Gösta Berling. Selma Lagerlöf
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In dem großen Saal, wo der Tanz noch soeben gewirbelt hatte, standen schon die hochlehnigen Armstühle wieder in steifer Ordnung an den Wänden.
Sie trat an das Klavier und schlug leise einen Ton an.
»Auch zu meiner Zeit gebrach es hier nicht an Freude und Frohsinn«, sagte sie.
Auch in das Fremdenzimmer hinter dem großen Saal ging die Majorin. Es war stockfinster. Sie tastete mit der Hand vor sich hin und berührte dabei das Gesicht des Mädchens.
»Weinst du?« fragte sie, denn ihre Hand wurde naß von Tränen.
Da schluchzte das junge Mädchen laut. »Ach, Herrin, teure Herrin,« rief sie aus, »sie zerstören alles! Weshalb ginget Ihr von uns und ließet die Kavaliere das ganze Haus zerstören?«
Die Majorin zog die Gardine zur Seite und zeigte in den Hof hinaus. »Habe ich dich gelehrt, zu weinen und zu jammern?« fragte sie. »Siehe, der Hof ist voll von Menschen; morgen wird sich nicht ein einziger Kavalier mehr in Ekeby befinden.«
»Kommt Ihr dann wieder?« fragte das Mädchen.
»Meine Zeit ist noch nicht gekommen«, sagte die Majorin. »Die Landstraße ist meine Heimat, der Graben mein Bett. Aber du sollst an meiner Statt über Ekeby wachen, während ich fort bin, Mädchen.«
Und sie gingen weiter. Keins von beiden wußte oder dachte daran, daß Marianne gerade in diesem Zimmer schlief.
Sie schlief auch nicht. Sie war ganz wach, hörte alles und verstand alles. Sie hatte in ihrem Bett gelegen und eine Hymne auf die Liebe gedichtet.
»Du Herrliche, die du mich über mich selber erhoben hast«, sagte sie. »Ich lag in grenzenlosem Elend, und du hast es in ein Paradies verwandelt. An dem eisernen Schloß der verriegelten Tür hingen meine Hände fest, wurden sie mir wund gerissen; auf der Schwelle meines Hauses liegen meine Tränen zu Perlen von Eis gefroren. Die Kälte des Zornes durchschauerte mein Herz, als ich die Schläge auf den Rücken meiner Mutter hörte. In der kalten Schneeschanze wollte ich meinen Zorn verschlafen; aber da kamst du! O Liebe, du Kind des Feuers, du kamst – zu der von Kälte Durchschauerten kamst du. Wenn ich mein Elend mit der Herrlichkeit vergleiche, die mir daraus ersprossen ist, so erscheint es mir wie nichts. Losgelöst von allen Banden bin ich, habe weder Vater noch Mutter noch ein Heim mehr. Die Menschen werden alles mögliche Schlechte von mir glauben und sich von mir abwenden. Wohlan, so geschehe dein Wille, o Liebe, denn weshalb sollte ich höher stehen als mein Geliebter? Hand in Hand wollen wir in die Welt hinauswandern. Arm ist Gösta Berlings Braut. In der Schneeschanze hat er sie gefunden. So laß uns denn ein Heim zusammen gründen, nicht in den hohen Sälen, sondern in der Bauernhütte am Waldesrande. Ich will ihm helfen, den Meiler zu besorgen, ich will ihm helfen, dem Hasen und dem Birkhuhn Schlingen zu legen, ich will seine Speisen bereiten, seine Kleider flicken. O mein Geliebter, glaubst du wohl, daß ich trauern und mich sehnen werde, wenn ich allein am Waldesrande sitze und deiner harre? Das werde ich tun! Doch nicht nach den Tagen des Reichtums werde ich mich sehnen, nur nach dir will ich spähen und verlangen, nach deinen Schritten auf dem Waldpfade, nach deinem frohen Gesang, wenn du mit der Axt über dem Nacken daherkommst. O mein Geliebter, mein Geliebter! Solange mein Leben währt, könnte ich sitzen und deiner harren.« – –
So hatte sie dagelegen und Hymnen an den allmächtigen Gott des Herzens gedichtet, sie hatte ihre Augen noch nicht geschlossen, als die Majorin eintrat.
Nachdem sie gegangen war, stand Marianne auf und kleidete sich an. Noch einmal mußte sie das schwarze Sammetkleid und die dünnen Ballschuhe anlegen. Sie hüllte sich in ihre Decke wie in einen Schal und eilte noch einmal in die schreckliche Nacht hinaus.
