Ricarda Huch: Deutsche Geschichte – Mittelalter – I. Römisches Reich Deutscher Nation –. Ricarda Huch

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zu machen, und errang einen gewaltigen Sieg. Wenn sich viel Abgeschmacktes und Rohheit in die Auffassung des Göttlichen mischte: was wäre eine Religion, die nicht auch Magie wäre? Teilhaben an der Gotteskraft, das ist es doch, was alle Gläubigen wollen, die einen um der rohesten, andere um der sublimsten Zwecke willen. Bei aller derben Sinnlichkeit versenkten sich die Deutschen mit Leidenschaft in das Übersinnliche. Die erhabene Gewaltsamkeit, mit der das Christentum den eigentlichen Schauplatz der Menschengeschichte von der Erde hinweg in ein jenseitiges Geisterreich verlegt, gerade diese Umwälzung, die der Epoche, die man Mittelalter nennt, die grandiose Spannung, die geheimnisvolle Tiefe verlieh, das Leben in ein Himmel und Erde überbrückendes Drama verwandelt, entsprach einer Geisteskraft, die dem Deutschen besonders eigen ist, der Phantasie. Der Sinn für das Unsichtbare, der vielleicht mit der Begabung des deutschen Menschen für Musik zusammenhängt, öffnet sein Ohr den Stimmen von drüben.

Grafik 149

      Unterdessen ging die Ausgestaltung des künftigen Bistums Münster weiter:

      Liudger (* 742 in Zweesen, heute ein Stadtteil von Utrecht in den Niederlanden † 26. März 809 in Billerbeck) wurde am 30. März 805 vom Kölner Erzbischof Hildebold (787–818) zum ersten Bischof von Münster geweiht.

       Liudger, der erste Bischof von Münster, der, weil er selbst Friese war, leichter Zugang zu seinem Volk fand als die früheren Missionare, bekam einen wertvollen Gehilfen in dem sangeskundigen Bernlaf. Ihn hatte die Schönheit der Psalmen für das Christentum gewonnen, und da er überall beliebt war, weil er von den Taten der Vorfahren singen und sagen konnte, wehrte man ihm auch nicht, als er für seinen Glauben warb. Diese Gesänge überzeugten unmittelbar, auf Zauberart. Nicht nur der friesische Sänger, nicht nur Mönche, sondern auch Könige wussten viele Psalmen auswendig und führten eine Psalmensammlung auf Reisen mit sich. Karl der Große liebte die Musik und pflegte in der Kirche mit gedämpfter Stimme die Psalmen mitzusingen. Keine Kunst ist so wie die Musik Verkünderin des Übersinnlichen, doppelt so, wenn sie sich mit der Wirkung der Architektur verbindet. Die Feierlichkeit des Gottesdienstes in den Chören der karolingischen und ottonischen Kirchen mögen mehr als die Predigt die Herzen dem dreieinigen Gott zugeführt haben.

      Indessen, wenn auch die neue Religion hauptsächlich als Himmelszauber auf die Seele wirkte, so herrschte sie doch auch als sittliche Macht. „Du sollst heilig sein, denn ich bin heilig.“ Von allen Göttern, zu denen die Völker beten, hatte noch nie einer so zu seinem Volk gesprochen. Der Sinn des deutschen Menschen für Gerechtigkeit verband ihn mit dem Gott, der der Gerechte hieß, das Kämpferische seiner Gesinnung machte, dass er sich willig in die Geisterschlacht zwischen Gut und Böse hineinreißen ließ. Die Weltüberwindung durch Askese, die der Mönch im Kloster führte, war zugleich ein ritterlicher Gedanke und den Germanen nicht durchaus fremd. Allerdings waren sie im Allgemeinen zügellos im Trinken und in der Frauenliebe; sie bedurften des Rausches. Den erwählten Frauen gaben sie sich mit einer fast kindlichen Gewaltsamkeit hin, und es kam zu erbitterten Kämpfen mit der Kirche, wenn sie ein Liebesverhältnis wegen zu naher Verwandtschaft zu lösen unternahm. Andererseits wurde in der germanischen Mythologie Jungfräulichkeit als Quell übermenschlicher Kraft begriffen, und im Verhalten zum Tod, den zu fürchten für den Freigeborenen als Schande galt, lag Selbstüberwindung. Karl der Große verabscheute Trunkenheit. Dass bloßes Sichgehenlassen nichts Großes erzeugt, wusste auch der heidnische Deutsche, und gerade weil der Freie keinen Zwang duldet, musste er sich selbst zwingen. Ohne diesen Selbstzwang gibt es keine Ehre. Um an dem Kampf des schaffenden Gottes gegen den zerstörenden Teufel teilzunehmen, strömten Männer und Frauen den Klöstern zu.

