Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch
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Als er Ende des Jahres 1518 auf Steckelberg bei seinen Eltern weilte, stellte er die Türkenrede, aus der er auf Zureden seiner Freunde in Augsburg die gegen den Papst gerichteten Stellen gestrichen hatte, unverkürzt her und versah sie mit einer Zuschrift an die wahren und freien Deutschen. Sollte ihm Gefahr drohen, sagte er darin, so verlasse er sich auf seine Deutschen, für die er soviel gewagt habe. Die Feinde und Unterdrücker Deutschlands sollten sich hüten, die Sache zum Äußersten zu treiben. Wenn es jemand gebe, der die deutsche Freiheit so vernichtet wünsche, dass man gegen kein Unrecht, keine Schmach mehr Einrede tun dürfe, der möge bedenken, dass die geknebelte und fast erwürgte Freiheit plötzlich losbrechen und sich wiederherstellen könnte. Einfangen und binden lasse sich die Freiheit wohl, wenn einer es schlau und geschickt anzufangen wisse, sie ganz zu vernichten sei unmöglich. „Ihr, denen des Vaterlandes Freiheit am Herzen liegt, die ihr Deutschlands Ehre erkennt und nicht ganz dem Aberglauben verfallen seid, leset, wagt Ähnliches und lebt wohl.“ Hutten glich einem Feldherrn, der ein Heer sucht, um es zu Krieg und Sieg zu führen. Und wie das Schicksal zeitenweise einem Menschen wie aus einem Füllhorn alles zuwendet, dessen er bedarf, ließ es Hutten einen Freund finden, der so gut wie ein Heer war. Immer darauf bedacht, sich nicht nur in den Wissenschaften, sondern auch in den eigentlichen Aufgaben seines Standes zu betätigen, nahm er teil an dem Feldzug, den der Schwäbische Bund im Frühling 1519 gegen den geächteten Herzog von Württemberg veranstaltete. Das lag ihm ohnehin nah, weil er in Vertretung seiner Sippe den Mörder eines Hutten öffentlich angeklagt hatte. Bei der Leichenfeier des verstorbenen Kaisers in Reutlingen hatte ein Bürger der Stadt im Streit einen Württemberger getötet. Das hatte Herzog Ulrich zum Anlass genommen, sofort aufzubrechen und die überraschte Reichsstadt zu unterwerfen. Die Klagen der Reichsstadt hätten vielleicht nichts gefruchtet, wenn nicht die Herzöge von Bayern, Brüder der gekränkten Frau des schwäbischen Herzogs, für dieselbe hätten eintreten wollen, wozu sie ihr Einfluss auf den Schwäbischen Bund in den Stand setzte. Im Dienst des Kaisers beteiligte sich auch Franz von Sickingen an der Spitze geworbener Landsknechte an diesem Feldzug, und bei dieser Gelegenheit befreundete er sich mit Hutten. Sickingen war ungelehrt, verstand kein Latein, hatte wenig gelesen und sich an die üblichen kirchlichen Gebräuche gehalten, ohne darüber nachzudenken. Nun begegnete ihm ein tapferer Standesgenosse, der ein enthusiastischer und zugleich kritischer Geist war, dabei mitteilsam und durch seine Abkunft mit der Art und Einstellung seines neuen Freundes vertraut. Wie so oft einfache Menschen, die nur handelnd im Leben standen, war Sickingen außerordentlich empfänglich für geistige Anregung; die erhielt er nun reichlich von Hutten. Mit lebhafter Teilnahme ging er auf die Gedanken und Betrachtungen des Freundes ein, verarbeitete sie mit der kräftigen Gründlichkeit, die in seinem Charakter lag, und machte sie sich ganz zueigen. Es gibt Menschen, die ihr Denken neben ihrem Tun einherlaufen lassen können, ohne Übereinstimmung zu fordern; es war das Große an Sickingen, dass er sofort sein Tun dem neugewonnenen Überblick unterstellte. Es war, als hätten die edleren Kräfte in ihm auf die rechte