Die Abenteuer Tom Sawyers. Charles Dickens
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Читать онлайн книгу Die Abenteuer Tom Sawyers - Charles Dickens страница 3
„Doch wahr!“
Wieder eine Pause. Beide starren sich an, gehen umeinander herum und beschnüffeln sich wie junge Hunde. Plötzlich liegen sie in schönster Kampfstellung Schulter an Schulter. Tom schrie: „Scher dich fort!“
„Fällt mir gar nicht ein!“
„Fällt mir auch nicht ein!“
So standen sie, jeder einen Fuß als Stütze zurückgestellt, aus aller Kraft aneinander herumschiebend und sich wütend anstarrend. Aber keiner konnte dem Gegner einen Vorteil abgewinnen. Von diesem stillen Kampf heiß und atemlos, hielten beide gleichzeitig inne, und Tom sagte: „Du bist doch ein Feigling und ein Aff obendrein! Ich werd‘s meinem großen Bruder sagen, der kann dich mit dem kleinen Finger verhauen, und ich werd‘s ihm sagen, daß er‘s tut!“
„Was schert mich dein Bruder! Ich hab‘ einen Bruder, der noch viel stärker ist als deiner. Der wirft deinen Bruder über den Zaun da!“
Beide Brüder waren natürlich durchaus imaginär.
„Das lügst du!“
„Das weißt du!“
Tom zog mit dem Fuß einen Strich durch den Sand und sagte: „Komm herüber und ich hau dich, daß du liegen bleibst!“
Sofort sprang der andere hinüber und sagte herausfordernd: „So, nun tu‘s!“
„Mach mich nicht wütend, rat ich dir!“
„Beim Deuker, für zwei Penny würd‘ ich‘s wirklich tun!“
Im nächsten Augenblick hatte der feine Junge ein Zweipennystück aus der Tasche geholt und hielt es Tom herausfordernd vor die Nase. Tom schlug es ihm aus der Hand. Im nächsten Augenblick rollten beide Jungen im Schmutz, ineinander verbissen wie zwei Katzen, und während ein paar Minuten rissen und zerrten sie sich an den Haaren und Kleidern, schlugen und zerkratzten sich die Nasen und bedeckten sich mit Staub und Ruhm. Plötzlich klärte sich die Situation, und aus dem Kampfgewühl tauchte Tom empor, auf dem andern reitend und ihn mit den Fäusten traktierend.
„Sag: Genug!“
Der Bengel setzte seine krampfhaften Bemühungen, sich zu befreien, fort, vor Wut schreiend.
„Sag: Genug!“ Und Tom prügelte lustig weiter.
Schließlich stieß der andere ein halb ersticktes „Genug“ hervor. Tom ließ ihn aufstehen und sagte: „So, nun weißt du‘s! Das nächste Mal sieh dich besser vor, mit wem du anbindest!“
Der Fremde trollte sich, sich den Staub von den Kleidern schlagend, schluchzend, sich die Nase reibend, von Zeit zu Zeit sich umsehend, um Tom zu drohen, daß er ihn das nächste Mal verhauen werde, worauf Tom höhnisch lachte und seelenvergnügt nach Hause schlenderte. Und sobald er den Rücken gewandt hatte, hob der andere einen Stein auf, zielte, traf Tom zwischen die Schultern und rannte davon mit der Geschwindigkeit einer Antilope. Tom verfolgte den Verräter bis zu dessen Wohnung und fand so heraus, wo er wohne. Als tapferer Held blieb er dann herausfordernd eine Zeitlang an einem Zaun stehen, um zu warten, ob der Feind es wagen werde, wieder herauszukommen; aber der Feind begnügte sich, ihm durch die Fenster Gesichter zu schneiden und hütete sich, den neutralen Boden zu verlassen. Schließlich erschien des Feindes Mutter und nannte Tom ein schlechtes, lasterhaftes, gemeines Kind und jagte ihn davon. So ging Tom also fort, aber er sagte, „er hoffe, den Feind doch noch einmal zu erwischen.“
Er kam ein bißchen spät nach Haus, und indem er behutsam in das Fenster kletterte, entdeckte er einen Hinterhalt in Gestalt seiner Tante; und als sie den Zustand seiner Kleider sah, war ihr Entschluß unumstößlich gefaßt, ihn am Samstag in strenge Haft zu nehmen und ordentlich schwitzen zu lassen.
