Gösta Berling. Selma Lagerlöf

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Gösta Berling - Selma Lagerlöf

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Wort zu sagen, das Bärenfell mitten unter sie. Niemand muß nun glauben, daß er etwas von seinem Abenteuer erzählt hat; erst lange nachher gelang es ihnen, ihm den richtigen Zusammenhang zu entlocken. Auch verriet er nicht das Versteck des Brobyer Pfarrers, und der hat vielleicht niemals den Diebstahl entdeckt.

      Die Kavaliere untersuchten das Fell.

       »Ein prächtiger Balg«, sagte Beerencreutz. »Ich möchte wohl wissen, wie der Bursche aus seinem Winterschlaf herausgekommen ist, oder hast du ihn vielleicht in der Höhle erschossen?«

      Er wurde in Bro erlegt.

      »Ja, so groß wie der Gurlita-Bär ist er aber doch nicht«, sagte Gösta. »Ein mächtiges Tier ist es freilich gewesen.«

      »Wäre er einäugig gewesen,« sagt Kevenhüller, »so hätte ich geglaubt, du hättest den Alten selbst erlegt, so groß ist er; aber dieser hat weder eine Wunde noch eine Narbe an dem einen Auge, folglich kann er es nicht sein.«

      Fuchs fängt an, über seine Dummheit zu fluchen und zu schwören; nach einer Weile aber erhellt sich sein Gesicht so, daß er förmlich schön wird. Dann ist der große Bär also doch nicht von eines andern Mannes Schuß gefallen!

      »Herr Gott, wie bist du gut!« sagt er und faltet die Hände.

      Oft mußten wir Jungen uns über die Erzählungen der Alten wundern. »War denn jeden Tag Ball, solange eure strahlende Jugend währte?« fragten wir sie. »War denn das Leben ein einziges langes Märchen? Waren zu jener Zeit alle jungen Damen schön und liebenswürdig? Endete denn jedes Fest damit, daß Gösta Berling eine von ihnen entführte?«

      Da schüttelten die Alten ihre ehrwürdigen Häupter und fingen an zu erzählen von dem Schnurren der Spindel, dem Klappern des Webstuhls, von der Geschäftigkeit in der Küche, von dem Schlag des Dreschflegels auf der Tenne und dem Klang der Axt im Walde. Aber es währte nie lange, bis sie wieder in den alten Ton verfallen waren. Da hielten die Schlitten vor der Freitreppe, da eilten die Pferde mit den fröhlichen jungen Menschenkindern durch die dunklen Wälder dahin, da wirbelte der Tanz, da sprangen die Saiten der Geige. Mit Lärm und Peitschengeknall sauste die wilde Jagd aus dem Märchen um den Löfsee. In weiter Ferne hörte man das Getöse, die Bäume des Waldes schwankten und fielen, alle Mächte der Zerstörung wurden losgelassen: die Feuersbrunst flammte, der Gießbach trat über seine Ufer, heulend umschlichen die hungrigen Wölfe die Gehöfte. Die Hufe der achtfüßigen Pferde traten alles stille Glück in den Staub. Wo die Jagd vorübersauste, da entflammten die Herzen der Männer in Wildheit, und die Frauen mußten in bleichem Entsetzen von Haus und Hof fliehen.

      Und wir Jungen saßen staunend, schweigend, grausend und doch glückselig da. »Welche Menschen!« dachten wir. »Ihresgleichen werden wir nimmer sehen.«

      »Dachten denn die Menschen jener Zeit niemals über das nach, was sie taten?« fragten wir.

      »Freilich dachten sie, Kinder«, erwiderten die Alten.

      »Aber nicht so wie wir denken«, behaupteten wir. Und dann verstanden die Alten nicht, was wir meinten.

      Wir aber dachten an den wunderlichen Geist der Selbstkritik, der seinen Einzug schon in unsere Herzen gehalten hatte. Wir dachten an ihn mit den Eisaugen und den langen, knöcherigen Fingern, an ihn, der im finstersten Winkel unserer Seele sitzt und unser Wesen in Fasern zerpflückt, so wie alte Frauen Flicken aus Wolle oder Seide zerzupfen.

      Stück für Stück hatten die langen, knöcherigen Finger zerpflückt, bis unser ganzes Ich wie ein Haufe alter Lumpen dalag, und dann waren unsere besten Gefühle, unsere unmittelbarsten Gedanken, alles, was wir getan und gesagt hatten, gründlich untersucht, durchforscht, zerpflückt, und die Eisaugen hatten zugeschaut, und der zahnlose Mund hatte höhnisch gelacht und geflüstert: »Seht, es sind Lumpen – nichts als Lumpen!«

      Unter den Menschen jener Zeiten waren auch wohl einige, die ihre Seele dem Geist mit den Eisaugen erschlossen hatten. Bei dem einen saß er beobachtend an der Quelle der Handlungen, hohnlachend über Gutes und Böses, alles verstehend, nichts verurteilend, untersuchend, leitend, zerpflückend, die Regungen des Herzens und die Kraft des Gedankens durch sein unablässiges Hohnlachen lähmend.

