Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit. Rudolf Steiner

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Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit - Rudolf Steiner gelbe Buchreihe

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ist der Ursprung und die Bedeutung des Denkens? Denn ohne die Erkenntnis der denkenden Betätigung der Seele ist ein Begriff des Wissens von etwas, also auch von einer Handlung nicht möglich. Wenn wir erkennen, was Denken im Allgemeinen bedeutet, dann wird es auch leicht sein, klar darüber zu werden, was für eine Rolle das Denken beim menschlichen Handeln spielt.

Grafik 67

      Georg Wilhelm Friedrich Hegel – 1770 – 1831

      „Das Denken macht die Seele, womit auch das Tier begabt ist, erst zum Geiste“, sagt Hegel mit Recht, und deshalb wird das Denken auch dem menschlichen Handeln sein eigentümliches Gepräge geben.

      Keineswegs soll behauptet werden, dass all unser Handeln nur aus der nüchternen Überlegung unseres Verstandes fließe. Nur diejenigen Handlungen als im höchsten Sinne menschlich hinzustellen, die aus dem abstrakten Urteil hervorgehen, liegt mir ganz fern. Aber sobald sich unser Handeln herauferhebt aus dem Gebiete der Befriedigung rein animalischer Begierden, sind unsere Beweggründe immer von Gedanken durchsetzt. Liebe, Mitleid, Patriotismus sind Triebfedern des Handelns, die sich nicht in kalte Verstandesbegriffe auflösen lassen. Man sagt: Das Herz, das Gemüt treten da in ihre Rechte. Ohne Zweifel. Aber das Herz und das Gemüt schaffen nicht die Beweggründe des Handelns. Sie setzen dieselben voraus und nehmen sie in ihren Bereich auf. In meinem Herzen stellt sich das Mitleid ein, wenn in meinem Bewusstsein die Vorstellung einer mitleiderregenden Person aufgetreten ist. Der Weg zum Herzen geht durch den Kopf. Davon macht auch die Liebe keine Ausnahme. Wenn sie nicht die bloße Äußerung des Geschlechtstriebes ist, dann beruht sie auf den Vorstellungen, die wir uns von dem geliebten Wesen machen. Und je idealistischer diese Vorstellungen sind, desto beseligender ist die Liebe. Auch hier ist der Gedanke der Vater des Gefühls. Man sagt: die Liebe mache blind für die Schwächen des geliebten Wesens. Die Sache kann auch umgekehrt angefasst werden und behauptet: die Liebe öffne gerade für dessen Vorzüge das Auge. Viele gehen ahnungslos an diesen Vorzügen vorbei, ohne sie zu bemerken. Der eine sieht sie, und eben deswegen erwacht die Liebe in seiner Seele. Was hat er anderes getan: als von dem sich eine Vorstellung gemacht, wovon hundert andere keine haben. Sie haben die Liebe nicht, weil ihnen die Vorstellung mangelt.

      Wir mögen die Sache anfassen wie wir wollen: Immer klarer muss es werden, dass die Frage nach dem Wesen des menschlichen Handelns die andere voraussetzt nach dem Ursprunge des Denkens. Ich wende mich daher zunächst dieser Frage zu.

      * * *

      Kapitel zwei – Der Grundtrieb der Wissenschaft

       Kapitel zwei – Der Grundtrieb der Wissenschaft

      Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,

       die eine will sich von der andern trennen;

       die eine hält, in derber Liebeslust,

       sich an die Welt mit klammernden Organen;

       die andere hebt gewaltsam sich vom Dust

       zu den Gefilden hoher Ahnen.

      Faust 1

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      Goethe

      Mit diesen Worten spricht Goethe einen tief in der menschlichen Natur begründeten Charakterzug aus. Nicht ein einheitlich organisiertes Wesen ist der Mensch. Er verlangt stets mehr, als die Welt ihm freiwillig gibt. Bedürfnisse hat die Natur uns gegeben; unter diesen sind solche, deren Befriedigung sie unserer eigenen Tätigkeit überlässt. Reichlich sind die Gaben, die uns zugeteilt, aber noch reichlicher ist unser Begehren. Wir scheinen zur Unzufriedenheit geboren. Nur ein besonderer Fall dieser Unzufriedenheit ist unser Erkenntnisdrang. Wir blicken einen Baum zweimal an. Wir sehen das eine Mal seine Äste in Ruhe, das andere Mal in Bewegung. Wir geben uns mit dieser Beobachtung nicht zufrieden. Warum stellt sich uns der Baum das eine Mal ruhend, das andere Mal in Bewegung dar? So fragen wir. Jeder Blick in die Natur erzeugt in uns eine Summe von Fragen. Mit jeder Erscheinung, die uns entgegentritt, ist uns eine Aufgabe mitgegeben. Jedes Erlebnis wird uns zum Rätsel. Wir sehen aus dem Ei ein dem Muttertiere ähnliches Wesen hervorgehen; wir fragen nach dem Grunde dieser Ähnlichkeit. Wir beobachten an einem Lebewesen Wachstum und Entwickelung bis zu einem bestimmten Grade der Vollkommenheit: Wir suchen nach den Bedingungen dieser Erfahrung. Nirgends sind wir mit dem zufrieden, was die Natur vor unseren Sinnen ausbreitet. Wir suchen überall nach dem, was wir Erklärung der Tatsachen nennen.

