Skizzen aus dem Londoner Alltag. Charles Dickens
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Ein gut ausgeführtes Wettrennen auf der Themse mit Ruderbooten ist ein hübscher und interessanter Anblick. Das Wasser ist mit Fahrzeugen jeder Art übersäet – alle Kohlenbarken auf den verschiedenen Werften sind mit Zuschauern angefüllt – Bier und Tabak in Hülle und Fülle – Männer, Weiber und Kinder sehen dem Beginnen in athemloser Erwartung entgegen – sechs- und achtruderige Kutter gleiten leicht und zierlich hin und her, und warten nur darauf, ihre Protégés während des Rennens zu begleiten – Musikbanden tragen viel zur Belebung, wenn auch nicht zur Harmonie der Scene bei – zahllose Schiffleute stehen gruppenweise auf den zu den Docks führenden Treppen bei einander und handeln die verschiedenen Verdienste der Canditaten ab – und das Preisboot, das langsam von ein paar Bootsleuten herumgerudert wird, ist der Gegenstand des allgemeinen Interesses.
Es schlägt zwei Uhr, und Jedermann sieht ängstlich nach der Brücke hin, durch welche die Preiscanditaten kommen sollen – halb drei Uhr – die allgemeine Aufmerksamkeit, die sich so lange erhalten hat, beginnt nachzulassen, als man plötzlich einen Kanonenschuß und mit ihm den Lärm des entfernten Hurrahrufens auf beiden Ufern des Flusses hört – Alles reckt die Köpfe – der Lärm kommt näher und näher – die Fahrzeuge, die an der Brücke gewartet haben, werden plötzlich lebendig – eine wohlbemannte Galeere fährt durch den Bogen und ruft den Booten hinter ihr, die man noch nicht sehen kann, ermunternd zu.
»Da kommen sie,« schreit Alles – und wie ein Pfeil schießt das erste Boot – dessen Bemannung fast bis auf's Hemde entkleidet ist und jede Muskel anstrengt, um den bereits erlangten Vorsprung nicht zu verlieren – durch den Brückenbogen – vier weitere Boote folgen hart nach ihm – kaum zwei Bootslängen hinter dem ersten – das Geschrei ist fürchterlich und die Theilnahme allgemein. »Fahr' zu, Nelke!« – »Stich' sie, Rother!« – »Sullivin, hoch!« – »Bravo, George!« – »Nun, Tom, nun, – warum ist denn dein Kamerad so faul?« – »Zwei Krüge Porter gegen eine Pinte, der Gelbe gewinnt« – und so weiter. Jede Kneipe am Strand feuert ihre Böller ab und hißt ihre Flagge auf, und wen der Durst hineintreibt, der kommt mitten in einen wahren Teufelslärm und in eine Verwirrung sonder Gleichen, welche sich Niemand, der sie nicht selbst mit angesehen hat, denken kann, und von der jede Schilderung nur ein schwaches Bild zu geben vermag.
Zu den amüsantesten Plätzen, die wir kennen, gehört unstreitig die Dampfschiffwerft an der London-Bridge, oder der Kay der St. Katharinens-Dock-Compagnie, an einem Sonnabendmorgen zur Sommerszeit, wo die Gravesend- und Margate-Dampfboote gewöhnlich bis zum Uebermaße angefüllt sind; und da wir eben einen Blick über die Brücke auf den Fluß geworfen haben, so hoffen wir, unsere Leser werden nichts dagegen haben, uns an Bord eines Gravesend-Packetschiffes zu begleiten.
Jeden Augenblick halten Kutschen am Eingange des Kay's, und es ist fast zum Todtlachen, wenn man sieht, in welch verblüfftem Staunen sich die Passagiere darin ergeben, wenn ihnen die Träger ohne Weiteres, als wenn sich dieß von selbst verstände, ihr Gepäck entreißen und damit fortrennen, der Himmel weiß wohin. Ein Margateboot hat an dem Werft angelegt, das Gravesendboot (das zuerst abgeht) liegt unmittelbar an diesem, und da durch übergelegte Planken mit einem Geländer einstweilen eine Verbindungsbrücke zwischen beiden Booten hergestellt ist, so trägt dieß nicht wenig dazu bei, die Verwirrung der Scene, welche ohnedieß schon groß genug ist, noch zu erhöhen.
