Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.. Gerstäcker Friedrich

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Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol. - Gerstäcker Friedrich

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der Schnee der Gebirge thaut, seine Massen in Sturzfluthen durch das Thal gesandt und die Pfade wieder freigegeben hat. Jetzt hausten dort nur ein paar alte Guanacojäger, und den hoch eingefriedigten Weideplatz, mit dem üppigsten Gras und Futterklee bedeckt, kannten die müden Thiere gut genug, um ihm schon von Weitem entgegen zu wiehern.

      Ehe man sich aber in Sicht dieses Platzes wagte, wurde ein kurzer Kriegsrath gehalten, und zwar einstimmig dahin beschlossen, vorerst einen der Peons zum Recognosciren vor/84/auszuschicken und zu sehen, ob die Spione und Henkersknechte des Dictators selbst bis hierher gedrungen wären. War das der Fall, so mußten sie, wo sie sich eben befanden, die Nacht abwarten, nach einbrechender Dunkelheit am rechten Ufer des Bergstromes, so weit es die steilen Wände erlaubten, hinaufhalten, und den Fluß dann furthend den schmalen Pfad zu erreichen suchen, der an dem linken Ufer bis fast zu dessen Quellen auflief.

      Der älteste der Peons, ein durchtriebener Bursche mit wilden, verlebten Zügen, aber einem Paar schlau und listig unter buschigen Brauen vorblitzenden Augen, wurde dazu gewählt und kehrte auch schon nach zwei Stunden mit der Nachricht zurück, daß allerdings elf Mann in dem Hause lägen und eben erst von einem kurzen Streifzug den Tucunjado hinauf zurückgekehrt wären, nachdem sie sich überzeugt hätten, daß die Flüchtigen noch nicht auf diesem Wege entkommen seien. Am nächsten Morgen würden sie aber unfehlbar das ganze Binnenthal absuchen und deshalb gar keine Wahl lassen, was man etwa thun sollte. Die einzige Möglichkeit, noch zu entkommen, sei, während der Nacht die Station zu umgehen und dann so rasch vorwärts zu rücken, wie es die Kräfte der Passagiere nur irgend erlaubten. An der Schneegrenze angekommen, wollten sie dann die Maulthiere absatteln und laufen lassen - den Rückweg suchten die klugen Thiere leicht allein, und hatten sie erst einmal den theilenden Gebirgsrücken erreicht, so waren sie sicher, denn Rosas durfte nicht wagen, die chilenische Grenze zu überschreiten.

      Das Umgehen der Farm gelang, von einer ziemlich dunkeln Nacht begünstigt, vortrefflich. Noch lange vor Tagesanbruch hatten sie den schmalen Bergpfad erreicht, der sich am linken Ufer des jetzt niedern Stromes, oft kaum zwei Fuß Bahn neben einem Abgrund lassend, hinaufzog; hier aber mußten sie halten, bis das Tageslicht ihnen weiter helfe, denn es wäre mehr als Tollkühnheit gewesen, solchen Weg in dunkler Nacht zu verfolgen. Mit dem ersten Dämmerlicht brachen sie wieder auf, und selbst Señora Ellington, wenn auch nie im Leben an solche Strapazen gewöhnt, fühlte sich durch die kurze Rast /85/ wie neu gestärkt; kein Wort der Klage kam wenigstens über ihre Lippen.

      Den schwierigsten Theil des Ueberganges hatten sie aber noch vor sich, jedenfalls den beschwerlichsten, und als erst ihre wirkliche Wanderung über den Schnee begann, drohten die Kräfte der jungen Frau sowohl wie die des alten Herrn den ungewohnten und gewaltigen Anstrengungen zu erliegen. Als sie am Abend, schon nach Dunkelwerden, die punta del vaca, eine kleine schmutzige Steinhütte, erreichten, mit einem Loch zur Thür und nichts als den kalten, gefrorenen Boden der Hütte selber zum Bett, wäre es der schwachen, zarten Frau nicht möglich gewesen, auch nur noch einen Schritt weiter zu setzen, und doch wußten sie Alle, daß vielleicht an der Verzögerung einer Viertelstunde schon der Tod hing.

      Es mochte zehn Uhr Abends sein. Der Himmel war klar und sternenhell, und in der Hütte hatten sich die müden Wanderer, ohne selbst im Stande zu sein ein Feuer anzuzünden, in ihre Decken gehüllt und dicht neben einander geschmiegt, der Nacht vielleicht eine Stunde Schlaf und Ruhe abzustehlen. Nur der jüngere Peon stand, wohl dreihundert Schritt zurück, von woher sie gekommen, auf Posten, um hier an einer schmalen Stelle der Straße, an der kein Feind, noch dazu über den hellen Schnee, an ihn heranschleichen konnte, den Paß zu bewachen und bei dem geringsten Zeichen von Gefahr die kleine Schaar zu alarmiren. Von der Hütte her kamen jetzt Schritte, und wenige Minuten später stand der ältere Felipe an feiner Seite.

