Himmelsvolk. Waldemar Bonsels

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Himmelsvolk - Waldemar Bonsels

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Erde ein Fleckchen, so groß wie meine Hand, dachte er, auf dem nicht Leben schlummerte? Überall, wo Leben pocht, da glüht ein kleiner Lichtherd, eine Stätte, wo das Licht einmal in Verlangen erwartet und empfangen wird, wo es beglückt und zurückstrahlt. Nichts hat so viele Heimatrechte auf der Erde, wie das Licht.

      Die Luft wurde von einem Surren erfüllt, das kaum vernehmlich zwischen den schwarzen Stämmen begann, langsam anschwoll und nun beinahe drohend und feierlich über ihm dahinzog. Es war ein großer Wasserkäfer, der sich ein neues Gewässer suchte, um dort den Tag zu verbringen. Wie mag es ihm in der silbernen Dunkelheit und in der Ruhe der Luft behagen, dachte der Elf und sah ihm nach. Es wurde wieder still, dicht neben ihm glitzerte ein Tropfen so hell wie ein Diamant, fast wurden seine Augen geblendet, der Mond spiegelte darin, wie in geschliffenem Glas, aber es wurde darüber umher nicht heller, hinter ihm war die Nacht so schwarz wie Kohle. Der Tropfen behielt das Licht, es kreiste in seinem kühlen Rund, in freier Klarheit entstand eine unbeschreiblich erstrahlende kleine Welt für sich.

      Vielleicht leben auch in ihr Geschöpfe, dachte der Elf, halten die Sekunden ihrer Zeit für ein langes Dasein und empfangen unser Himmelslicht in eigenen Lichtherden, aus denen es als Freude widerstrahlt.

      Der Tropfen sank und erlosch in der Finsternis am Boden.

      Dem Elfen kamen die Schwalben in den Sinn, die er bis in die Stunde des sinkenden Abendlichts in schwindelnder Himmelshöhe hatte fliegen sehen. Eine von ihnen war am Tage mit ihm bekannt geworden, sie hatten sich auf dem Felde getroffen, wo der Vogel am Erdboden Lehm für sein Nest suchte, und die Erzählung der Schwalbe war wie ein strahlendes Bild der fernen Welt in sein Herz gesunken.

      Wie mag euch Schwalben die Erde erscheinen, die ihr bewohnt, dachte er nun in der Erinnerung ihrer Worte, wie anders werdet ihr sie kennen und empfinden als ein kleines Bodentier des ebenen Feldes, oder als der Mensch. Eure Reise nach dem Süden führt euch Jahr für Jahr über das schimmernde Meer, über welchem, wie über einer unabsehbaren, runden Silberfläche, die Sonne rot aufwacht, ihren hohen Strahlenweg geht, einsam über dem tausendfältigen Glitzern, und am Abend langsam, feuerrot in ihr helles Bett sinkt. Dann fliegt ihr allein über der großen Ebene, das Wasser sieht wie flüssiges Eisen aus, der Himmel im Westen wie durchscheinendes Glas und im Osten kalt und blau, im Wehn der herannahenden Nacht. – Wie schön die Schwalbe erzählt hatte.

      Seid ihr nicht viel mehr als alle, seid ihr nicht am glücklichsten, ihr Menschen, fuhr er in seinem Sinnen fort. Ich lebe unter Tieren und Pflanzen und kann euch nicht erscheinen, aber es zieht mich zu euch, stärker und freier als in jener ersten Nacht, in welcher ich euch erblickte und euer Glück verstand. Ihr Sonnenmenschen, ihr Gesegneten, die ihr geschickt seid, alles, alles zu empfangen! Was macht euch so reich an Frohsinn und Betrübnis, ich möchte den Grund der Quellen in euch kennen, aus denen die jauchzenden Lichtgarben eures Lachens entspringen und das schwermütige Geheimnis der Tränen. Wieviel Sagen von eurer Herrlichkeit und eurem Elend kennt die alte Welt!

      Wie aus tiefer Kindererinnerung stieg über solchen Gedanken in der Seele des Elfen eine Ahnung empor, als habe er schon zu einer anderen Zeit alles gewußt und alles erfahren. Die Seele ist so alt wie die Welt, dachte er, sie wird zur Erde geboren, um wieder jung zu sein. Aber kaum glaubte er sich einer Gewißheit zu erfreuen, da zog es aus blauen Tiefen heran wie Wolken, und ihn befiel eine Traurigkeit, so daß er sich aus dem Bereich der Ahnungen und Gedanken in die Welt der Erscheinungen zurückflüchtete.

