Jochen Klepper: Der Vater Roman eines Königs. Jochen Klepper
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Aber auch der einfache Mann Creutz (Ehrenreich Bogislaus Creutz – 1670 – 1733) schrieb, und der Kronprinz war erstaunt, wie der neue Sekretär seiner Wusterhausener Landmiliz diese Kunst beherrschte, die im Volke nur sehr selten anzutreffen war.
Der königliche Münzmeister, so stand in dem Brief, habe in letzter Zeit einen Aufwand getrieben, der ihm vor des Conte Gaëtano Zeiten nicht möglich gewesen sei.
Der Graf aber habe sich, bevor er nach Berlin kam, in München den Umstand zunutze gemacht, dass nach der Schlacht von Höchstädt ein Volksaufstand ausgebrochen war. Ohne alle Papiere hatte er die Stadt verlassen; eine Flucht war es, keine Abreise. Der Kurfürst von Bayern, um unermessliche Summen von ihm betrogen, war gerade daran gewesen, ihn festsetzen zu lassen.
Creutz hatte auch sehr selbständig nachgeforscht, woher der Italiener nach München gekommen war: Er hatte am pfälzischen Hofe und bei dem Herzog von Savoyen Goldmacherdienste getan, und der Herzog, als er sich in den Händen eines Gauners und Gauklers sah, war so tief beschämt, dass er ihn dem verdienten Gericht nicht übergab, sondern mit allen erforderlichen Ausweisen nur heimlich des Landes verwies. Er hatte keine Sühne verlangt; er hatte sich nur mit der Zusicherung begnügt, dass Gaëtano in fremden Landen an keinem anderen Fürsten ähnliche Verbrechen begehen würde.
Aus solcher Scham des Herzogs von Savoyen flössen das Unglück und die Schande des ersten Königs von Preußen. Und die Schande erschien dem Thronfolger umso größer, je tiefer er mit seinem neuen Schreiber in die Vorgeschichte des Italieners eindrang. Der Kronprinz ließ es sich viel Reisegeld kosten. Der arme Mann Creutz sah die Welt. Aber er kam immer weiter von den Städten fürstlicher Höfe ab, drang in immer abgeschiedenere Gefilde, bis er es endlich wusste, dass Domenico Manuel Gaëtano der Sohn eines armen Bauern aus Petrabianca, weit hinter Neapel, war; ein kluger Sohn, ohne Frage, denn er hatte das feine Goldschmiedehandwerk gelernt und zudem, um das Lehrgeld bezahlen zu können, von Taschenspielereien sein Leben gefristet. Da fiel er einem Alchimisten auf; der wollte von dem gar so geschickten Burschen kein Lehrgeld; der bot ihm Löhnung und Kost.
Nach einem Jahre musste der Adept Gaëtano seine Heimat verlassen, und die Landreiter waren noch an der Grenze hinter ihm her. In Madrid war er schon kein Adept mehr. Dort begann er gleich mit eigener Alchimistenküche; dort wurde er auch gleich Betrüger genannt. Dafür trug die Frau, die mit ihm durch die Länder reiste, für eine halbe Million Taler Juwelen auf dem Leib und war doch nur eine Fleischerstochter aus einer so armen, dunklen Gasse, wie sie des hungrigen Mannes Creutz Jugend überschattet hatte.
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Der dritte Kurier für den Kronprinzen kam mit Eilpost aus Hannover. Der Sohn war tot, die Kronprinzessin nach Berlin zurückgekehrt. Endlich versicherte noch ein Handschreiben König Friedrich I., die Trauerfeierlichkeiten würden bis zum Eintreffen des tiefbetrübten Vaters aufgeschoben werden, ihm eine Tröstung und Erhebung zu geben.
„Ich habe hier nichts zu suchen.“ Mit solchen Worten nahm der Kronprinz Abschied vom Dessauer. „Es war keine Schlacht. Es ist auch keine Schlacht in Vorbereitung. Man hält Reden, die Unfrieden stiften sollen im Reich. Ich werde dem König sagen, dass hier sein und aller Fürsten Geld vertan wird nur für Habsburgs Träume.“
Er ging vom flandrischen Lager weg, sein totes Kind zu sehen. Er hatte im Krieg nicht einen Toten erblickt.
Die Kinderfrauen beteuerten, was sich beteuern ließ. Die Ärzte wussten viele lateinische Gründe für den Tod seines Sohnes. Die Kronprinzessin hatte keinerlei Ahnung gehabt. Nun war sie leidend, sprach kaum mit dem Gatten.
Als man Friedrich Wilhelm zu der einbalsamierten Leiche des Kindes führte, wusste er, warum sein Sohn gestorben war.
