Die Faust. Sven Elvestad
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Faust - Sven Elvestad страница 3
Der Überfallene war an jenem Tage ausgemustert worden und hatte daher ziemlich viel Geld, etwa 400 Kronen bei sich gehabt. Diese waren fort.
Die Geschichte beunruhigte die Polizei. Sie hatte absolut keine Anhaltspunkte. Man nahm einige überstürzte Verhaftungen vor, die zu keinem Ergebnis führten. Die Zeitungen schrieben und schalten über grauenvolle Zustände in der Stadt und über die Schlappheit der Polizei.
Diese nahm schließlich eine vollständige Durchsuchung der Christian Koghsgate vor. Haussuchungen in allen Wohnungen, Verhöre aller Bewohner. Doch nicht um einen Schritt kam man der Lösung näher.
Wer waren die Verbrecher? Warum geschahen die Überfälle stets an derselben Stelle und in derselben Straße? Stand der Mann mit dem Elfenbeinstock irgendwie mit diesen Dingen in Verbindung?
Vorläufig konnte man nicht anderes tun, als die Straße und die Gegend ringsum während der Nacht mit doppelten Patrouillen besetzen.
Inzwischen arbeitete Asbjörn Krag, der sich die Sache sofort hatte übergeben lassen. Aber auch ihm gelang es nicht, die geringste Klarheit herbeizuführen.
Als er eines Vormittags in seinem Kontor saß, wurde eine Dame mittleren Alters zu ihm hereingeführt.
»Wie ich höre, sucht die Polizei einen geheimnisvollen Mann mit einem Elfenbeinstock«, sagte sie.
»Jawohl«, antwortete Krag interessiert. »Können Sie uns vielleicht etwas von ihm berichten?«
»Er muß nun wohl tot sein«, meinte die Dame. »Ich kann Ihnen eine merkwürdige Geschichte erzählen.«
II.
Asbjörn Krag betrachtete die schwarz gekleidete Dame, die an dem Tisch vor ihm saß. Sie gehörte scheinbar dem besseren Mittelstande an und machte sofort einen sehr guten Eindruck auf den Detektiv. Er hielt sie für eine pensionierte Beamtenwitwe.
»Leute meiner Art,« begann sie, »leben am liebsten möglichst still und zurückgezogen. Wenn ich mich trotzdem an die Polizei wende, begreifen Sie also, daß mir etwas ganz Seltsames begegnet sein muß. Aber ich möchte doch vor allem darum bitten, daß meine Name nicht mit der Angelegenheit in Verbindung gebracht wird.«
»Vorausgesetzt, daß die Sache uns nicht dazu zwingt«, wandte Krag ein.
»Nein,« erwiderte die Dame, »meine Rolle darin ist vollkommen bedeutungslos, sowohl für die Polizei als auch für die Sache selbst. Wie ich Ihnen bereits sagte, handelt es sich um den Mann, den die Polizei sucht, jenen Mann mit dem Elfenbeinstock. Daß er gesucht wird, ersah ich aus den polizeilichen Aufrufen.«
Krag nickte und machte sich eine Notiz auf einem Papier.
»Er ist tot?« fragte er.
»Ja, ich weiß nicht, was ich glauben soll«, lautete die Antwort der Dame. »Er ist nun seit einigen Tagen fort, und zwar verschwand er auf eine sehr merkwürdige Weise.«
»War er vielleicht Ihr Mieter?«
»Ja. Wir wohnen in der Oscarsgate. Und da unsere Wohnung für unsere bescheidenen Bedürfnisse nun zu groß geworden ist, vermieten wir ein möbliertes Zimmer. Vor einigen Monaten kam Herr Brandt – so heißt er – zu uns und fragte, ob er das Zimmer bekommen könnte. Da er sehr anständig und ordentlich aussah, hatten wir kein Bedenken, es ihm zu überlassen. Er zog sofort mit seinen Sachen ein.«
»Ehe Sie fortfahren,« unterbrach sie Krag, »müssen Sie so liebenswürdig sein, mir das Signalement des Mannes zu geben.«
»Gern. Ich nehme an, daß er etwa fünfzig Jahre alt ist, vielleicht aber auch jünger. Sein Gesicht zeigte das Gepräge von schweren Leiden und Kümmernissen. Er trägt eine schwarze Perücke, hat aber einen stark angegrauten Bart. Meist trug er einen dunkelgrauen Rock mit langen Schößen, einen breitrandigen Hut und einen Stock mit langem weißem Griff, vermutlich einem Elfenbeingriff. Ein genaueres Signalement vermag ich Ihnen nicht zu geben, da ich ihn nur selten sah.«
»Er war wohl viel aus?« fragte Krag.
