Die Schatzinsel. Robert Louis Stevenson
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»Na, Bill, bleibe nur ruhig sitzen,« sagte der Bettler. »Wenn ich auch nicht sehen kann, so kann ich dafür hören, wenn einer einen Finger rührt. Geschäft ist Geschäft. Strecke deine linke Hand aus! Junge, nimm seine linke Hand am Gelenk und bringe sie an meine rechte heran!«
Wir gehorchten ihm beide auf den Buchstaben, und ich sah, wie er mit der Hand, die den Stock hielt, etwas in des Kapteins Hand legte, die sich sofort schloss.
»Na, das ist also abgemacht!« sagte der Blinde; und mit diesen Worten ließ er mich plötzlich los und lief mit unglaublicher Sicherheit aus der Schenkstube heraus und auf die Straße. Ich stand regungslos da und hörte, wie das Auftappen seines Stockes sich allmählich in der Ferne verlor.
Es dauerte eine ziemliche Zeit, bis der Kaptein und ich wieder zur Besinnung kamen; schließlich ließ ich sein Handgelenk los, das ich immer noch gehalten hatte, und er öffnete seine Faust beinahe in demselben Augenblick und warf einen scharfen Blick in die hohle Hand und rief:
»Um zehn, noch sechs Stunden. Dann wollen wir sie noch anführen!«
Er sprang auf. Aber in demselben Augenblick taumelte er, fuhr mit der Hand an seine Kehle, schwankte einen Augenblick hin und her und fiel dann, indem er einen sonderbaren Ton ausstieß, seiner ganzen Länge nach auf den Fußboden. Ich lief sofort zu ihm und rief nach meiner Mutter. Aber unsere Eile hatte keinen Zweck mehr. Der Kaptein hatte einen neuen Schlaganfall bekommen und war tot.
Es ist merkwürdig: ich hatte gewiss diesen Mann niemals geliebt, wenn er auch in der letzten Zeit mir leid getan hatte; aber sobald ich sah, dass er tot war, brach ich in eine Flut von Tränen aus. Dies war der zweite Todesfall, den ich erlebte, und der Kummer um den ersten war noch frisch in meinem Herzen.
Viertes Kapitel: Die Schifferkiste
Natürlich erzählte ich meiner Mutter sofort alles, was ich wusste und was ich ihr vielleicht schon längst hätte erzählen sollen. Wir erkannten sogleich, dass wir uns in einer schwierigen und gefährlichen Lage befanden.
Ein Teil von dem Gelde des Kapteins – wenn er überhaupt welches hatte – gehörte ohne Zweifel uns; aber es war nicht wahrscheinlich, dass unseres Kapteins Schiffskumpane, von denen ich zwei Musterexemplare gesehen hatte, den Schwarzen Hund und den blinden Bettler, geneigt sein würden, ihre Beute herauszugeben, um damit die Schulden des Toten zu bezahlen. Wenn ich den Befehl des Kapteins befolgt hätte, mich sofort auf ein Pferd gesetzt und Dr. Livesey geholt hätte, so wäre meine Mutter allein und ohne Schutz geblieben; daran war natürlich nicht zu denken. Ebenso unmöglich erschien es uns beiden, noch viel länger im Hause zu bleiben; wir erschraken, wenn nur eine Kohle in der Küche raschelte, ja sogar vor dem Ticken der Wanduhr. Unsere Ohren glaubten in der Nachbarschaft Schritte zu hören, die sich unserem Haus näherten. Auf dem Fußboden der Schenkstube lag der Leichnam des Kapteins, und um ihn schwebte gewissermaßen die Gestalt des abscheulichen blinden Bettlers, der jeden Augenblick zurückkehren konnte. Fortwährend sträubten sich die Haare auf meinem Kopfe, und ich bekam eine Gänsehaut, wie man zu sagen pflegt.
Jedenfalls mussten wir schnell zu irgendeinem Entschluss kommen; und am Ende hielten wir es für das Beste, beide miteinander das Haus zu verlassen und in dem nahen Dorfe Hilfe zu suchen. Gesagt, getan. Mit bloßen Köpfen liefen wir sofort in die Dämmerung hinaus und in den kalten Nebel hinein.
Das Dörfchen lag nur wenige hundert Schritte von unserem Hause entfernt, obwohl man es vom »Admiral Benbow« aus nicht sehen konnte, denn es lag am anderen Ufer der nächsten Bucht. Besonders ermutigte mich der Gedanke, dass das Dorf in entgegengesetzter Richtung zu der lag, aus welcher der Blinde gekommen und wohin er vermutlich zurückgekehrt war. Wir waren nur wenige Minuten auf der Straße, obgleich wir einige Male stehenblieben, um eng aneinandergeschmiegt zu lauschen. Aber es war nichts Ungewöhnliches zu hören – nichts als das leise Plätschern der Wellen und das Krächzen der Krähen im Walde.