      „Was sagst Du zu unserem Unternehmen, compañero?" frug er endlich leise den Kameraden, als er ein paar Minuten an dessen Seite gestanden und in die Nacht hinaus gelauscht hatte.

      „Daß ich es herzlich satt habe, mich auf einer Seite mit einer papiernen Señorita herumzuquälen," brummte der Gefragte mürrisch, „die wir morgen wahrscheinlich noch das Vergnügen haben werden durch den Schnee zu schleppen, /86/ denn gehen kann die Puppe doch nicht mehr, und ich andererseits meinen Hals in Gefahr weiß, sobald uns die mashorqueros des Gouverneurs überholen. Pest und Gift, die Burschen verstehen keinen Spaß, und ich könnte mir eher Erbarmen von einer wilden Schaar der Pampas-Indianer erbitten, als von einem von Rosas' rothen Ponchos. - Ich wollte, wir hätten uns mit der ganzen Sache nicht eingelassen."

      „Weißt Du, compañero," sagte der Alte, seinen Arm traulich auf dessen Schulter legend und vorsichtig dabei zurückschauend, ob keiner ihrer Passagiere munter und in der Nähe wäre - „mir selber gefällt die Geschichte auch nicht mehr, und - für die lumpigen zehn Unzen wären wir eigentlich rechte Thoren, wenn wir - wenn wir eben -"

      „Wenn wir was?" frug der Jüngere gespannt und drehte sich halb nach seinem älteren Gefährten um.

      „Ei zum Teufel, wenn wir uns eben noch unnützer Weise abquälten!" - setzte dieser rasch und wild hinzu. - „Es sind doch nur Unitarios und dürfen nie nach der Republik zurückkommen. Ueberdies steht mir der Himmel da drüben im Südwesten ebenfalls nicht so richtig aus. - Kriegen wir hier einen Temporale, so sind wir geliefert, und - ich meinestheils bin fest entschlossen, diesen Augenblick meinen Rückweg anzutreten - gehst Du mit?"

      „Du hast mir die Gedanken aus der Seele gelesen," lachte der Jüngere - „mag der Inglese sehen, wie er über die Berge kommt - wir lassen ihm überdies unser charque3 in der Hütte zurück, und sie dürfen sich nicht beklagen, daß sie nichts zu essen hätten. Aber komm, die Zeit vergeht, und es ist bitter kalt hier oben. Wenn wir uns tüchtig in Trab setzen, können wir die estancia noch bei guter Zeit morgen früh erreichen."

      „War mir's doch, als ob ich da vorn ein Geräusch wie von knirschendem Schnee hörte," sagte der Alte da plötzlich /87/ und schützte seine Augen mit dem Arme gegen den blendenden Schein der weißen Decke - „da wieder."

      „Mir kam es auch erst so vor," sagte der Jüngere, seinen Poncho um sich herziehend und dann niederknieend, um das eine Schaffell, das er sich der Kälte wegen um seine Füße gewickelt, etwas fester zu binden, „aber es wird der puma4 sein, der vor etwa einer halben Stunde quer vor mir über den Schnee sprang und hinunter nach dem Wasser zu hielt. Rosas müßte einen tüchtigen Preis auf das Einbringen unserer Gesellschaft gesetzt haben, wenn er die Gauchos bis hier in den Schnee hinter ihnen her treiben könnte. - So," - rief er dann, indem er, seine Fußbekleidung in Ordnung gebracht, wieder in die Höhe sprang und den Hut in die Stirn drückte - „jetzt bin ich fertig, und nun können wir doch sagen, daß wir unsern Weg bis hierher ganz anständig bezahlt bekommen haben."

      Felipe antwortete nichts, horchte nur noch einmal zurück, wo sie Die, die ihrer Treue viel zu gutmüthig vertraut hatten, ohne Ahnung zurückließen, daß die Führer und Wachen sie verrätherischer Weise im Stich ließen, und schritt dann dem Gefährten rüstig voraus durch den tiefen Schnee, um sobald als möglich die von diesem freie Passage wieder zu erreichen und von da ab rasch dem wärmeren Thal zueilen zu können.

      „He, Felipe, rief's da nicht hinter uns?" sagte, stehen bleibend, plötzlich der junge Bursche.

      „Was kümmert's Dich?" brummte aber, die Schritte eher noch dadurch beschleunigend, der ältere Gefährte; „laß sie schreien, aber mach', daß Du aus Schußweite -"

      Seine Rede wurde hier auf etwas rauhe Art unterbrochen, denn neben ihm, wie aus dem Schnee heraus, sprang eine Gestalt, flog ihm nach der Kehle und hatte ihn auch im nächsten Moment, ehe er nur daran denken konnte nach seinem Messer zu greifen, zu Boden geworfen, wo er wie in einen /88/ Schraubstock eingeklemmt und regungslos dalag, „Asistencia!" wollte er rufen, aber schon bei dem ersten Laut blitzte ein blanker Stahl vor seinen Augen, und der Ruf erstarb ihm auf den Lippen. - Sein Angreifer sprach kein Wort - lautlos, doch mit riesiger

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