Ruhig, sternenklar und beißend kalt ruhte die Februarnacht noch über der Erde; es war, als solle sie niemals ein Ende nehmen. Und die Finsternis und die Kälte, die diese lange Nacht verbreitete, ruhte noch lange, lange, nachdem die Sonne aufgegangen war, über der Erde, noch lange, lange, nachdem die Schneeschanzen, die die schöne Marianne durchwandert hatte, zu Wasser geworden waren. – –
Marianne eilte von Ekeby fort, um Hilfe zu schaffen. Sie konnte es nicht geschehen lassen, daß die Männer, die sie aus dem Schnee aufgehoben und ihr Haus und Herz geöffnet hatten, vertrieben werden sollten. Sie wollte nach Sjö hinabgehen, zu Major Samzelius. Sie mußte sich beeilen. Erst in einer Stunde konnte sie wieder zurück sein.
Als die Majorin von ihrem Heim Abschied genommen hatte, ging sie auf den Hofplatz hinaus, wo die Leute sie erwarteten, und der Kampf um den Kavalierflügel begann.
Die Majorin stellte die Leute rings um das hohe, schmale Gebäude auf, dessen oberes Stockwerk das berüchtigte Heim der Kavaliere ist. In dem großen Zimmer da oben mit den getünchten Wänden, den rotgemalten Kisten und dem großen Klapptisch, auf dem die Rabougekarten in dem verschütteten Branntwein schwimmen, wo die breiten Betten von gelbgewürfelten Vorhängen verhüllt sind, da schlafen die Kavaliere. Die Sorglosen!
Und im Stall, vor gefüllten Krippen, schlafen die Kavalierpferde und träumen von den Fahrten ihrer Jugend. Es ist schön, in Tagen der Ruhe von den wilden Taten der Jugend zu träumen, von Jahrmarktreisen, wo sie Tage und Nächte unter offnem Himmel stehen mußten, von Wettfahrten heimwärts von der Frühmesse am Weihnachtsmorgen, von der Probefahrt vor dem Pferdetausch, wenn tolle Kavaliere, die losen Zügel in der Hand, sich über den Wagen hinausbogen, über ihre Rücken und ihnen Flüche in die Ohren brüllten. Es ist schön zu träumen, wenn sie wissen, daß sie nie mehr Ekebys volle Krippen verlassen werden. Die Sorglosen!
In einem alten, verfallenen Wagenschuppen, wo unbrauchbare Wagen und abgedankte Schlitten hineingeworfen werden, befindet sich eine drollige Sammlung alter Gefährte.
Da stehen grünbemalte Korbschlitten und rot und gelb bemalte Lattenwagen. Da steht das erste Karriol, das man in Wermland gesehen hat, das Beerencreutz im Jahre 1814 als Kriegsbeute gewann. Da stehen alle erdenklichen Arten von Einspännerwagen, Giggs auf schaukelnden Schwanenhalsfedern, und da stehen Postkarren, lächerliche Martergerätschaften, deren Bock auf hölzernen Federn ruht. Da findet man sie, alle die rumpelnden Karren und Kutschen und Gefährte, mit denen unsere Großeltern auf den Landstraßen durchgerüttelt wurden. Und da steht der lange Schlitten, der zwölf Kavaliere faßt, und der Kaleschenschlitten des verfrorenen Vetters Kristoffers, und Örneclous alter Familienschlitten mit dem mottenzerfressenen Bärenfell und dem verschlissenen Familienwappen auf dem Schlag, sowie Spitzschlitten. Eine wahre Unendlichkeit von Spitzschlitten!
Groß ist die Zahl der Kavaliere, die auf Ekeby gelebt haben und dort gestorben sind. Ihre Namen hat die Welt vergessen; und sie haben keinen Platz mehr in den Herzen der Menschen, aber die Majorin hat die Gefährte aufbewahrt, in denen sie auf den Hof kamen. Sie hat sie alle in dem alten Wagenschuppen gesammelt.
Und da drinnen stehen sie und schlafen und lassen den Staub in dichten Schichten auf sich fallen. Schrauben und Nägel verlieren ihren Halt in dem vermoderten Holz. Die Farbe schilpert ab, das Krollhaar in der Rücklehne und in den Polstern guckt aus den Löchern heraus, die die Motten gefressen haben. »Laßt uns ruhen, laßt uns auseinanderfallen!« sagen die alten Gefährte. »Wir haben lange genug auf den Wegen gehumpelt, und wir haben Feuchtigkeit genug aus Regen und Schnee in uns eingesogen. Laßt uns ruhen! Lange ist es her, seit wir mit den jungen Herren zu ihrem ersten Ball ausfuhren, lange ist es her, als wir frischgewaschen und schimmernd auf die herrlichen Abenteuer der Schlittenfahrt auszogen, als wir muntere Helden auf aufgeweichten Wegen in das Lager von Trosnäs trugen. Sie schlafen, die meisten von ihnen, aber die letzten und besten werden Ekeby nie mehr verlassen, nie mehr!«
Und dann platzt das