      Leben, o schönes Leben auf der Erde, dachte er. Ihm war zumut, als sei er ein Geschöpf aus fremden Regionen der Welt, das nur träumte, es lebte auf der Erde unter ihren Wesen. Es lag am geheimnisvollen Weben der Nacht, daß alles ihm unaussprechlich wunderbar vorkam, und er sprach leise vor sich hin, wie Leute, die viel allein sind, es bisweilen tun, und sagte:

      »Es muß an meiner Herkunft liegen, und weil ich ein Fremdling bin, daß ich alle Erscheinungen, die mir begegnen, so groß, so schön und sonderbar empfinde. Wer in seiner Kindheit als ein Geschöpf seiner irdischen Eltern unter seinesgleichen erwacht, der wächst in seiner Umgebung empor, ohne daß ihn dies selige Erstaunen befällt, das immer und immer wieder mein Gemüt erschüttert. Anderen werden alle Dinge langsam vertraut, sie gewöhnen sich auch an das Schönste und nehmen es wie ihr selbstverständliches Recht hin. Sie haben sichere Augen und gleichmütige Gedanken, die Erde ist ihre Heimat, und sie wundern sich nur über den Tod, obgleich er das einzige ist, was sie bestimmt wissen. Alle Geschöpfe, die ich kennengelernt habe, haben mehr Zuversicht und ein größeres Vertrauen der Zugehörigkeit als ich, aber weniger Entzücken. Es muß daran liegen, daß sie die Erde längst gewohnt sind, aber ich kann mich nicht in ihre Wunder finden, denn ich bin niemals mit unbewußten Sinnen durch ihr blühendes Tal geschritten. Als ich die Sterne zum erstenmal sah, wußte ich, daß es die Sterne waren, ich erkannte das erste Lachen, das ich vernahm, aber es war meinen Lippen fremd, und der erste Sonnenschein überwältigte mich zu unnennbarem Glück. Auf die Anderen aber haben die Sterne schon niedergesehen, ehe ihre Augen sie erkennen konnten, Tränen sind wie Tau auf sie niedergetropft, Tränen der Freude oder des Schmerzes, und sie haben nicht gewußt, was sie bedeuten, ihnen ist alles vertraut geworden, bevor sie es erkannten, vielleicht sind sie viel glücklicher unter den Wohltaten ihrer Heimat, die sie blind, ohne Gedanken, hingenommen haben. Es ist gut so, die Pracht der Erde ist so groß, daß ein Mensch sterben müßte, wenn ihre Gewalt eines Tages plötzlich über ihn hereinbräche.«

      Während in dieser stillen Frühlingsnacht sein Herz auf solch seltsame Wanderschaft ging, überkam ihn plötzlich im Wandel von Andacht und Sorge ein geheimnisvolles Erzittern, und er mußte seine Arme ausbreiten, als gälte es, eine liebreiche Fülle zu umschlingen, und er verstand nicht, wie ihm geschah. Er mußte an die beiden Menschen denken, die sich in der Sommernacht seines Erwachens umarmt hatten, an alle Blüten, an alle, an die Sonne über den Wiesen und an den Jubel der Vögel im Grünen. Und plötzlich, wie in einer seligen Offenbarung, ahnte er das Wesen der Kraft, die ihn mit allem Leben in der Natur verband, und er mußte singen. Er wandte sich in die Weite, die im Mondlicht blühte, an die große, atmende Natur, die mit ihm ihrer Erlösung harrte, und sang:

      Du bist mein Eigentum, weil ich dich liebe,

       kein Sinn ermißt die Fülle meines Glücks.

       Wie bitte ich die Güte des Geschicks,

       daß mein Gemüt dem deinen nahe bliebe.

      Was dir geschieht, das soll auch mir geschehn,

       o Hort der Liebe, so in dir zu weilen.

       Nun lernt mein Herz in seiner Zeit verstehn,

       in deiner Anmut seinen Gram zu heilen.

      Im Osten tauchte ein schmaler Glutstrich auf, und der Elf faltete seine Hände, denn der Morgen kam. Ich werde euch alle, alle sehen und kennen und lieben, wie ihr seid, ihr Irdischen mit mir, dachte er, das soll mein Glück sein.

      Wiesenleute

      Viertes Kapitel

       Wiesenleute

      Der Elf saß unter den Blumen. Eigentlich war es sein liebster Aufenthalt, und er kannte keine schöneren Stunden, als in ihrer Gemeinschaft zu weilen, sein Glück erschien ihm vollkommen, wenn die Seligkeit der Blühenden ihm seine Einsamkeit in ein Fest glücklichen Bescheidens verwandelte. Er saß auf einem halbentrollten Farnblatt, um ihn her erhoben sich schlanke Grashalme, die unaufhörlich schaukelten und deren feine Stimmen die sanft bewegte Luft mit leisem Rauschen füllten. Aus der Höhe mischte sich das Summen der Insekten in dies gleichmäßige Lied, wie wir Menschen es von den Bäumen im Wind kennen.

      Es war ein reger Verkehr im Graswald, und zwischen

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