Der unheimliche "Erste Diener des Staates". Walter Brendel

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Der unheimliche

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Gott es für gut halten wird, mich von dieser Welt zu nehmen, in der ich nichts mehr zu tun habe“.

      Dann kam der Siebenjährige Krieg. Preußen, das seinen Nachbarn zu mächtig geworden war, kämpfte gegen die Armeen Österreichs, Russlands, Frankreichs, Schwedens und eines Großteils der Reichsfürsten buchstäblich um seine Existenz. Die Zeit zwischen 1756 und 1763 verbrachte Friedrich mit seinen Soldaten im Feld, und Elisabeth Christine übernahm in Berlin die Aufgaben an der Heimatfront: Sie ließ die Siege feiern, empfing Delegationen und traf sich mit Verwandten. Dreimal musste sie die Hauptstadt verlassen, weil österreichische und russische Truppen vor den Toren Berlins standen. Sie floh mit dem Hofstaat nach Magdeburg und Potsdam, wo sie zum ersten Mal mit eigenen Augen Sanssouci, die Residenz ihres Mannes, sah. Und nach sieben langen Jahren hatte ihr Friedrich nichts anderes zu sagen, als dass sie zugenommen habe. Elisabeth Christine zog sich wieder zurück in ihre Residenz Schönhausen und schwieg. Friedrich, der in den folgenden Jahren damit beschäftigt war, seinen Staat aufzubauen, nannte sie „meine Stumme“. Was die Königin zu sagen hatte, vertraute sie ihren Büchern an. Still und in sich gekehrt widmete sie sich dem Verfassen von religiös-moralischen Erbauungsschriften. Nur noch selten folgte sie Einladungen nach Berlin. In Schönhausen erfuhr sie am 17. August 1786 auch vom Tod ihres Gatten. Der Etikette folgend, hätte sie nach Sanssouci reisen müssen, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Doch die Witwe wollte das Schloss ihres Gemahls, in das er sie zu Lebzeiten niemals eingeladen hatte, nicht wiedersehen. Sie fuhr also nicht nach Potsdam, sondern in die Hauptstadt und wartete, bis der achtspännige Leichenwagen durch das Brandenburger Tor rollte.

      Mit dem Tod Friedrichs begann für die 71jährige Elisabeth Christine ein neues Leben. Die Berliner Gesellschaft stand ihr plötzlich wieder offen. Den Ausschlag für diese Wende gab ausgerechnet das Testament ihres verstorbenen Gatten. Friedrich forderte darin Prinz Friedrich Wilhelm, seinen Neffen und Nachfolger auf, „der Königin, meiner Gemahlin“, die Achtung zukommen zu lassen, die ihr „als Witwe seines Oheims und als seiner Fürstin gebührt, deren Tugend sich nie verleugnet hat“. Tatsächlich wurde Elisabeth Christine in den nun folgenden Jahren am Hofe mit Respekt behandelt. Sie blühte noch einmal auf: Immer häufiger kam sie nach Berlin, wohnte dort im Stadtschloss, nahm teil am kulturellen Leben und wurde Mittelpunkt der lutherischen Gemeinde. Zehneinhalb Jahre nach Friedrichs Tod starb sie am 13. Januar 1797 im Alter von 81 Jahren. Diesen hatte man neben seinen Vater Friedrich Wilhelm I. in der Potsdamer Garnisonskirche bestattet. Elisabeth Christine wurde – allein – in der Gruft des Berliner Doms beigesetzt. Selbst im Tode war der traurigen Herrscherin die Vereinigung mit ihrem Gemahl nicht vergönnt.

      ***

      Während Dr. Selle auf der schlechten Landstraße in seiner Kalesche dahinrumpelt, geht ihm manches von diesen Dingen durch den Sinn, aber er kommt mit seinen Überlegungen über diese Frau nicht ganz zurecht. Er behandelt die Königin wegen ihres Fußleidens, doch hat er sehr bald herausgespürt, dass Elisabeth Christine dies Fußleiden nicht sonderlich wichtig nimmt, dass sie es vielmehr nur ausnutzt, um sich auf unverfängliche Weise über den Gesundheitszustand ihres Gemahls auf dem Laufenden zu halten. Sie gibt deutlich zu erkennen, dass sie dem jungen, strengen Arzt ein gutes Urteil hierbei zutraut. Ist es möglich, dass diese Frau trotz allem, was sie hat erdulden müssen, trotz allem, was sie noch erduldet, in der stillen Anhänglichkeit und Verehrung für den einst Geliebten immer noch nicht schwankt? Berliner Spötter behaupten, sie wäre dumm.