       Im Süden Deutschlands hatten schon vor Bonifatius Klostergründungen stattgefunden, sowohl in Franken wie in Schwaben und Bayern. In Schwaben gründeten iroschottische Mönche Reichenau und Sankt Gallen, im frommen Bayern beteiligten sich die Bischöfe, die einheimischen Herzöge und adligen Privatpersonen. So etwa wie die ersten europäischen Ansiedler in den wilden Westen Amerikas eindrangen, so zogen glaubensstarke, abenteuerlustige Leute in kleineren und größeren Gruppen dem Süden und Osten zu, drangen in die alten römischen Provinzen ein, wo längs der großen Straßen noch Romanen, abseits in den Flusstälern Slawen wohnten. Auch einzelne freie Bauern siedelten und rodeten, der Name manches kühnen Mannes ist in den Namen alter Ortschaften erhalten; aber die Klöster hatten größere Mittel zur Verfügung und erzielten dementsprechend größere Ergebnisse. Gewöhnlich wurde den Mönchen ein Stück Kulturland und ein Stück Ödland verliehen, damit sie von den Erträgnissen des einen lebten, während sie das andere urbar machten. Verlassene Ruinen aus der Römerzeit lieferten oft das Material für die klösterlichen Bauten; die Trümmer des alten Iuvavum ermöglichten, dass gleich das erste Salzburger Kloster aus Stein hergestellt werden konnte. Kam eine auswandernde Gesellschaft an der Stätte an, die zur Errichtung eines Klosters oder der Filiale eines Klosters geeignet schien, so wurde zum Zeichen der Besitznahme ein Kreuz aufgestellt und dann eine Zelle gebaut, wovon das häufige Vorkommen des Wortes Zell im Ortsnamen Kunde gibt. Sie wurde unter den Schutz der heiligen Margarete oder des heiligen Georg, des Drachenüberwinders, gestellt, wenn man in benachbarten Wäldern die wilden Tiere fürchtete; freundliche Auen weihte man der Jungfrau Maria. Die strenge Regel des Bonifatius, wonach die Mönche alle Arbeit selbst tun sollten, wurde in Bayern nie durchgeführt; die schwere Arbeit der Kolonisation wurde von hörigen Knechten geleistet.

      Passau, St. Florian, Kremsmünster, Chiemsee, Staffelsee, Wessobrunn, Tegernsee, Benediktbeuren, die beiden letzteren von zwei adligen Brüderpaaren gestiftet, wurden in Bayern zu bedeutenden Kulturmittelpunkten, in Franken Lorsch und Prüm, im Elsass Weißenburg, in Sachsen Korvey und die berühmten Nonnenklöster Gandersheim, Quedlinburg und Nordhausen. Die Schenkungen, mit denen die Klöster überhäuft wurden, machten sie schnell außerordentlich reich.

       In den Vorratshäusern und Ställen des Klosters Staffelsee befanden sich im Jahre 812: 1 Pferd, 26 Ochsen, 20 Kühe, 1 Stier, 51 Stück Kleinvieh, 5 Kälber, 87 Hammel, 14 Lämmer, 17 Böcke, 58 Ziegen, 12 Böckchen, 40 Schweine, 50 Frischlinge, 63 Gänse, 50 junge Hühner, 17 Bienenstöcke, 20 Speckschwarten, 40 Käse, 127 Fett- und Schmalztöpfe. Dazu kamen noch Honig, Butter, Salz und Malz. In den Mägdekammern spannen und webten 24 Mägde und verfertigten aus Wolle und Leinen Wäsche und Kleidungsstücke. Das Land wurde teils verpachtet, teils vom Kloster selbst durch Hörige bewirtschaftet, die teils mit dem Land zusammen geschenkt waren, teils sich mit oder ohne Land dem Kloster freiwillig ergaben. Trotz des damaligen Überflusses an Land und Leuten bedarf der Wetteifer des Schenkens, der im 9. und 10. Jahrhundert das deutsche Volk ergriff, der Erklärung, und er erklärt sich hauptsächlich durch die Gewalt des Glaubens. Mochte immerhin noch mancher sächsische Bauer in einsamen Höfen sich an seinen alten Runen und Sprüchen genügen lassen, der Adel und die begüterten Freien waren gläubige Christen, überzeugt, das Heil ihrer Seele nur durch die Vermittlung des Papstes in Rom empfangen zu können.

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      Das Kloster

       Das Kloster

      Waren auch viele Wälder gelichtet und viele Moore entwässert, noch immer gab es tagereisenweit Wildnis in deutschen Landen. Tagelang ging der junge Bayer Sturm, als er einen Platz für das Kloster suchte, das Bonifatius gründen wollte, durch Wälder und flocht bei Nacht einen Zaun um seinen Esel, um ihn notdürftig vor wilden Tieren zu schützen, und wenn es in den Zweigen raschelte und knackte, horchte er gespannt, ob ein Mensch oder ein Wolf oder Luchs sich heranschliche. An den Mündungen des Rheins, der Weser und Elbe überschwemmte das Gewässer oft weithin das Land, Sturmfluten brandeten über die noch nicht eingedeichten Ansiedelungen und rissen sie in die Tiefe. Im Herbst, im Winter und im Frühling, wenn die Wolken tief herabhingen, der kalte Wind heulte und Schnee und Regen die Wege zu Morast aufweichten, mochte dem Wanderer, der zu Fuß oder zu Pferd ein entferntes Ziel zu erreichen suchte, oft die Hand erstarren und das Herz erbeben. Nicht nur wilde Tiere, auch die wilden Menschen musste er fürchten, Wegelagerer, Krieger, die zum Kampf auszogen oder vom

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