Quentin Durward. Walter Scott
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Walter Scott
Quentin Durward
Scratch Verlag
klassik
e-book 106
Erscheinungstermin: 01.12.2021
© Scratch Verlag
Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
Titelbild: Igor Shaganov
Vertrieb: neobooks
Walter Scott
Quentin Durward
Erstes Kapitel.
Im letzten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts ereigneten sich alle jene Ereignisse, die das Königreich Frankreich in den Besitz jener starken Macht brachte, die jahrhundertelang für die übrigen europäischen Staaten zu einem Eifersuchtsobjekt werden sollte. Vor dem Beginn dieses Zeitabschnitts war Frankreich in langen Kriegen mit England verwickelt. Selbiges hatte einen Teil der schönsten Provinzen Frankreichs an sich gerissen. Es bedurfte äußerster Anstrengung seitens des Königs und dessen Untertanen, das, was ihm noch gehörte, zu erhalten. Es drohte für Frankreich auch eine andere Gefahr. Durch die Erfolge der Engländer übermütig geworden, hielten sich die Fürsten, die im Besitz der großen Kronlehen waren, namentlich die Herzöge von Burgund und der Bretagne, nicht mehr an ihre Lehnsverträge. Sie scheuten nicht davor zurück, die Waffen gegen ihren Lehnsherrn, den König von Frankreich, zu erheben, sobald ihnen irgendein Anlass oder eine Gelegenheit dazu geboten wurde. In Friedenszeiten führten sie in ihren Provinzen ein völlig unumschränktes Regiment. Das Haus Burgund mit dem schönsten und reichsten Teil von Flandern besaß eine so bedeutende Macht, dass es der Königskrone Frankreichs weder an Reichtum noch an Streitkräften unterlegen war. Den großen Vasallen eiferten die kleinen nach; ein jeder von ihnen versuchte, sich Macht und Unabhängigkeit zu verschaffen. Dabei scheuten sie weder vor der schlimmsten Gewalttätigkeit und Grausamkeit zurück. So wurde in der Auvergne ein Verzeichnis mit über 300 Adeligen aufgestellt, die sich der Blutschande, des Raubes und Mordes, schuldig gemacht hatten.
Zu allem Überfluss kam hinzu, dass das Königreich Frankreich durch die langwierigen Kriege mit England wirtschaftlich am Boden lag. Im Land versammelte sich der Abschaum aller Länder dieser wilden Zeit. Viele der verwegenen Abenteurer bildeten Banden und plünderten in Stadt und Land. Sie boten ihre Schwerter und Manneskraft demjenigen an, der am besten bezahlte. Andererseits führten sie ihre Kriege auf eigene Faust, wenn sie keinen gut zahlenden Auftraggeber fanden. Dabei bemächtigten sie sich der Burgen und Festungen, benützten sie als Schlupfwinkel, nahmen Reiche gefangen, um Lösegeld zu erpressen, und plünderten die Ortschaften, die noch einigermaßen wohlhabend waren, vollständig aus.
Trotz dieser Schrecken und ohne die geringste Rücksicht auf das im Lande herrschende Elend trieben gerade die Angehörigen des niedrigen Adels einen unerhörten Luxus, der kaum von demjenigen der Fürsten des Landes übertroffen werden konnte. Ihre Dienerschaft vergeudete auf unverschämte Weise das dem Volke abgepresste Gut. Der galante Umgang der beiden Geschlechter sorgte jedoch nicht dafür, dass es dem Volk besser ging. Die romantischen Gepflogenheiten gingen wohl eher auf die gute alte Ritterzeit zurück; trotzdem machte sich eine grenzenlose Zügellosigkeit bemerkbar, die alle Moral geradezu ins Gesicht schlug. Vom reinen Geist ehrbarer Zuneigung und fromme Übungen, die die Gesetze des Rittertums einforderten, kannte man längst nicht mehr, wenn auch die Sprache der fahrenden Ritter noch immer im Gebrauch war. Desgleichen die Ordensregeln noch nicht abgeschafft galten. Turniere wurden noch immer abgehalten, und die damit verbundenen Lustbarkeiten zogen eine Menge von Abenteurern nach Frankreich, und keiner von ihnen unterließ es, seinen kecken Mut durch Handlungen zu beweisen, die ihm sein Heimatland nicht erlaubte.