      Das kann Dr. Selle, der sie doch genauer kennt, nicht finden. Sie hat keinen sprühenden Geist, gewiss nicht. Aber ihre treuen Augen blicken still und sicher. Was sie sagt, hat Hand und Fuß. Manches Nachdenkliche hat Selle von ihr vernommen, dass ihm gezeigt hat, wie sie durch ihr schweres Leben gereift ist. Eigentlich muss Dr. Selle vor sich bekennen, dass ihm die Königin Elisabeth Christine von allen Mitgliedern des Königshauses, die er zu behandeln hat, die größte menschliche Hochachtung abnötigt: nie, nicht ein einziges Mal, hat er ein geringschätziges oder gehässiges Wort über den König aus ihrem Munde gehört - obwohl sie doch Grund hätte, sich zu beklagen - ganz im Gegensatz etwa zu dem Prinzen Heinrich, dem Bruder des Königs, oder auch dem Thronfolger, die alle beide sich nicht genug tun können an hässlichen und herabsetzenden Bemerkungen über den „kleinen, großen Mann auf dem Thron". Die Berliner Spötter, so findet Dr. Selle, sollten es Elisabeth Christine zum Guten anrechnen, dass sie, die ein glänzendes Französisch spricht, ein besseres als der König, stets vorzieht, sich deutsch auszudrücken! Liegt hierin nicht ein Urteil?

      Zu dumm, um sich gegen die Unverschämtheiten des Königs zu wehren? Selle weiß, dass die Königin eine ganze Anzahl Gellertscher Oden ins Französische übersetzt hat. Nun gut, es sind die frommen Oden Gellerts! Selle selber ist ein Freigeist, andere Schöpfungen der jungen, aufblühenden deutschen Literatur imponieren ihm mehr als gerade diese Oden. Aber ... Was wohl aus der jungen braunschweigischen Prinzessin geworden wäre, wenn sie ein normales Leben hätte führen dürfen, als Frau eines anderen Fürsten?

      Ach, müßige Gedanken! Dr. Selle muss sich endlich wieder auf das Nächstliegende einstellen. Wie wird er die Königin heute antreffen? Gute Nachrichten vom Befinden des Königs kann er ihr nicht bringen ...

      Dr. Selle wird die Auszeichnung zuteil, dass er stets vor der Behandlung der Königin von deren Oberhofmeisterin der Frau von Kannenberg, empfangen und nach der Behandlung wieder durch sie verabschiedet wird. Heute glaubt er zu bemerken dass die Oberhofmeisterin ungewöhnlich herb, ja aufgebracht ist. Das gibt ihm Anlass, die Königin besonders aufmerksam zu betrachten, als er bei ihr vorgelassen wird.

      In der Tat, Selle täuscht sich kaum: rotgeweinte Augen! Was ist geschehen? Hat die Königin eine neue Betrübnis durch den König erfahren müssen? Wenn Selle nicht irrt, liegt dort auf ihrem Schreibtischchen ein Brief...

      Aber schon hat ihn Elisabeth Christine in ihrer üblichen zusammengenommenen Weise empfangen. Er muss seine ärztlichen Fragen stellen, die sie ruhig und still wie sonst beantwortet. Dann erkundigt sie sich wie immer besorgt nach dem Befinden ihres Gemahls. Und nun wird ihre Miene gramvoll, denn Selle halt es für seine Pflicht, der Königin die Wahrheit zu sagen. Nach seiner Meinung wird die Wassersucht, deren Anzeichen am Körper des Königs nicht mehr zu verkennen sind in nicht sehr ferner Zeit in ein Stadium treten, in welchem keine menschliche Hilfe mehr möglich ist.

      „Gibt es denn wirklich gar kein Mittel, das teure Leben Seiner Majestät noch länger zu fristen?" fragt Elisabeth Christine in tiefer Besorgnis.

      Es gäbe schon ein Mittel, ein sehr einfaches: Seine Majestät musste sich den Anordnungen seines Leibarztes fügen, vor allem eine vorsichtige, genau vorgeschriebene Diät einhalten Aber d.e entsprechenden Vorschläge, die er Seiner Majestät gemacht habe und in Abständen immer wiederhole, hätten ihm nur den Unwillen Seiner Majestät eingebracht, bis zu dem Grade, dass er sich mit der Absicht trage, um Entlassung aus dem Posten als Leibmedicus einzukommen.

      „Nein!" entfährt es der Königin entsetzt. „Nicht das". Bittend hebt sie dabei die Hand.

      Sogleich lenkt, wenn auch ein wenig bitter, Selle ein: Es entscheide ja sowieso einzig und allein Seine Majestät, ob ein Leibmedicus zu entlassen sei oder zu bleiben habe, sogar die Bedingungen, unter denen es geschehe, seien ja ganz in das Belieben Seiner Majestät gestellt. Aber es sei für einen Arzt schwer, mit anzusehen, wie Seine Majestät - nur von Kammerhusaren betreut, die eben doch einfach zu gehorchen hätten - sich gegen seine Gesundheit versündige. Wenn er als Arzt es aussprechen dürfe: Es sei unverantwortlich, dass der König bei seinem Alter und seinem Gesundheitszustand sich immer noch auf den abgehärteten Kriegshelden hinausspiele, während er doch eigentlich in ein Stadium getreten sei, wo er mit Sanftmut und Geduld zu einem gesundheitlich richtigen Verhalten genötigt werden müsste ...

      Erstaunt hält Selle inne. Er sieht, wie sich das Gesicht der Königin mit einem Purpurrot überzieht. Ist er zu kühn gewesen? Hätte er in seiner Kritik über den König nicht so weit gehen dürfen?

      Aber

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