Himmelsvolk. Waldemar Bonsels

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Himmelsvolk - Waldemar Bonsels

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gern in einem Schlupfwinkel gewesen, bevor die Sonne emporstieg. Die Igel haben nicht viel für den Sonnenschein übrig.

      Da die Vögel und Blumen und alle kleinen Tiere der Waldwiese noch schliefen, entdeckte niemand den Igel, es wäre zweifellos ein großer Jammer unter ihnen ausgebrochen, denn Hassan war nicht beliebt, weil er von kleineren Tieren so viel fraß, als er irgend finden konnte. Wo immer es draußen im Wald in der Gemeinschaft einer Tiergesellschaft sein mag, überall fürchtet man den Igel, nirgends sieht man ihn gern. Es kommt sicher hierbei noch hinzu, daß er für gewöhnlich in der Abenddämmerung aufbricht. Das hat schon an sich etwas Unheimliches, auch ist er schwer von einem rundlichen dunklen Erdhaufen zu unterscheiden, wenn er still im Gras sitzt und auf Mäuse wartet. Was aber am peinlichsten ist, ist die Tatsache, daß er viel rascher laufen kann, als man denkt. Viele Tiere bekommen allein schon darüber einen solchen Schreck, daß sie sich in ihrer Verwirrung von ihm greifen lassen.

      Hassan kam etwas träge heran, ging das Bachufer nieder, trank ein wenig und sah nach dem Himmel. Es würde ein warmer Tag werden. Unter der großen Linde gefiel es ihm, er dachte sich, zwischen diesen dicken Wurzeln finde ich irgendeine Höhle, die mir den gewünschten Schlupfwinkel für den sonnigen Tag bietet, vielleicht, daß ich dort auch ein Mäusenest entdecke und für den Abend auf eine gesunde Mahlzeit rechnen kann.

      Nun muß man wissen, daß Hassan in Zwistigkeiten mit seiner Familie geraten war, um zu verstehen, daß er kein eigenes Heim hatte. Sein Vater hatte ihm eines Abends ohne viel Umstände erklärt, er solle sich ein eigenes Jagdgebiet suchen, denn die Umgebung ihrer gemeinsamen Behausung ernähre nicht mehr Vater, Mutter und die kleineren Geschwister, am allermeisten deshalb, weil es fast unglaublich sei, wieviel er, Hassan, an einem Tage verschlänge. Das läge an den Jahren; aber nun sollte er gehen.

      So rasch findet nun aber ein Igel kein neues Heim, auch dachte Hassan daran, sich zu verheiraten, und so war er genötigt, sich in der Fremde umzusehen. Und wie es oft ist, wenn man keinen anregenden Umgang mit seinesgleichen hat, so kommt man leicht ans Herumtreiben, und so war es geschehen, daß sich Hassan einmal wieder gründlich verspätet hatte.

      Als er nun langsam durch Blumen und Gräser auf die Linde zuschritt, dachte er: Hier sieht es nach guter Beute aus. Er gähnte und kroch unter die Wurzeln. Da sah er im Moos einen hellen Schimmer und erschrak, denn es war schwer zu begreifen, wie hier in die Schattendämmerung des Moosgrundes ein Lichtschein kommen sollte. Glühkäferchen kamen im Morgengrauen nicht vor, so konnte es nur noch ein Stückchen faulendes Holz sein, das oft einen weißlichen Glanz ausstrahlte, wie er im Sumpf erfahren hatte. Er bog um die letzte Wurzel, die wie ein dicker Schlangenleib aus den Farnkräutern kroch, und spähte vorsichtig in den Grund der kleinen Höhle, aus welcher das Licht kam.

      Da sah er einen unendlich kleinen Menschen mit hellgoldenem Haar im Moos liegen, auf einem weißen Kissen von Blumenblättern und in einem schimmernden Kleid, erglänzend und feiner gewoben als Spinnweben im Sonnenschein der Waldtiefe, und so leicht wie kühler Wind, der kaum das Zittergras bewegt. Es war durchaus nicht zu erkennen, woher das Licht kam, bis Hassan zu seiner unbeschreiblichen Verwunderung gewahr wurde, daß die Stirn, das Angesicht und die Hände des kleinen Menschenwesens aus eigenen Lichtgründen leuchteten. Was aber sein Gemüt am meisten bewegte, war der Ausdruck von Traurigkeit in dem schlafenden Angesicht des fremden Wunderkindes. Hassan mußte, er wußte selbst nicht wie es kam, an die ungetrübten Glücksstunden seiner Kindheit im Moorland denken, unter den Birken und im Ginster.