Es begab sich zu dieser Zeit, das Ludwig XI. den wankenden Thron Frankreichs bestieg. Er war ein König, dessen Charakter im Grunde genommen schlecht war jedoch gerade dadurch das Zeug besaß, das im Land herrschende Unglück zu bekämpfen. Von dieser romantische Tapferkeit, oder dem aus ihr entspringenden Stolz, der für die Ehre zu fechten bereit war, wenn der Nutzen schon längst eingeheimst war, hatte Ludwig keine Ahnung. Dennoch war er kühn genug, jeden nur irgendwie nützlichen Zweck in der Politik mit Zähigkeit zu erfassen und zu verfolgen. Er war ein Mann der ruhigen Überlegungen, der kalten Berechnung, des klugen Besinnens, immer auf seinen Vorteil bedacht und niemals geneigt, dem Stolz und der Leidenschaft, wenn sie mit seinem Vorteil kollidierten, ein Opfer zu bringen. Er verstand es bestens, zu beherrschen und seine wirklichen Gedanken vor allen, mit denen er in Berührung trat, auf das peinlichste Verborgen zu halten. Das Wort, das ein Fürst, der sich nicht zu verstellen verstünde, nicht zu herrschen verstünde, und „dass er selbst seine Kappe, wenn er denken müsse, sie sei hinter seine Geheimnisse gekommen, vom Kopfe reißen und ins Feuer schmeißen würde“, konnte er nicht oft genug betonen. Zu keiner Zeit hat ein Mensch gelebt, der die Schwächen seiner Mitmenschen so auszunutzen verstand, wie König Ludwig, und dabei doch zu vermeiden, dass es irgend den Anschein hatte, als ob er sich andern gegenüber, auch denen, die ihm Nachsicht schenkten, in Vorteil zu setzen suche.
Ludwig XI. war von Natur aus rachsüchtig und grausam. Und zwar so stark, dass es ihm eine besondere Freude machte, der Vollstreckung eines von ihm befohlenen Todesurteils beizuwohnen. Es reizte ihn doch kein Rachegefühl, weil in seinem Herzen kein Funke von Mitleid wohnte, keinem Menschen Schonung zu gewähren, wenn ihn er mit Sicherheit verdammen konnte. In der Regel fiel er über seine Beute erst her, wenn er sie fest in seinen Klauen hielt, und wenn er sicher war, dass sich diese nicht durch irgendeinem Zufall befreien konnte. Er verstand es meisterhaft, jede seiner Beweggründe so sorgfältig zu verbergen, dass im Allgemeinen die Welt erst durch den Erfolg erfuhr, welchen Zweck er verfolgte. Wenn ihm darum ging, den Günstling oder Minister eines fürstlichen Nebenbuhlers für sich zu gewinnen, kannte seine Verschwendung keine Grenzen. Wohl war er ein Freund von Zügellosigkeit, aber weder Weib noch Jagd, so sehr er für beides entflammt war, vermochten ihn jemals von den Staatsgeschäften fernzuhalten. Er besaß eine Menschenkenntnis von erschreckender Tiefe, war stolz und hochmütig und hatte doch niemals Bedenken, Menschen aus den untersten Ständen emporzuheben und mit den wichtigsten Ämtern zu bekleiden. Geschickt traf er seine Wahl, so dass er sich kaum ein einziges Mal in seinem Leben in den Eigenschaften, die er ihnen beimaß, irrte. Die Ansichten, die in den verschiedenen Kreisen der bürgerlichen Gesellschaft seines Königreiches herrschten, interessierten ihn nicht.
Aber kein Mensch bleibt sich immer vollständig gleich, und so bestanden auch in der Natur dieses klugen und gewandten Herrschers von Frankreich Widersprüche. Aus seiner Eigenschaft des falschesten und verlogensten aller Menschen ergaben sich die größten Irrtümer seines Lebens, und zwar insofern als er in die Ehre und Rechtlichkeit derjenigen, mit denen er in Beziehung stand, zu schnell Vertrauen in sie setzte, sobald ihm daran gelegen war, sie zu überlisten. Im Allgemeinen dagegen war er eifersüchtig und argwöhnisch, wie nur je ein Tyrann es sein kann. Um die Schilderungen des fluchwürdigen Charakters dieses Herrschers von Frankreich zu vervollständigen, der sich unter den rohen, ritterlichen Monarchen seines Zeitalters als der Tierbändiger hervortat, der die Gewalt über die Bestien nur durch alle Mittel scharfer Dressur in die Hände bekommen hat, unter denen Hunger und Prügel nicht die gelindesten sind, und der, um von ihnen nicht zerrissen zu werden, vor keinem Mittel, das ihm seine Gewalt erhält, zurückschrecken darf, müssen wir noch zwei weiterer Eigenschaften gedenken, die er andern Herrschern voraushatte. Da war sein hochgradiger Aberglauben, der sein Gemüt der tröstenden Segnungen der Religion fast vollständig verschloss, und sein Hang zu geheimen Ausschweifungen und zu Zerstreuungen