»Gravesend?« fragte der starke Vater einer nicht minder starken Familie, die ihm unter dem Schutze der Mutter und einer Magd nachfolgt, wobei kein kleines Risico ist, daß nicht zwei oder drei von den Kindern in der Verwirrung verloren gehen. »Gravesend?«
»Gehen Sie nur gefälligst zu, Sir,« erwiederte der Aufseher. – »Das zweite Boot, Sir.«
Der Herr Papa, der nun eigentlich erst nicht weiß, woran er ist, und die Frau Mama, die eigentlich vor Besorgniß um ihre Küchlein ganz weg ist, sammt der ganzen Gesellschaft lassen sich nun in dem Margate-Boote nieder, wünschen sich Glück, daß sie noch so bequeme Sitze erhalten haben, und dann eilt der besorgte Vater zu dem Dampfkamine, um nach seinem Gepäcke zu sehen, von dem ihm eine dunkle Erinnerung vorschwebt, daß er es irgend einmal einem Manne gegeben habe, um es irgend wohin zu tragen. Aber kein Packet, das auch nur die entfernteste Aehnlichkeit mit dem seinigen weder in Größe noch Gestalt hätte, kann er entdecken, worauf der starke Vater sich sehr laut an einen Angestellten des Boots wendet und ihm den Fall in Gegenwart des Vaters einer andern Familie vorträgt, der ein kleiner schmächtiger Mann ist und vollkommen mit ihm (dem starken Vater) derselben Meinung ist, es sei hohe Zeit, daß endlich einmal etwas mit diesen Dampfboot-Compagnien geschehe, und wenn es die Corporationsbill nicht thun wolle, so müsse es Jemand anders thun; denn wahrlich, so dürfe man mit dem Eigenthum der Leute nicht umgehen; wenn das Gepäck nicht im Augenblick zur Stelle geschafft würde, so wolle er Sorge tragen, daß es in den Zeitungen bekannt gemacht werde, denn das Publikum brauche sich nicht zum Opfer solcher Monopolien machen zu lassen; worauf der Angestellte erwiedert, daß die Compagnie stets, seit sie als St. Kat'rine's Dock Company bestehe, Leben und Eigenthum in Schutz genommen hatte; wenn es die London-Bridge-Wharf-Company gewesen wäre, dann würde es ihn freilich nicht Wunder nehmen, denn er wisse leider wohl, daß die Moralität dieser Compagnie gar keine Garantie darbiete (sie sind nämlich Konkurrenten); er sei indeß überzeugt, daß hier nur ein Mißverständniß obwalte, und erbiete sich, einen feierlichen Eid abzulegen, daß der Herr sein Gepäcke finden werde, noch ehe er nach Margate komme.
Hier glaubt nun der starke Vater einen kapitalen Einwurf zu machen, wenn er erwiedert, daß er zufällig gar nicht im Sinne habe, nach Margate zu fahren, und daß auf dem Gepäcke mit schönen großen Buchstaben geschrieben stehe: »Passagiersgut nach Gravesend,« worauf der Angestellte hastig das Mißverständniß auseinandergesetzt und die Mutter, Magd und Kinder mit aller möglichen Eile an Bord des Gravesend-Boots spedirt werden, welches sie gerade noch zeitig genug erreichen, um die Entdeckung zu machen, daß wohl ihre Effecten aber die bequemen Sitze nicht mehr da sind. Jetzt ertönte die Glocke, welche das Zeichen zur Abfahrt des Gravesend-Bootes gibt, wie rasend, und es ist die höchste Zeit für die Leute, im Doppelschritt hinein oder heraus zu rennen; die Glocke schweigt, das Boot fährt ab; Leute, die von ihren Bekannten an Bord Abschied nehmen wollten, werden gegen ihren Willen mit fortgenommen, und andere, die sich von ihren Bekannten am Ufer verabschiedet haben, finden, daß dieß eine sehr unnöthige Ceremonie war, denn sie werden gar nicht mitgenommen. Die regelmäßigen Passagiere, welche Billete für die ganze Saison haben, gehen zum Frühstücke hinab; wer Morgenblätter gekauft hat, schickt sich an, sie zu lesen; und wer vorher noch nie den Fluß hinabgefahren ist, denkt, daß sowohl die Schiffahrt als das Wasser in der Ferne sich doch um ein Ziemliches besser ausnähmen.
Sind wir aber endlich in die Gegend von Blackwall gekommen, wo die Bewegung lebendiger zu werden beginnt, so ermuntern sich auch allmälig die Lebensgeister der Passagiere. Alte Frauen mit großen geflochtenen Handkörben gehen ernstlich an's Werk, tüchtigen Butterbroden den Garaus zu machen, und lassen dazwischen ein Weinglas herumgehen, welches häufig aus einer wie ein Magenwärmer aussehenden Flasche wieder gefüllt wird, wobei dann nicht wenig Fröhlichkeit herrscht; sie reichen es zuerst dem Gentleman mit der Fourragiermütze, der die Harfe spielt, theils zum Zeichen ihrer Zufriedenheit mit seinen bisherigen Leistungen; theils damit er dem »Alick,« der darnach tanzen möchte, den Dumbeldumdery spiele. Dieß geschieht sofort auch, und Alick in rothen wollenen