Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.. Gerstäcker Friedrich
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Don José hatte gar nicht geschlafen, und schon seit der Peon die Hütte wieder betreten, lehnte er, halb sitzend und nur in seinen warmen Poncho gehüllt, an der Mauer der Hütte, dem geringsten Laut horchend, der zu ihm herüberdringen möchte. Er wußte sich selber nicht ordentlich Rechenschaft zu geben, aber er war mißtrauisch geworden und erwartete mit Sehnsucht den anbrechenden Morgen. Nur die Augen schloß er endlich, und überdachte halb wachend, halb träumend die Möglichkeit des Gelingens - die Gefahren ihres Marsches - als ihn das Knacken des Hahns zuerst aus seiner Ruhe wieder emporschreckte. Den Blick rasch nach dort richtend, von woher das so unvermuthete Geräusch gekommen, sah er jetzt deutlich bei dem schwachen von draußen hereindämmernden Schneelicht, wie sich der blanke Lauf eines Gewehres - er konnte nur nicht recht genau erkennen nach welcher Richtung - niedersenkte. Dann war Alles todtenstill.
Aber auch Ellington war durch den nur zu gut gekannten Laut aufgestört; auch er sah, gerade als er die Augen aufschlug, die Bewegung des Laufs, und dem im Lager überraschten Wilde gleich fuhren die beiden Männer empor, um der neuen, noch kaum bewußten Gefahr zu begegnen .
Vergebens riß indessen der Bandit an dem Drücker der Büchse, um sich selber durch den Schuß zu retten; er hatte keine Ahnung, daß der Hahn zweimal ausklinken mußte, ehe er feuern konnte; so war er nur „in Ruh' gesetzt" und das Schloß verweigerte den Dienst. Die doch nutzlose Waffe von sich schleudernd, ergriff er das Doppelrohr, um die Thür noch vor seinen Angreifern zu erreichen; hier aber verrannte ihm Ellington den Weg, und noch während er sein Messer aus /98/ der Scheide riß, sich die Bahn zu stoßen, brach er mit einem leisen Stöhnen, zugleich von Ellington's Faust und Don José's scharfem Stahl getroffen, der ihm die eigene Waffe in den Rücken trieb, eine Leiche, zu Boden.
Die kleine Hütte war im Augenblick ein Bild der Verwirrung, und das Verderben der Unglücklichen wäre besiegelt gewesen, hätten die Henker nicht auf das Zeichen des ausgesandten Spions gewartet. Aber die Furcht vor Feuerwaffen, die der Gaucho nicht leicht überwindet, besonders wenn er sie in den Händen von Europäern weiß, hielt sie zurück, und so gern sie das Blutgeld ihres Herrn verdienen mochten, so wenig dachten sie daran, ihre eigene Haut unnöthig dabei zu Markte zu tragen.
Ellington und Don José aber waren in dem Augenblick so bestürzt und erschreckt, daß der Spanier schon in der That das Messer zum zweiten Mal gezückt hatte, den eigenen Schwager, den er ebenfalls für einen der Angreifer hielt, niederzustoßen, als ein zufälliger Ausruf desselben noch sein Leben rettete.
Ellington besetzte jetzt vor allen Dingen die Thür, und - während Don José die Leiche aus dem Weg und in die eine Ecke zog, eilte auch der alte Herr herbei, um den Platz, der, wie er natürlich glauben mußte, schon vom Feind angegriffen wurde, vertheidigen zu helfen.
III.
Der Führer der mashorqueros stampfte indessen den Schnee in toller Ungeduld.
„Carajo!" rief er, dem alten Peon dabei einen grimmigen Seitenblick zuschleudernd - „ich glaube wahrhaftig, der Schuft von vaqueano hat uns betrogen und die vermaledeiten cringos gewarnt, anstatt ihre Waffen in unsere Hände zu liefern - Gift und Messer, wenn ich das gewiß wüßte!" /99/
Die Anrede war halb an den Alten gerichtet, und dieser, der sich unter dem boshaften, tückischen Blick des Henkers nicht gerade wohl fühlte, erwiderte ruhig:
„Pedro wird sich hüten und uns verrathen, er weiß gut genug, daß uns die Burschen nicht entgehen können; aber es ist auch möglich, er hat die Sache dumm angefangen, - und dann freilich wär's böse."