Losung gewartet, für die sie kämpfen könnten. Obwohl stark von Hutten beeinflusst, blieb er doch ganz der fest in sich ruhende Mann, der allen, auch Hutten, imponierte. Wie der Löwe der Legende, den der Mensch zähmt und der dem Menschen folgt und doch eine überlegene, furchtbare Kraft und ein bewundernswertes Werk der Natur bleibt, ging er gelassen, eigene, undurchschaubare Pläne hegend, seinen Weg weiter. Noch während des Feldzuges hatten die beiden Freunde Gelegenheit, sich als echte Ritter zu erweisen. Sie sorgten dafür, dass das Haus des geängstigten Reuchlin, für den Fall, dass Stuttgart mit Gewalt sollte erobert werden, nicht beschädigt würde, besuchten ihn und versicherten ihn ihrer Hilfe, wenn er durch seine Gegner noch ferner belästigt würde. Bei Worten ließ es Sickingen nicht bewenden. Er sagte dem Predigerorden förmlich die Fehde an, das heißt er verlangte von ihm, dass er aufhöre, Reuchlin zu belästigen, und dass er die Kosten des Prozesses trage. Der Schrecken, der vor Sickingens Namen herging, war so groß, dass der Orden auf alles einging; unterderhand allerdings bezeichnete er dem Papst das Zugeständnis als erzwungen und erreichte auch, dass Leo, die Entscheidung der früher von ihm eingesetzten Kommission missachtend, Reuchlins Buch verurteilte. Indessen war er dadurch, dass die Herzöge von Bayern ihn als Professor nach Ingolstadt beriefen, vor ernstlichen Verfolgungen geschützt. Obwohl nur sieben Jahre älter als Hutten, hatte Sickingen ein beträchtliches Stück Leben vor ihm voraus, das ihn gesetzter, gesättigter machte. Er hatte früh geheiratet und vor einigen Jahren seine Frau verloren, nachdem sie ihm drei Töchter und drei Söhne geboren hatte. Es scheint, dass sein häusliches Leben ihn befriedigt hatte, wieder verheiratet hat er sich nicht. Es ist nicht unmöglich, dass Äußerungen Sickingens oder sein Beispiel Huttens Gedanken auf die Ehe lenkten. Bald nach ihrer Begegnung schien das Schicksal ihm einen Weg zu öffnen, der von der tragischen Bahn abführte, die er eingeschlagen hatte. Sehnsucht nach Glück ergriff ihn, nach der einfach schönen Beseligung durch Liebe, wie sie aller Menschen, auch der ärmsten, Bestimmung und Geschenk sein kann, nach Weib und Kind, nach einem Eigen, einer Häuslichkeit, wo alle Misstöne sich in Wohlklang lösen, wo unter einer weichen Hand Friede und Heiterkeit blüht. Man weiß, dass das Mädchen, das er heimzuführen hoffte, Katharina Glauburg aus Frankfurt war, die Schwester eines Freundes. Er träumte von einem Haus, das ihre Lieblichkeit durchleuchtete, wo er, der bisher bei andern Gast und Fremdling gewesen war, in schönen Räumen und Gärten Freunde empfangen konnte, wie er es wohl in Nürnberg und Augsburg bei den reichen Patriziern gesehen hatte.
Vielleicht, dass Katharina Glauburg dem unscheinbaren, aber temperamentvollen Ritter zugelächelt hatte; aber ihre Mutter hielt den kränklichen Mann, der keine gesicherte Stellung hatte und durch rebellische Schriften Anstoß erregte, nicht für einen zu ihrer Tochter passenden Ehemann. Sie hatte wohl recht. Würde er die Fessel des häuslichen Glücks nicht abgeworfen haben wie einst die Kutte? Keine Äußerung von ihm verrät uns, ob der Ausgang ihn schmerzte, und wie tief. Nur einmal, wo er von seiner Mutter spricht, bebt eine süßere Schwingung persönlichen Lebens über die Saiten dieses heroischen Dichters. Über den zerfließenden Traum hinweg stürzte er sich, ohne zurückzublicken, in den Kampf.
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