»Nein, im Gegenteil. Fast den ganzen Tag hielt er sich in seinem Zimmer auf. Es war, als fürchte er das Tageslicht. Sobald es dunkel wurde, verließ er das Haus und blieb gewöhnlich ein paar Stunden, zuweilen aber auch die ganze Nacht über fort. Er empfing nie Besuch und hatte ein für alle Mal die Anweisung gegeben, ihn zu verleugnen, falls jemand nach ihm fragen sollte. Er war ein sehr stiller, bescheidener Mieter, mit dem wir sehr zufrieden waren. Sein Auftreten war das eines gebildeten Mannes, der keinerlei Ansprüche an uns stellte.«
»Nahm er auch die Mahlzeiten in seinem Zimmer ein?« fragte Krag.
»Ja, stets. Unser Mädchen brachte ihm das Mittagessen und das Abendbrot. Das letztere bestand stets nur aus Brot, Butter, kaltem Fleisch und einem Glas Milch. Nun aber komme ich zu dem Merkwürdigen, in der Geschichte des Mannes.
Vor einigen Tagen – ich weiß genau, daß es der 6. März war – klingelte Brandt, abends um 8 Uhr, von seinem Zimmer aus. Wir hatten unserm Mädchen Urlaub gegeben, und ich mußte selbst zu ihm hineingehen. Er saß an seinem Tisch und schrieb. Ich fragte ihn, was er wünsche. Er wollte, wie gewöhnlich, das Mädchen bitten, ihm Milch zu holen. Als er aber hörte, daß sie nicht da sei, erklärte er, dann wolle er sie sich selbst holen, da er ohnedies hinuntergehen und sich Briefmarken besorgen müsse. Ich erbot mich, ihm den Weg abzunehmen, das lehnte er aber in seiner Bescheidenheit ab. Ich brachte ihm also eine kleine Kanne, die er mitnahm. Die Milchhandlung ist gegenüber von unserer Wohnung. Eine halbe Stunde verging, ohne daß Brandt zurückkam, und ich begann unruhig zu werden, da ich mir sagte, daß ein erwachsener Mann wohl kaum auf den Gedanken kommen werde, mit einer Blechkanne auf den Straßen umherzugehen. Brandt aber blieb fort. Er kam an jenem Abend nicht mehr zurück. Seitdem er mit der Milchkanne wegging, habe ich ihn nicht wiedergesehen. Das finde ich sehr merkwürdig. Und ich habe das bestimmte Gefühl, daß meine Mitteilungen für die Polizei von großer Bedeutung sein werden.«
»Darin haben Sie recht,« antwortete Krag, »Ihre Mitteilungen sind von außerordentlicher. Bedeutung für uns. Nun möchte ich noch einige Fragen an Sie richten: bekam dieser Herr Brandt viele Briefe?«
»Nein, gar keine. Weder Briefe noch Telegramme erhielt er je. Es fragte auch nie ein Mensch nach ihm. Dagegen schrieb er selbst sehr viele Briefe. Er trug wohl jeden Abend mindestes drei oder vier zum Postkasten.«
»Womit beschäftigte er sich?«
»Soviel ich beobachtete, hatte er keine bestimmte Tätigkeit. Entweder schrieb er Briefe, oder er ging im Zimmer auf und ab. Wir hörten oft stundenlang seine schweren Schritte. Es war gleichsam, als warte er darauf, daß die Dunkelheit kommen solle.«
»Bezahlte er pünktlich?«
»Auf die Minute. Er hatte auch stets reichlich Geldmittel.«
»Noch etwas: hatte er an jenem Abend, an dem er verschwunden ist, seinen Elfenbeinstock mit?«
»Nein, der steht noch immer in der Ecke seines Zimmers. Er pflegte sonst nie auszugehen, ohne ihn mitzunehmen. Das ist, meine ich, um so mehr ein Beweis dafür, daß er nicht die Absicht hatte, lange fortzubleiben. Außerdem hatte er ja auch die Milch mit.«
»Die