Arthur Holitscher: Drei Monate in Sowjet-Russland. Arthur Holitscher

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Arthur Holitscher: Drei Monate in Sowjet-Russland - Arthur Holitscher gelbe Buchreihe

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Faun mit der Pansflöte hatte sich jetzt vor dem Denkmal Feodorows, des ersten Buchdruckers, am Fuße der Chinesischen Mauer der geschlossenen Inneren Stadt, Kitai Gorod, aufgepflanzt. Lockend und leidenschaftlich klangen die hellen trockenen Töne des Rohrs durch den Abend. Wir stapften vorbei. Vor dem Auswärtigen Amt schüttelten wir uns die Hände, und jeder trottete nach Haus. Beine und Arme taten mir weh, mein Herz aber war froh. Ich wünschte ... ich wünschte, ein Zwang käme irgendwoher, und jeder von uns alten und jungen geistigen Arbeitern in Deutschland, Amerika, der ganzen Welt müsste einmal in der Woche mit Kameraden nützliche und harte körperliche Arbeit leisten. Um der Arbeit willen, der einen unteilbaren Arbeit der Hand und des Kopfes willen, der guten, lächelnden, helläugigen Kameradschaft willen, für die Idee der Gemeinschaft und der Zukunft verhärteten Schlamm aus dem Wege räumen mit harten Spatenhieben.

      Aber wenn es nach mir ginge, es dürfte kein Unlustiger, kein Widerstrebender dazu gezwungen werden, nicht mit Namenlisten, nicht mit Verwarnung, nicht mit Konzentrationslagern. Um der Arbeit willen und die heilige Gemeinschaft.

      Todmüde trottete ich durch die hereinbrechende Nacht in mein entferntes Quartier heim. Plötzlich bemerkte ich, dass ich meinen „Pajok“ noch in der Hand hielt. Ein Arbeiter kam mir entgegen, mit ihm ein Roter, Soldat. Dem Arbeiter gab ich das Brot, dem Soldaten den Zucker.

      * * *

      Die dritte Phase des Subbotnik heißt Woskressennik, das ist die Sonntagsarbeit. Bei Winteranbruch, wenn die Tage kurz werden, verlegt man den Subbotnik auf den Sonntagmorgen. Aus der freien samstägigen Überstundenarbeit der Kasaner ist eine allrussische allsonntägliche sechsstündige Zwangsarbeit geworden. Uns Ausländern folgte der Woskressennik in unser Haus nach. Am ersten Wintersonntag waren die Bewohner unseres Hauses verpflichtet, von zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags im Hofe unseres Hauses Holz zu sägen, zu spalten und in die Kellerräume zum Zentralofen zu befördern. Diese Arbeit hatte einen leicht humoristischen Beigeschmack der Parodie an sich. Die im Hause ansässigen Arbeiter nämlich leisteten in zehn Minuten dieselbe Arbeit, die wir anderen Dilettanten in zwei Stunden zusammenstümperten, mit verrenkten Schulterblättern, blutig geschlagenen Daumennägeln und angesägten Hosenschäften. Immerhin hatten wir Holzhacken gelernt, auch war das Holz in den Kellerraum befördert, und es begab sich jeder in sein Zimmer, um nach dem Mittagessen: Krautsuppe, Grütze und Tee, seine gute Müdigkeit auszuschlafen.

      * * *

      Der Zweck des Subbotnik-Woskressennik ist erhöhte Arbeitsleistung. Wie eingangs erwähnt wurde, fördert das psychische Moment der freiwilligen, aber auch der notgedrungenen Arbeit in einer guten, freudigen Gemeinschaft die Leistung in beträchtlichem Maße. Immerhin darf man Bedenken gegen diese Umwandlung und Vergewaltigung eines ursprünglich wahrhaft religiösen Triebes in Zwang äußern. Die Heiligkeit der Arbeit – alle äußere Not ist nicht fähig, kann nicht geltend gemacht werden zur Rechtfertigung der Entheiligung der Arbeit. Die neue Justiz Russlands hat die Geldstrafe aufgehoben – oder doch in fast allen Fällen aufgehoben – und Freiheitsstrafen verwandeln sich immer mehr unter dem Druck der Notwendigkeit einer mit allen Mitteln forcierten Produktion in Zwangsarbeit. Die Arbeit für die Gemeinschaft, Wesenskern und Sinn des Kommunismus, verliert mehr und mehr die ihr innewohnende ethische Bedeutung.

      Es muss noch gesagt werden, dass der Subbotnik im Kreml genauso eingehalten wird wie in der Stadt, wie im ganzen Lande. Lenin, Trotzki schleppen und sägen Holz und schaufeln Dreck, wenn es sein muss, und vermutlich mit größerer Lust, als die Mehrzahl von uns Narkominodel-Leuten es getan hat. Denn unter uns waren nicht wenige, die mit widerstrebendem Gefühl und unüberzeugt von der Einheit der Arbeit im Schlamm an den Eisenbahngleisen standen. Der Kommunist aber arbeitet mit Hand und Gehirn, freiwillig und opfermutig und weiß es nicht, wann und wo die Überstunden in seinem Tagewerk beginnen.

      Radek erzählte mir von seinem Woskressennik. Er hatte mit anderen Volkskommissaren Holz durch das Borowitzkajator in den Kreml hinaufgeschleppt, und seine alte Köchin, eine simple bäurische Analphabetin, hatte ihn bei dieser Verrichtung gesehen. Die Alte war entgeistert: sie wusste doch, ihr Herr und Genosse stellte irgendetwas in der Regierung vor, jetzt leistete er diese entehrende körperliche Arbeit, wie ein beliebiger Bauernbursche bei ihr zu Hause im Dorf. Radek hielt ihr daraufhin einen populären Vortrag über den Kommunismus und das Problem der Arbeit in der kommunistischen Gesellschaft. Uralter Nebel wurde fortgeräumt aus dem Bauernhirn; der Herr hatte gearbeitet! Wirklich und wahrhaftig gearbeitet. Die Arbeit war also doch nichts Entehrendes, Erniedrigendes...

      Gesang der Panflöte, herzzerreißender Gesang des Volkes der Steppen, des weiten, weißen, rassischen Landes in der Winternacht!

      * * *

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