Skizzen aus dem Londoner Alltag. Charles Dickens

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Skizzen aus dem Londoner Alltag - Charles Dickens

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die stets bei dem wohllautenden Namen »Onkel Bill« gerufen wird – augenscheinlich der Witzbold der Gesellschaft – bei einander versammelt. Sie haben etwa ein halbes Dutzend Kinder bei sich; aber es ist kaum nöthig, dieses Umstandes zu erwähnen, da er hier eine zu natürliche Sache ist. Jede Frau in »den Gärten« muß, wenn sie eine Zeitlang verheirathet ist, wenigstens zwei- oder dreimal Zwillinge geboren haben, denn sonst wäre es unmöglich, daß die jugendliche Bevölkerung so zugenommen haben könnte. Man beobachte, welch' unaussprechliches Vergnügen der Großmutter Onkel Bill's glänzender Witz macht: »Thee für vier und Brod und Butter für vierzig Personen«; und was für ein lauter Ausbruch von Fröhlichkeit, wenn er ein Papier zusammenwickelt und es dem Aufwärter als »Zopf« am Kragen befestiget! Der junge Mann ist augenscheinlich »der Verlobte« von Onkel Bill's Nichte, und Onkel Bill's Winke: – »Vergessen Sie meiner bei dem Mittagsessen nicht, Sie wissen schon« – »Ich werde mich wohl nach dem Hochzeitkuchen umsehen müssen, Sally« – »Ich bitte mir die Taufpathenstelle bei deinem Erstgeborenen aus« – »Ich wette, es ist ein Knabe,« und so weiter, brachten die jungen Leute eben so sehr in Verwirrung, als sie den Alten Vergnügen machten. Was die alte Großmutter betrifft, so lebt sie in völligem Entzücken und lacht in Einem fort fast zum Ersticken, bis man endlich mit dem Wachholder und Wasser gehörig »den Magen erwärmt« hat, worauf Onkel Bill vorschlägt, nach dem Thee das Glas noch einmal herumgehen zu lassen, blos um sich gegen die Abendluft zu schützen und einen so erstaunlich heißen Tag »comfortabel, und wie es sich gehört, zu beschließen.«

      Es ist nun finster geworden und die Leute fangen an, aufzubrechen. Das Feld nach der Stadt hin ist völlig von ihnen übersäet; die Kinderchaischen werden langsam nachgeschleppt; die Kinder sind müde und unterhalten sich und die Gesellschaft durch Schreien, oder wenden sich zu einem angenehmeren Auskunftsmittel – sie schlafen; die Mütter wünschen, wenn sie nur schon zu Hause wären; die Liebhaber werden sentimentaler als je, denn die Zeit der Trennung naht heran; bei der Beleuchtung von zwei Laternen, die zur Bequemlichkeit der Raucher an den Bäumen hängen, sehen die Gärten gewaltig düster aus – und die Aufwärter, die während der letzten sechs Stunden unaufhörlich hin und her jagten, fühlen sich ein wenig ermüdet, wenn sie endlich ihre Gläser und ihre Einnahme zählen.

      Zehntes Kapitel

      Der Fluß.

      »Sind sie ein Freund von Wasserpartien?« wird man in heißen Sommertagen von wahrhaft amphibienähnlich aussehenden jungen Leuten gefragt. »Ein großer«, ist die gewöhnliche Antwort; »Sie nicht auch?« – »So oft es mir möglich ist,« hört man erwiedern, »bin ich auf dem Wasser.« Und dann kommen allerlei Redensarten, welche des Sprechers außerordentliche Bewunderung und Vorliebe für dieses Element ausdrücken. Haben wir nun auch alle Achtung vor den Wasserpartien im Allgemeinen, und vor denen der Kutter-Clubbs im Besondern, so können wir doch die leise Bemerkung nicht unterdrücken, daß gewiß Jedem, der sich schon zuweilen der Themse anvertraut hat, von derlei Wasserpartien einige schmerzliche Erinnerungen geblieben sind. Wer hat je von einer vollkommen glücklich ausgefallenen Wasserpartie gehört? – oder, um die Frage noch verständlicher zu stellen – wer hat je eine gesehen? Wir haben unzähligen solchen Wasserausflügen mit angewohnt, können aber auf das Feierlichste versichern, daß wir uns auch nicht Einer Veranlassung dieser Art erinnern, die nicht mit mehr Unannehmlichkeiten verknüpft gewesen wäre, als man in einem so kleinen Zeitraume von acht oder neun Stunden billigerweise hätte erwarten sollen. Irgend etwas ist stets dabei schlimm abgelaufen. Entweder ist der Kork aus der Salatiere herausgesprungen, oder das sehnsüchtigst erwartete Mitglied der Gesellschaft nicht gekommen, oder hat sich ein höchst widerwärtiger Mensch angeschlossen, oder sind ein paar Kinder in's Wasser gestürzt; oder der Herr am Steuerruder hat die ganze Fahrt über Alles in die größte Lebensgefahr gebracht; oder die Herren, die sich freiwillig zum Rudern erboten, konnten nicht damit umgehen und machten in der That ganz gefährliche Evolutionen, stießen ihre Ruder in's Wasser und konnten sie nicht mehr herausbringen, oder machten erschreckliche Schläge, ohne daß sie diese etwas genützt hätten, purzelten aber in jedem Falle gewaltsam hinterrücks hinein, und streckten den Uebrigen im Boote auf höchst unhöfliche Weise ihre Schuhsohlen entgegen.

