Friedrich Gerstecker: Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Amerika 1837-43. Friedrich Gerstecker
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Wir flogen nun mit günstigem Winde der neuen Heimat zu, und der Anblick der See und des Himmels war wahrhaft wundervoll. Der Ozean hatte jetzt seine eigentümliche Farbe, ein so wunderbar schönes Blau, angenommen, dass mich ordentlich eine Sehnsucht erfasste, hineinzuspringen und mich von diesem klaren, azurnen Wasser tragen zu lassen. Derartigen Wünschen machte aber rasch die obere Floße eines Haifisches ein Ende, der, als er das Schiff sah, ruhig hielt und es an sich vorbeistreichen ließ. Der Gedanke, zwischen die sechs Reihen Zähne einer solchen Bestie zu kommen, hatte doch etwas gar zu Unpoetisches.
Meine Aufmerksamkeit wurde jedoch bald auf etwas anderes gelenkt. Es war ein schwarzer Punkt auf dem Wasser, dem wir näher und näher kamen; erst glaubte ich, dass es eine Klippe sei, und fragte den Steuermann danach; doch meinte dieser, dass keine Klippe dort herum sein könne, sondern dass es etwas Schwimmendes sein müsse. Und so war es. Es kam näher, und als wir an ihm vorbei segelten, erkannten wir es als die zerrissenen Überreste eines Schiffes. Nun gibt es auf der ganzen Welt nichts Geeigneteres, die gute Laune einer in sich selbst vergnügten Schiffsgesellschaft zu stören, als solch ein kleines memento mori, das sich der fröhlichen Menschenseele so ganz wie aus dem Himmel herabgefallen zeigt. Oft sehr zur rechten Zeit mag es uns an jene lange Reise erinnern, die uns allen ja bevorsteht, und wo dann so ein Wrack den Posthof, von dem wir ausfuhren, und der eben gesehene Haifisch recht gut die erste Station vorstellen könnten.
Am 30. Mai war der Wind wieder ungünstig, und die See ging hohl. Die meisten Passagiere wurden auch richtig wieder seekrank, die Zahl der „Tapferen“ hatte sich aber doch auch verstärkt, und wir hielten wacker aus. Eine andere Freude stand uns aber trotzdem bevor. Eines schönen Morgens kam unser Doktor mit einem sehr blassen und bedenklichen Gesichte zu uns und erzählte, dass die Blattern an Bord ausgebrochen wären. Eins der Mädchen hatte sie, wie sich bald nachher zeigte, sehr heftig und bösartig. Der Zimmermann musste nun vor allen Dingen einen Verschlag vorn im Schiffe, wo bis jetzt Taue und Stricke aufbewahrt worden waren, zur Krankenstube einrichten, damit, wenn es irgend möglich wäre, keiner der anderen Passagiere angesteckt würde. Dahin wurde die Kranke geschafft, und die Gemüter beruhigten sich wieder etwas.
Als wir noch ruhig auf dem Verdeck standen, gab es auf einmal einen Mordspektakel im Zwischendeck; Flüche von Männern, Kreischen von Frauen und Schreien von Kinderstimmen schallte in einem ohrzerreißenden Chor von unten herauf. Rasch war ich unten, und hier bot sich meinen Blicken ein allerdings höchst komisches Schauspiel. Alles, was nur klettern konnte, hatte sich in die obersten Kojen, auf Kisten und Koffer oder auf sonst irgendeinen hohen Gegenstand geflüchtet, um nur vom Boden entfernt zu sein, den ein kleiner, weißer Spitz ganz allein einnahm. Dieser knurrte dabei und biss um sich, dass ihm der Schaum vor dem Maule stand, und alles schrie, als ich die Leiter hinuntersprang: „Ein toller Hund, ein toller Hund!“ Das Tier biss indes nach den ihm zunächst liegenden Sachen, taumelte auf Deck herum und geriet endlich zwischen zwei kleine Kisten, wo ich es, ehe es sich daraus wieder befreien konnte, hinten im Genick erwischte und aufhob. Machtlos schnappte und zappelte es dabei, aber nie werde ich den Schrei vergessen, den die Frauen in der Koje gerade über mir ausstießen, als ich den Hund emporhob und ihnen denselben dadurch etwas näher brachte. Ich ließ das arme Geschöpf jedoch nicht los, trug es die Leiter hinauf und warf es über Bord.