Die Lichter waren schon angezündet, als wir das Dorf erreichten, und ich werde niemals vergessen, wie froh es mich machte, den gelben Schein in Türen und Fenstern zu sehen. Leider stellte sich heraus, dass wir dort nicht viel mehr Hilfe bekommen konnten. Man sollte meinen, die Leute hätten sich vor sich selber schämen müssen – aber es ist Tatsache: keine Seele wollte mit uns nach dem »Admiral Benbow« zurückgehen. Je mehr wir von unseren Sorgen sprachen, desto fester klammerten sie sich an das Obdach ihrer Häuser – Männer sowohl wie Frauen und Kinder. Der Name des Kapitäns Flint, den ich früher niemals gehört hatte, war vielen von den Leuten gut genug bekannt und jagte ihnen große Furcht ein. Einige von den Männern, die jenseits unseres Hauses auf den Feldern gearbeitet hatten, erinnerten sich außerdem, verschiedene Fremde auf der Landstraße gesehen zu haben; sie hatten sie für Schmuggler gehalten und waren deshalb aus Vorsicht nach Hause gegangen; einer von ihnen hatte sogar einen kleinen Küstenschoner in der Bucht Kittshole gesehen. Der bloße Gedanke, dass Kumpane von Kapitän Flint in der Nähe wären, genügte, sie auf den Tod zu erschrecken. Kurz und gut: es waren zwar mehrere gern bereit, zum Dr. Livesey zu reiten, dessen Haus in einer anderen Richtung lag, aber keiner wollte uns helfen, unser Haus zu verteidigen.
Man sagt, Feigheit sei ansteckend; andererseits ist es aber auch wahr, dass Zureden manchmal hilft. Darum hielt meine Mutter eine Ansprache an sie, als jeder sein Sprüchlein gesagt hatte. Sie erklärte, sie wolle kein Geld verlieren, da es ihrem vaterlosen Knaben gehöre.
»Wenn keiner von euch den Mut hat,« sagte sie, »so haben Jim und ich ihn; wir gehen wieder dahin, von wo wir gekommen sind, und mögt ihr großen, waschlappigen, ängstlichen Männer euch schämen! Die Kiste wollen wir öffnen, und wenn es uns das Leben kosten sollte. Und wenn Ihr so gut sein wollt, Frau Croßley, so gebt mir Euren Sack da, damit ich unser Geld hineintun kann, das uns von Rechts wegen gehört.«
Natürlich sagte ich, ich wolle mit meiner Mutter gehen; und natürlich erhoben sie alle ein lautes Geschrei über unsere Tollkühnheit; aber das Ende vom Liede war, dass trotz alledem kein Mann uns begleiten wollte. Es war nichts weiter zu erreichen, als dass sie mir eine geladene Pistole gaben, für den Fall, dass wir angegriffen würden, und dass sie uns versprachen, es sollten gesattelte Pferde bereit gehalten werden, für den Fall, dass wir auf unserem Rückweg verfolgt würden; außerdem sollte ein junger Bursche sofort zum Doktor reiten, um bewaffnete Hilfe herbeizuholen.
Mir klopfte das Herz, als wir beiden in der kalten Nacht auf dieses gefährliche Abenteuer auszogen. Der Vollmond ging eben auf und schien rötlich durch den oberen Rand des Nebels. Dies veranlasste uns zu besonderer Eile; denn es war klar, dass es taghell sein würde, bevor wir wieder zu Hause wären, so dass man uns sehen musste, wenn Beobachter aufgestellt waren, wie wir es von den Seeräubern wohl annehmen konnten. Wir schlichen uns geräuschlos und schnell an den Hecken entlang, doch sahen oder hörten wir nichts, was unsere Ängste vermehrte, bis, zu unserer großen Erleichterung, die Tür des »Admiral Benbow« sich hinter uns geschlossen hatte.
Ich schob sofort den Riegel vor, und wir standen keuchend einen Augenblick im Dunkeln – ganz allein im Hause mit der Leiche des Kapteins. Dann holte meine Mutter eine Kerze aus dem Zapfraum; und Hand in Hand gingen wir in die Schenkstube. Der Kaptein lag so, wie wir ihn verlassen hatten: auf dem Rücken, die Augen weit offen, den einen Arm ausgestreckt.
»Zieh den Fenstervorhang herunter, Jim!« flüsterte meine Mutter; »sie könnten kommen und uns von draußen beobachten.«
Als ich dies getan hatte, fuhr sie fort:
»Und nun müssen wir den Schlüssel kriegen von dem da; und wer ihn anrühren soll, das möchte ich wohl wissen!«
Und sie stieß eine Art von Seufzer aus, als sie diese Worte sagte.