      Wir müssen übrigens zugeben, daß die Ufer der Themse sehr schön sind, insbesondere bei Richemond, Twickenham und andern entfernteren Orten, wohin man oft will, aber selten kommt; auch ist von »Red-us« rückwärts bis zu der Blackfriars-Brücke ein prachtvoller Wechsel der Scenerie. Das Penitentiary ist ohne Anstand ein stattliches Gebäude, und die fröhliche Jugend, welche diese Flußpartie an Sommerabenden besonders gerne zum Baden erwählt, mag sich von Ferne gar nicht übel ausnehmen; wenn man aber bei der Heimfahrt sich hart am Ufer zu halten genöthigt ist, und die jungen Damen erröthen und beharrlich auf die andere Seite sehen, die verheiratheten Ditto's aber ein wenig zu hüsteln anfangen und ganz starr auf das Wasser blicken, so fühlt man sich gewiß recht unbehaglich – besonders wenn man es sich etwa seit ein paar Stunden nur entfernt hat beigehen lassen, den Sentimentalen zu spielen.

      Obwohl nun aber Erfahrung und manche ausgestandene Widerwärtigkeiten uns zu diesem Resultate gebracht haben, so sind wir doch keineswegs für das eigenthümliche Vergnügen und für den Spaß blind, den man als bloßer Zuschauer bei den Freuden der Wasserpartien haben kann. Was kann man wohl Unterhaltenderes finden, als Searle's Yard an einem schönen Sonntagmorgen? Die Fluth ist günstig nach Richmond, und ein Dutzend Boote rüstet sich zur Aufnahme der Gesellschaften, von denen sie bestellt worden sind. Zwei oder drei Burschen in weiten groben Beinkleidern und Guernseyhemden treffen Vorbereitungen zur Abfahrt, ohne sich übrigens sehr zu beeilen, sie kommen mit ein paar Rudern und einem Kissen den Hof herab, treiben dann Possen mit dem »Jack«, der, wie Alle seines Gleichen, zu nichts als zum Herumlungern nütze zu sein scheint, gehen hierauf zurück, und bringen eine Ruderleine und einen Fußstock, treiben abermals neue Possen und stehen dann herum, die Hände in ihren weiten Taschen, und wundern sich, wo die Herren wohl bleiben, die den Sechsruderer bestellt haben. Einer von ihnen, der Oberbootsmann, der seine Beinkleider sorgfältig unten aufgestülpt hat – wie wir vermuthen, um das Wasser zuzulassen, denn in diesem Elemente ist er weit mehr zu Hause, als auf dem Lande – ist ein Charakter ganz wie der dahingeschiedene Austernverschlinger Dando, dessen berühmten Namen er auch führt. Man beobachte ihn nur, wenn er einige Minuten von seinen Beschwerden ausruht, sich dazu nachlässig in einen Winkel des Bootes setzt, und seine breite, behaarte Brust mit einer kaum halb so zottigen Mütze fächelt. Man sehe seinen stattlichen, wenn gleich etwas röthlichen Bart, und gebe auf seinen, ihm gewissermaßen angeborenen Humor Acht, mit dem er die Jungen und Lehrlinge neckt, oder von den Gentlemen listig etwas zu einem Glase GeneverA6 herauszulocken weiß, von dem er, wie wir wohl annehmen dürfen, so viel in einem Tage zu sich nimmt, als sechs gewöhnliche Menschen, ohne daß es im Geringsten schlimmer um ihn stände.

      Endlich kommt die Gesellschaft, und Dando wird aus seiner Ungewißheit gerissen und in Thätigkeit versetzt. Die Herren rücken in vollständigem Wassercostüme an – mit runden, blauen Jacken, gestreiften Hemden, und Mützen von allen möglichen Größen und Formen, von der schlafkappenähnlichen Sammetmütze französischen Fabrikats, bis zu der leichten Kopfbedeckung, welche, wie denen bekannt, die sich noch des alten Abcbuchs bedient, nach Maßgabe des vorgesetzten Porträts einen Theil von dem Costüme des ehrwürdigen Mr. Dilworth ausgemacht hat.

      Dieß ist die amüsanteste Zeit, um eine der regelmäßigen Sonntags-Wasserpartien mit anzusehen. Ohne Zweifel haben bisher Alle sehr mit ihren Kenntnissen vom Schifffahrtswesen geprahlt; plötzlich kühlt aber der Anblick des Wassers ihren Muth, und es ist nun höchst ergötzlich anzusehen, mit welcher Selbstverläugnung Jeder den Andern auffordert, ein Ruder zur Hand zu nehmen. Wenn endlich, nach vielem Wechseln und Hin- und Herrennen, die Wahl der Ruderer getroffen ist, kann der Eine nicht auf dieser, der Andere nicht auf jener Seite, und ein Dritter gar nicht rudern; aber die Mannschaft sitzt einmal. »Abgestoßen!« ruft nun der Bootsmann, und sieht eben so unbefangen und behaglich aus, als ob er in der Bai von Biscaya steuerte. Der Befehl wird befolgt; das Boot dreht sich alsbald völlig rund um und dahin geht es durch die Westmünsterbrücke mit einem so unerhörten Spritzen, Ringen und

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