Der Knabe Fridericus Ludovicus war aufgebahrt im schweren Purpurmantel, die Krone auf dem schwachen Haupt, Zepter und Reichsapfel in seinen welken Händen, das Band des Schwarzen Adlerordens über der Brust, den Stern über dem schweigenden Herzen. Die Schweizergarde hielt die Totenwacht, mit siebenhundert silbernen Trommeln. Vor Schloss und Dom standen die Kanonen bereit, gelöst zu werden zum Trauersalut.
Der König hatte einen Sarg von Gold anfertigen lassen; am Fußende war ein mächtiger Adler ausgebreitet.
Vom Morgen bis zur Dämmerung durfte das Volk vorüberziehen und die Aufbahrung bewundern. Dem Kinde kam Ehre zu. Es war als der nächste Thronfolger begrüßt und ein Glück des Geschlechtes genannt worden. Der Kronprinz sprach nicht. Nur bat er die Ansbacher Brandenburgerin, sich seiner Frau anzunehmen.
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Der Dessauer hatte ihn dringend zurückgerufen. Als er ihn am Wagenschlag empfing, stürzte sich der Prinz in seine Arme.
Der Dessauer legte die Arme um ihn, ohne allen schuldigen Respekt. Er war ja selbst ein söhnereicher Vater.
„Mein Sohn lag in einem goldenen Sarge“, stöhnte Friedrich Wilhelm auf.
Da schauerte es den Dessauer. Und das geschah selten.
Niemand erschien seinem klaren Sinn geheimnisvoller als der junge Königssohn, von dem es an den Höfen immer nur hieß, dass er gewalttätig, eigenwillig und beschränkt sei und keine andere Bildung habe als die der Kaserne, keine andren Formen des Umgangs kenne als Kommandieren und Order parieren. Er müsse künftig einmal, so hatte es immer bei Hofe geheißen, die Minister für sich regieren lassen, denn er scheue ja die geringste geistige Anstrengung; er werde Verwicklungen herbeiführen und den Staat nicht schützen können. Wie sollte der Fürst von Anhalt-Dessau damit vereinen, was er nun im Lager sah!
Mit welchem Trübsinn grübelte der Prinz jetzt manchmal des Abends dem Fluch des eigenen Horoskopes nach; vielleicht dass Gott in seinen Sternen doch ein Zeichen gab! Das Zeichen der Unfruchtbarkeit war seinem Horoskope eingegraben.
Der Dessauer lachte den Prinzen aus, aber sein Lachen fand keinen Weg zum Herzen des trauernden jungen Vaters. Der Dessauer ließ nicht ab. Was hatte es denn mit Unfruchtbarkeit zu tun, wenn ihm sein erstes Kind starb! Er sollte doch einmal Umschau halten in den Häusern der Fürsten, der Bürger, der Bauern! Und war nicht seinem kurfürstlichen Großvater und selbst dem königlichen Vater das gleiche widerfahren, den ersten Sohn und ersehnten Thronfolger zu verlieren?
Der Kurprinz von Brandenburg beurlaubte sich vom Heer und reiste zu seiner Gattin, die sich im Kreise der Ihren in Hannover trösten ließ. Er fand sie in banger Sorge darüber, dass ihre Stellung am Berliner Hofe jetzt erschüttert sein könne. Er weilte einen Tag in stummer Anklage und Trauer bei ihr, und aus einer Nacht voller Fruchtbarkeit und Schwermut brach er wieder zu den Truppen auf.
Der unerfahrene Oberst Friedrich Wilhelm von Hohenzollern vertraute dem großen General Leopold von Anhalt-Dessau. Der hatte von der Schlacht gesprochen; nun würde sie sein.
Die Schlacht und der eigene Tod mochten kommen. Vielleicht wuchs schon der neue Sohn heran. Dachte der junge Fürst an die Schlacht, so war sein Gedanke nicht Sieg, sondern Tod.
Furchtbares musste sich vorbereiten: Aufruhr und Ausgleich neun kranker Jahre verschleppten und verrotteten Krieges. Der Kronprinz sah bereits mit des Dessauers Augen; er erkannte, dass Bündnis Handel war und Traktat nur Geschäft und Heer nur Söldnerhaufe; und Kampfgenossen waren die Rivalen ihrer Höfe. Tod musste wachsen, reif geworden in neun faulen Jahren. Er zwang sich, nicht an die neun Monate und das Reifen des neuen Kindes zu denken. Monat um Monat kämpften der Fürst und der Kronprinz vergeblich um den rechten Augenblick der Schlacht.
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