      Lieber Gott, dachte er, was geschieht mir nur, daß ich etwas so Liebliches finden soll? Und dann kam ihm in den Sinn: Ich muß irgend etwas für dieses Geschöpf tun. Vielleicht findet sich eine Beere oder ein ganz zarter Regenwurm, wenn es nur irgend etwas ist, wodurch ich es erfreuen kann, oder was es etwa beim Erwachen essen möchte. Über das Essen hinaus gibt es höchstens noch das Schlafen, und das tut dieses helle Himmelskind ohnehin. Wenn mir nur etwas Rechtes einfiele.

      Als er noch darüber nachdachte und dabei die Stirn runzelte, wie es seine Art war, und den dunklen Kopf mit der spitzen Schnauze und den wirklich sehr schönen und klugen Augen hin und her bewegte, erwachte der Elf und sah den großen Hassan dicht vor sich stehen, so daß die kleine Höhle geradezu verdunkelt worden wäre, wenn das Elfenkleid nicht geglänzt hätte.

      »Wo kommst denn du her?« fragte der Elf und lächelte.

      »Da, so, von hinten her, irgendwoher,« stotterte Hassan in großer Verlegenheit, »nehmen Sie es nicht übel. Wenn Sie wollen, geh ich sofort wieder.«

      »Nein, bleib nur,« sagte der Elf und erhob sich, »soviel ich weiß, bist du ein Igel, und wie mir scheint, sogar ein ganz prächtiger.«

      »Nein, nein,« sagte Hassan rasch, »nur so einer wie alle, aber wenn Sie wollen, gehe ich gleich.«

      »Hast du Eile? Siehst du nicht, wie schön es hier ist und wie strahlend der Tag werden will? Komm, wir gehen miteinander an den Bach. Übrigens kannst du ruhig du zu mir sagen, ich bin ein Blumenelf.«

      »So, so, ein Blumenelf,« sagte Hassan, »das ist aber sehr angenehm für Sie. Wollen Sie wirklich mit mir zusammen gehen? Ich bin nicht beliebt, wissen Sie, und auch sonst, ich bin eben ein Igel ...« Hassan hatte eigentlich etwas anderes sagen wollen, aber er war zu verwirrt durch den Anblick dieses hellen Wesens mit seinen Flügeln, die sein Haupt überragten und schimmerten wie Schnee.

      Sie gingen nebeneinander ans Wasser, und der Elf flog auf einen niedrigen Zweig des Berberitzenstrauchs, der ihn sanft schaukelte.

      »Sehen Sie,« sagte Hassan, »Sie sind doch ein Engel.«

      »O nein,« antwortete der Elf, »wenn du glaubst, ich sei ein Engel, so hast du niemals einen gesehen. Die Engel sind groß und leuchten wie die Sonne am Mittag, niemand kann in ihr Angesicht schauen, der nicht das seine vom Irdischen abgewandt hat.«

      »Nun, ich dachte, Sie wären vielleicht einer von den kleineren Sorten«, meinte Hassan schüchtern und bewegte seine schwarze Nase an der Spitze. Darüber mußte der Elf lachen.

      »Das sieht ungemein lustig aus, wenn du mit der Nase wackelst,« sagte er, »das kann nicht jeder.«

      »Mit der Nase erfahre ich, was ich nicht sehen kann«, sagte Hassan, sehr stolz darüber, daß der Elf so viel Anteil an seiner Eigenart nahm.

      »Flügel hätte ich wohl auch gern,« seufzte er nach einer Weile, »aber wo sollte man sie anbringen?« Er schaute bewundernd und glücklich zum Elfen empor, der mit dem Finger an die Tauperlen stieß und zusah, wie sie funkelnd ins Gras niederbrachen.

      »Große Tropfen, nicht wahr?« sagte er nachdenklich. Endlich meinte er und sah auf:

      »Ich bin nun schon lange Zeit auf der Erde und habe vielerlei erfahren, auch unter Menschen bin ich gewesen und habe ihre Worte gehört und ihre Hoffnungen, ihren Kummer. Es ist seltsam, wie sie und auch du und die meisten Wesen über die Engel denken. Sie glauben kaum noch daran, daß es welche gibt, und sehen sie selten. Vielleicht im Traum oder im Todesschmerz, auch wohl in ihrer höchsten Beseligtheit, aber es ist, als ob sie vergessen hätten, daß die Engel immer unter ihnen einhergehen. Wie oft hat ein himmlischer Engel ein Geschöpf angesehen, und es ist es nicht gewahr geworden. Woran mag es liegen?«

      »Ich weiß nicht«, sagte Hassan, der mit großer Spannung zuhörte. »Vielleicht liegt es an den Verhältnissen.«

      »Du kannst es auch nicht wissen,« meinte der Elf, »ich glaube, um die Engel sehen zu können, muß man ein Mensch sein und ein großes und gutes Herz haben. Oder vielleicht eine Blume; manche Blumen kennen die Engel.«

      »Kannst

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