      Der Überschuss dessen, was wir in den Dingen suchen, über das, was uns in ihnen unmittelbar gegeben ist, spaltet unser ganzes Wesen in zwei Teile; wir werden uns unseres Gegensatzes zur Welt bewusst. Wir stellen uns als ein selbständiges Wesen der Welt gegenüber. Das Universum erscheint uns in den zwei Gegensätzen: Ich und Welt.

      Diese Scheidewand zwischen uns und der Welt errichten wir, sobald das Bewusstsein in uns aufleuchtet. Aber niemals verlieren wir das Gefühl, dass wir doch zur Welt gehören, dass ein Band besteht, das uns mit ihr verbindet, dass wir nicht ein Wesen außerhalb, sondern innerhalb des Universums sind.

      Dieses Gefühl erzeugt das Streben, den Gegensatz zu überbrücken. Und in der Überbrückung dieses Gegensatzes besteht im letzten Grunde das ganze geistige Streben der Menschheit. Die Geschichte des geistigen Lebens ist ein fortwährendes Suchen der Einheit zwischen uns und der Welt. Religion, Kunst und Wissenschaft verfolgen gleichermaßen dieses Ziel. Der Religiös-Gläubige sucht in der Offenbarung, die ihm Gott zuteilwerden lässt, die Lösung der Welträtsel, die ihm sein mit der bloßen Erscheinungswelt unzufriedenes Ich aufgibt. Der Künstler sucht dem Stoffe die Ideen seines Ich einzubilden, um das in seinem Innern Lebende mit der Außenwelt zu versöhnen. Auch er fühlt sich unbefriedigt von der bloßen Erscheinungswelt und sucht ihr jenes Mehr einzuformen, das sein Ich, über sie hinausgehend, birgt. Der Denker sucht nach den Gesetzen der Erscheinungen, er strebt denkend zu durchdringen, was er beobachtend erfährt. Erst wenn wir den Weltinhalt zu unserem Gedankeninhalt gemacht haben, erst dann finden wir den Zusammenhang wieder, aus dem wir uns selbst gelöst haben. Wir werden später sehen, dass dieses Ziel nur erreicht wird, wenn die Aufgabe des wissenschaftlichen Forschers allerdings viel tiefer aufgefasst wird, als dies oft geschieht. Das ganze Verhältnis, das ich hier dargelegt habe, tritt uns in einer weltgeschichtlichen Erscheinung entgegen: in dem Gegensatz der einheitlichen Weltauffassung oder des Monismus und der Zweiweltentheorie oder des Dualismus. Der Dualismus richtet den Blick nur auf die von dem Bewusstsein des Menschen vollzogene Trennung zwischen Ich und Welt. Sein ganzes Streben ist ein ohnmächtiges Ringen nach der Versöhnung dieser Gegensätze, die er bald Geist und Materie, bald Subjekt und Objekt, bald Denken und Erscheinung nennt. Er hat ein Gefühl, dass es eine Brücke geben muss zwischen den beiden Welten, aber er ist nicht imstande, sie zu finden. Indem der Mensch sich als „Ich“ erlebt, kann er nicht anders als dieses „Ich“ auf der Seite des Geistes denken; und indem er diesem Ich die Welt entgegensetzt, muss er zu dieser die den Sinnen gegebene Wahrnehmungswelt rechnen, die materielle Welt. Dadurch stellt sich der Mensch selbst in den Gegensatz Geist und Materie hinein. Er muss dies umso mehr tun, als zur materiellen Welt sein eigener Leib gehört. Das „Ich“ gehört so dem Geistigen als ein Teil an; die materiellen Dinge und Vorgänge, die von den Sinnen wahrgenommen werden, der „Welt“. Alle Rätsel, die sich auf Geist und Materie beziehen, muss der Mensch in dem Grundrätsel seines eigenen Wesens wiederfinden. Der Monismus richtet den Blick allein auf die Einheit und sucht die einmal vorhandenen Gegensätze zu leugnen oder zu verwischen. Keine von den beiden Anschauungen kann befriedigen, denn sie werden den Tatsachen nicht gerecht. Der Dualismus sieht Geist (Ich) und Materie (Welt) als zwei grundverschiedene Wesenheiten an, und kann deshalb nicht begreifen, wie beide aufeinander wirken können. Wie soll der Geist wissen, was in der Materie vorgeht, wenn ihm deren eigentümliche Natur ganz fremd ist? Oder

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