      Die schöne Marianne trug diesen Geist der Selbstkritik in sich. Sie fühlte, daß sein Eisblick, sein Hohnlächeln jedes Wort, jeden Schritt begleiteten. Ihr Leben war zu einem Schauspiel geworden, bei dem er der einzige Zuschauer war. Sie war kein Mensch mehr, sie litt nicht, freute sich nicht, liebte nicht; sie führte die Rolle der schönen Marianne Sinclaire aus, und die Selbstkritik saß mit starrenden Eisaugen und fleißig zupfenden Fingern da und sah zu, wie sie auftrat.

      Sie war in zwei Hälften geteilt. Bleich, unsympathisch, höhnisch saß die eine Hälfte ihres Ichs da und schaute spöttisch zu, wie die andere handelte, und niemals hatte der wunderliche Geist, der ihr Wesen zerpflückte, auch nur ein einziges mitfühlendes Wort.

      Wo aber war dieser bleiche Wächter der Quelle der Handlungen denn in jener Nacht gewesen, als sie die Fülle des Lebens kennen lernte? Wo war er, als sie, die kluge Marianne, Gösta Berling vor Hunderten von Augenpaaren küßte, als sie sich in ihrer Verzweiflung in den Schnee geworfen hatte, um zu sterben? Da waren die Eisaugen geblendet, da war das Hohnlächeln gelähmt, denn die Leidenschaft hatte ihre Seele mit Sturm erfüllt. Das Getöse der wilden Jagd aus dem Märchen hatte ihr vor den Ohren gesaust. Sie war in jener entsetzlichen Nacht ein ganzer Mensch gewesen.

      O du Gott der Selbstverhöhnung! Als es Marianne nach unendlicher Anstrengung gelang, ihre erstarrten Arme zu erheben und sie um Gösta Berlings Hals zu schlingen, da mußtest du in der Gestalt des alten Beerencreutz deine Augen von der Erde ab- und den Sternen zuwenden. In jener Nacht besaßest du keine Macht. Tot warst du, während sie ihre Liebeshymnen dichtete, die schöne Marianne – tot, während sie nach Sjö eilte, um den Major zu holen, tot, als sie die Flammen den Himmel über den Wipfeln der Wälder röten sah.

      Siehe, sie waren gekommen, die mächtigen Sturmvögel, die Adler dämonischer Leidenschaften. Mit Feuerschwingen und Stahlklauen waren sie sausend über dich herabgekommen, du Geist mit den Eisaugen; sie hatten ihre Klauen in deinen Nacken geschlagen und dich in das Unbekannte hinweggeschleudert. Tot und zerschmettert warst du. Nun aber waren sie weiter gefahren, die Stolzen, die Gewaltigen, sie, deren Weg keine Berechnung kennt, denen noch kein Beobachter zu folgen vermochte; und aus der Tiefe des Unbekannten war der wunderliche Geist der Selbstkritik wiedererstanden und hatte sich wieder in der Seele der stolzen Marianne niedergelassen. – – –

      Den ganzen Februar hindurch lag Marianne krank auf Ekeby. Auf Sjö war sie von den Blattern angesteckt worden. Die entsetzliche Krankheit hat sich mit ihrer ganzen Gewalt auf sie geworfen, erkältet, erschöpft, wie sie war; sie war dem Tode nahe gewesen; gegen Ende des Monats aber fing sie an, sich zu erholen. Schwach war sie aber noch und sehr entstellt. Nie wieder würde sie die schöne Marianne genannt werden.

      Dieser Verlust, der Trauer über ganz Wermland bringen sollte, als sei einer der köstlichsten Schätze des Landes verloren, war bisher jedoch nur Marianne und ihrer Pflegerin bekannt. Nicht einmal die Kavaliere wußten es. Das Krankenzimmer, in dem die Blattern herrschten, stand nicht einem jeden offen.

      Wann aber ist die Selbstkritik stärker als in den langen Stunden der Genesung? Da sitzt sie und starrt und starrt mit ihren Eisaugen und zupft und pflückt mit ihren harten, knöcherigen Fingern. Und sieht man recht zu, so sitzt dahinter ein anderes, gelblich blasses Wesen, das mit seinem Hohnlächeln starrt und lähmt, und dahinter noch eins und noch eins – alle hohnlachend über einander und über die ganze Welt.

      Und

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