„Böse für Dich, compañero," knurrte der Andere, - „wenn uns die Schufte entgehen, so freu' Dich, denn ein Kopf ist mir sicher, und wenn er auch keine zwölf Unzen trägt, ist er doch des Mitnehmens werth."
„Paciencia, amigo," sagte der Alte trocken und mit unzerstörbarem Gleichmuth - „wenn der Tag dämmert, werden wir's sehen."
„Und glaubst Du, daß ich helles Tageslicht abwarten soll, mich von den Schuften nachher wie einen Hund todtschießen zu lassen, wenn ich mich nur in Kugelnähe auf dem Schnee blicken lasse?" tobte der Henker. „Jetzt, augenblicklich müssen wir den Angriff wagen, oder sie ziehen morgen früh aus und ab vor unseren Augen, ohne daß wir es hindern können. Die punta del vaca ist außerdem noch die einzige Hütte, an die ein Anschleichen möglich wäre, wenn ich überhaupt Lust hätte, mich weiter in die Schneeregion hinein zu wagen."
„Aber, amigo," sagte der Alte, „Du wirst Dir selber -"
„Fuego!" unterbrach ihn, ingrimmig den Boden stampfend, der Henker - „Du wirst reden, wenn ich Dich frage, und nun voran! Wohl verstanden, Du bleibst dicht an meiner Seite - es könnte sein, daß ich Dich brauchte."
Der Henker wandte sich von ihm ab, der alte Peon aber murmelte leise vor sich hin:
„Glaub's wohl, um irgendwo zur Scheibe zu dienen, während die Uebrigen von der andern Seite anschleichen - aber paciencia!" - und ruhig seinen Poncho etwas fester um sich ziehend, erwartete er den Entschluß des Anführers, /100/ dem er sich, wie er recht gut wußte, offen doch nicht widersetzen durfte.
Der mashorquero rief jetzt seine Schaar rasch zusammen, und mit der Gegend hier, ja mit jedem Stein und Felsenvorsprung seit langen Jahren vertraut, bedurfte es auch weiter keiner Berathung. Klar und deutlich wies er Jedem den von ihm bestimmten Platz an, um im entscheidenden Moment hervorzubrechen, und zu diesem bestimmte er den Augenblick, wo die Flüchtigen die Hütte selber wieder verlassen würden, um ihren Weg fortzusetzen.
Die casucha der punta del vaca besteht aus einer Doppelhütte von Steinen, und nur wenige Schritte von ihr entfernt läuft die Bank des Tucunjado in steilem Hang schräg nieder zu dem unten vorbeischäumenden Strom, den selbst der eisige Winter hier oben nicht unter der starren Decke fesseln konnte. Diesen Weg schlug er selber mit dem alten Peon und noch Einem von den Seinen ein, bis sie sich dahin durch den Schnee arbeiteten, wo sie durch den Ausbau der Hütte selber geschützt waren und leicht bis dicht hinankommen konnten. Der mashorquero hatte außer zwei kleinen Terzerolen auch noch einen leichten Lasso, ohne den ein Gaucho selten auf einen Kriegszug ausgeht, an seinem Gürtel hängen, und den Uebrigen noch einmal einprägend, so nahe als möglich an die Hütte hinanzurücken, begann er selber seinen weniger gefährlichen als mühseligen Pfad zu verfolgen.
Dem alten Peon war indessen die ganze Jagd von Grund aus verleidet worden. Weiteren Mühseligkeiten und Gefahren zu entgehen, hatte er sich den Treubruch gegen die Fremden zu Schulden kommen lassen, und jetzt mußte er in stockdunkler Nacht, zitternd vor Frost, dem nämlichen Ort durch den tiefen eisigen Schnee wieder entgegenkriechen, eine Kugel sein Lohn, wenn er von dort gesehen wurde, während der mashorqueros hinter ihm wenig Umstände gemacht haben würde, ihn sein Messer fühlen zu lassen, so er sich nur im Mindesten dessen Befehlen widersetzte. Er wäre auch mit dem größten Vergnügen zum zweiten Mal desertirt, aber wie erst hier fortkommen? Und gelang ihm das wirklich, hatten die Fremden dann nicht volle Ursache, seinen /101/ guten Absichten jetzt nicht zu glauben und ihn als einen Feind zu behandeln? - Was war überhaupt aus seinem Kameraden geworden?
Nur unendlich langsam rückten sie indessen vorwärts, denn der Schnee gab oft nach unter ihren Füßen, und wenn auch der Abhang im Ganzen nicht so steil war,