Es war der einzige Hund, den wir auf dem Schiffe hatten, und er gehörte dem guten Wilhelm, der in Bremerhaven mit Teer begossen wurde. Er schien die Sache aber sehr kühl zu nehmen und meinte, es wäre recht gut, dass das Tier fort sei, es wäre ihm doch immer nur mit den Pfoten ins Essen gefahren. Sein Vater und er blieben noch lange auf dem Verdeck, und als sie zuletzt wieder hinuntergingen, bekamen sie einen nicht eben freundlichen Empfang von der alten Frau, die seekrank im Bette lag. „Wilhelm – du – und – dein – Vater – ihr – seid – recht – dumme – Jungen, – lässt – mich – arme – alte – kranke – Frau – hier – unten – allein – liegen, – und – lauft – auf – dem – Verdeck – herum.“ Wilhelm, der größte Tollpatsch, der mir in meinem ganzen Leben vorgekommen, führte seine Verteidigungsrede mit vielem Eifer auf Plattdeutsch und setzte sich dabei auf die Hutschachtel seiner Mutter, die, ehe es jene bemerkte, zusammenbrach und den ganz verdutzten Jungen in ihrem Schoß aufnahm. Wilhelm bekam darauf verschiedene Ohrfeigen.
Bis zum 4. Juni hatte sich der Wind ganz gelegt und die See glich einem Spiegel, der nur durch die stete Bewegung und das Wogen der ungeheuren Wasserfläche hier und da gestört, aber nicht unterbrochen wurde. Das Schiff stand ganz ruhig, und wieder packte mich eine unwiderstehliche Lust zum Baden. Der Kapitän hatte das freilich der vielen Haifische wegen streng verboten; H. und ich aber sprangen früh am Morgen, als jener noch schlief, über Bord und wälzten uns, von dem lauen Salzwasser leicht getragen, mit unbeschreiblicher Wonne in dem klaren Elemente herum. Eine ungeheure Müdigkeit, wie ich sie nie nach einem Flussbade gespürt habe, erfasste mich jedoch nach dieser Seewasserpartie, bei der ich auch wohl ein wenig zu viel von dem salzigen Elemente geschluckt hatte.
Ich verschlief den Mittag, und als ich um zwei Uhr wieder aufs Verdeck kam, wurde flott getanzt. Das Schiff lag aber keineswegs ganz ruhig, denn wenn es auch nicht durch das Wasser zog, machte doch das fortwährende Wogen der See, dass es oft gar bedeutend von einer Seite zur anderen schwankt. Da war denn nichts possierlicher anzusehen, als wenn sich ein Teil der Tänzer, vielleicht fünf oder sechs Paare, auf der einen Seite schwenkte und das Schiff sich plötzlich schwerfällig auf die andere wälzte. Die Walzenden suchten dann wohl mit übergebeugtem Körper einen Augenblick das Gleichgewicht zu halten, rollten aber doch bald, den Gesetzen der Schwerkraft nachgebend, in einem Knäuel auf die andere Seite.
Als es dunkel wurde, hörte das Tanzen auf, aber desto schöner und wunderbarer wurde die See, da sich eine kleine Brise gerade mit Sonnenuntergang erhoben hatte, welche die ruhige Oberfläche kräuselte und uns leise vor sich her trieb.
Die dunkle See schien dabei wie mit Myriaden Funken und Sternen besät, und besonders da, wo das Schiff die Wogen durchschnitt und den weißen Schaum zurückwarf, glühte alles, als ob die Wellen in Feuer ständen. Jede Woge, die am Bug des Schiffes emporspritzte, leuchtete so, dass ich die Buchstaben in einem Buche genau erkennen konnte; auch hinten am Steuerruder war der Anblick herrlich. Obgleich es Deckpassagieren nicht erlaubt ist, die Grenzen des Zwischendecks zu überschreiten, war doch Kapitän Volkmann, der sich überhaupt höchst liebenswürdig und freundlich gegen die Passagiere benahm, nicht sehr streng in der Überwachung dieser Regel, und oft habe ich stundenlang dem Funkeln und Strahlen am Steuerruder zugesehen.
Als ich noch so dastand, die einzelnen auftauchenden und versinkenden Sterne betrachtend, hörte ich ein Brausen und Schnauben, ich sah auf, und ein ungeheurer Braunfisch von 18–20 Fuß Länge schnitt mit seinem dunklen Körper durch das von ihm aufgeregte blitzende und leuchtende Wasser, so dass er im Feuer zu schwimmen schien. Dicht unter mir, nahe am Steuerruder, verschwand er.
Am nächsten Tage begegneten wir einem Schiffe und fuhren keine fünfzig Schritt weit an ihm vorüber. Die Kapitäne riefen sich die Längen- und Breitengrade zu, unter denen sie sich befanden, ihre eigenen Berechnungen damit zu vergleichen; ebenso den Ort ihrer Bestimmung und ihrer Abfahrt. Von unserem Schiffe stieg dabei die Bremer Flagge,