irr ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel Auf seinen Pfaden hinterdrein.

      WAGNER. Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel; Es mag bei Euch wohl Augentäuschung sein.

      FAUST. Mir scheint es, daß er magisch leise Schlingen Zu künft’gem Band um unsre Füße zieht.

      WAGNER. Ich seh ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen, Weil er, statt seines Herrn, zwei Unbekannte sieht.

      FAUST. Der Kreis wird eng, schon ist er nah!

      WAGNER. Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da. Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch, Er wedelt. Alles Hundebrauch.

      FAUST. Geselle dich zu uns! Komm hier!

      WAGNER. Es ist ein pudelnärrisch Tier. Du stehest still, er wartet auf; Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf; Verliere was, er wird es bringen, Nach deinem Stock ins Wasser springen.

      FAUST. Du hast wohl recht; ich finde nicht die Spur Von einem Geist, und alles ist Dressur.

      WAGNER. Dem Hunde, wenn er gut gezogen, Wird selbst ein weiser Mann gewogen. Ja, deine Gunst verdient er ganz und gar, Er, der Studenten trefflicher Skolar. (Sie gehen in das Stadttor.)

      Studierzimmer

      Faust mit dem Pudel hereintretend.

      FAUST. Verlassen hab ich Feld und Auen, Die eine tiefe Nacht bedeckt, Mit ahnungsvollem, heil’gem Grauen In uns die beßre Seele weckt. Entschlafen sind nun wilde Triebe Mit jedem ungestümen Tun; Es reget sich die Menschenliebe, Die Liebe Gottes regt sich nun.

      Sei ruhig, Pudel! Renne nicht hin und wieder! An der Schwelle was schnoperst du hier? Lege dich hinter den Ofen nieder, Mein bestes Kissen geb ich dir. Wie du draußen auf dem bergigen Wege Durch Rennen und Springen ergetzt uns hast, So nimm nun auch von mir die Pflege, Als ein willkommner stiller Gast.

      Ach wenn in unsrer engen Zelle Die Lampe freundlich wieder brennt, Dann wird’s in unserm Busen helle, Im Herzen, das sich selber kennt. Vernunft fängt wieder an zu sprechen, Und Hoffnung wieder an zu blühn, Man sehnt sich nach des Lebens Bächen, Ach! nach des Lebens Quelle hin.

      Knurre nicht, Pudel! Zu den heiligen Tönen, Die jetzt meine ganze Seel umfassen, Will der tierische Laut nicht passen. Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen, Was sie nicht verstehn, Daß sie vor dem Guten und Schönen, Das ihnen oft beschwerlich ist, murren; Will es der Hund, wie sie, beknurren?

      Aber ach! schon fühl ich, bei dem besten Willen, Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen. Aber warum muß der Strom so bald versiegen, Und wir wieder im Durste liegen? Davon hab ich so viel Erfahrung. Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen, Wir lernen das Überirdische schätzen, Wir sehnen uns nach Offenbarung, Die nirgends würd’ger und schöner brennt Als in dem Neuen Testament. Mich drängt’s, den Grundtext aufzuschlagen, Mit redlichem Gefühl einmal Das heilige Original In mein geliebtes Deutsch zu übertragen. (Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an.)

      Geschrieben steht: “Im Anfang war das Wort!” Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, Ich muß es anders übersetzen, Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn. Bedenke wohl die erste Zeile, Daß deine Feder sich nicht übereile! Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft? Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft! Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe. Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!

      Soll ich mit dir das Zimmer teilen, Pudel, so laß das Heulen, So laß das Bellen! Solch einen störenden Gesellen Mag ich nicht in der Nähe leiden. Einer von uns beiden Muß die Zelle meiden. Ungern heb ich das Gastrecht auf, Die Tür ist offen, hast freien Lauf. Aber was muß ich sehen! Kann das natürlich geschehen? Ist es Schatten? ist’s Wirklichkeit? Wie wird mein Pudel lang und breit! Er hebt sich mit Gewalt, Das ist nicht eines Hundes Gestalt! Welch ein Gespenst bracht ich ins Haus! Schon sieht er wie ein Nilpferd aus, Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß. Oh! du bist mir gewiß! Für solche halbe Höllenbrut Ist Salomonis Schlüssel gut. GEISTER (auf dem Gange). Drinnen gefangen ist einer! Bleibet haußen, folg ihm keiner! Wie im Eisen der Fuchs, Zagt ein alter Höllenluchs. Aber gebt acht! Schwebet hin, schwebet wider, Auf und nieder, Und er hat sich losgemacht. Könnt ihr ihm nützen, Laßt ihn nicht sitzen! Denn er tat uns allen Schon viel zu Gefallen.

      FAUST. Erst zu begegnen dem Tiere, Brauch ich den Spruch der Viere: Salamander soll glühen, Undene sich winden, Sylphe verschwinden, Kobold sich mühen.

      Wer sie nicht kennte Die Elemente, Ihre Kraft Und Eigenschaft, Wäre kein Meister Über die Geister.

      Verschwind in Flammen, Salamander! Rauschend fließe zusammen, Undene!

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