Zweites Kapitel.
Samstag morgen war gekommen, und es war ein heller, frischer Sommermorgen und sprühend von Leben. Jedes Herz war voll Gesang, und wessen Herz jung war, der hatte ein Lied auf den Lippen. Freude glänzte auf allen Gesichtern, und die Lust, zu springen, zuckte in aller Füßen. Die Akazien blühten, und ihr süßer Duft erfüllte die Luft.
Cardiff Hill, in der Nähe des Hauses und dasselbe überragend, war von Grün bedeckt und war gerade entfernt genug, um wie das gelobte Land, träumerisch, ruhevoll und unberührt zu erscheinen.
Tom erschien auf der Bildfläche mit einem Eimer voll Farbe und einem großen Pinsel. Er überblickte die Umzäunung — und aller Glanz schwand aus der Natur, und tiefe Schwermut bemächtigte sich seines Geistes. Dreißig Yards lang und neun Fuß hoch war der unglückliche Zaun! Das Leben erschien ihm traurig. Er empfand sein kleines Dasein als Last. Seufzend tauchte er den Pinsel in den Topf und strich einmal über die oberste Planke, wiederholte die Operation, und nochmals, und verglich das kleine gestrichene Stückchen mit der unendlichen noch zu erledigenden Strecke — und hockte sich entmutigt auf einen Baumstumpf. Jim kam mit einem Zinneimer aus der Tür, „Buffalo Gals“ singend. Wasser von der Pumpe zu holen, war Tom bisher immer als eine der unwürdigsten Verrichtungen erschienen, jetzt schien es ihm anders. Er sagte sich, daß er dort Gesellschaft finden werde; Weiße, Mulatten und Neger, Knaben und Mädchen traf man immer dort, die, bis an sie die Reihe, zu pumpen kam, herumlungerten, irgend ein Spiel trieben, sich zankten, prügelten und Wetten anstellten. Und dann überlegte er, daß die Pumpe zwar nur einhundertundfünfzig Yards entfernt sei, Jim trotzdem aber nie unter einer Stunde brauchte, um einen Eimer Wasser zu holen, und dann auch noch gewöhnlich geholt werden mußte. Er sagte also: „Du, Jim, ich will Wasser holen, wenn du inzwischen anstreichen willst.“
Jim schüttelte den Kopf und antwortete: „Es geht nicht, Master Tom. Alte Dame sagen mir zu gehen und holen Wasser und nix aufhalten mit irgendwem. Sie sagen, sie wissen, daß Master Tom werden versuchen zu gewinnen mich zu streichen, und so sie sagen, Jim zu gehen nach sein eigenes Geschäft und nix zu streichen.“
„Ach was, Jim, laß sie nur reden! So macht sie‘s immer. Gib mir nur den Eimer — du sollst sehen, ich bin gleich wieder da! Sie braucht‘s ja nicht zu wissen.“
„Nein, Master Tom, ich nix tun! Alte Dame wollen ihm Kopf abreißen, wenn er tut so. Sicher, Master Tom!“
„Sie? Sie kann ja gar nicht schlagen — sie fährt einem mit dem Fingerhut über den Kopf, und wer macht sich daraus was? Ihre Worte sind gefährlich, hm, — ja, aber sagen, ist doch nicht tun, wenn sie nur nicht so viel dabei weinen wollte. — Du, Jim, ich geb dir auch ‘ne Murmel! Oder ‘ne Glaskugel!“
Jim begann zu schwanken.
„Eine weiße Glaskugel, Jim — und horch mal, was für ‘nen schönen Klang hat sie!“
„Ach, sein das schöne, wunderschöne Glaskugel! Aber Master Tom, ich haben so furchtbar Angst vor alte Dame!“
Aber Jim war auch nur ein Mensch — diese Verführungskünste waren zu stark für ihn. Er setzte seinen Eimer hin und griff nach der Kugel. Im nächsten Augenblick sauste er die Straße hinunter mit seinem Eimer und einem Schreckensschrei, — Tom arbeitete mit Vehemenz, und Tante Polly, einen Pantoffel in der Hand und Triumph im Auge, kehrte vom Felde zurück.
Aber Toms Energie hielt nicht lange an. Er begann, an all die Streiche zu denken, die er für heute geplant hatte, und sein Kummer wurde immer größer. Bald würden seine Spielgefährten,