Der Kampf ums Recht oder Das unsichtbare Böse , 1. Band. Walter Brendel
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Eine emotionsgeladene Berichterstattung der Medien ging einher mit einem gesellschaftlichen Klima der Angst und mit verstärkten Abgrenzungsmechanismen innerhalb der bundesdeutschen Bevölkerung: Von der Straße klangen die Rufe nach „aufhängen“ oder „totschlagen“, und auch das Gericht war erkennbar befangen von dem kollektiven Angsttrauma einer Gesellschaft, die nichts anderes wollte, als sich vor einem solchen Monstrum in Menschengestalt auf Dauer geschützt zu sehen. Ähnliches ließ sich in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts im Zusammenhang der Ermittlung und Verurteilung des bereits erwähnten Serienmörders Friedrich Haarmann beobachten. Die enge Wechselwirkung von gesellschaftlichen Interessen und furioser Berichterstattung beeinflusste allem Anschein nach den Verhandlungsverlauf und das richterliche Urteil.
Eine wichtige Rolle spielen auch die Zeugen. Von idealen Zeugen können Richter und Kriminalisten in der Realität nur träumen. Schon häufig bewiesen DNS-Analysen in den USA, dass Verurteilte als Täter gar nicht in Frage kamen. Dabei hatten in mehr als 75 Prozent dieser Fälle Zeugenaussagen zur Verurteilung geführt. Auch in Deutschland werden Justizirrtümer häufiger durch falsche Zeugenaussagen verursacht als durch alle anderen Gründe zusammen, so Günter Köhnken, Vernehmungspsychologe an der Universität Kiel. Dabei sind absichtliche Lügner eher selten. Ohnehin sind diese für einen Experten oft leichter zu entlarven als diejenigen Zeugen, die sich irren und selbst davon überzeugt sind, die Wahrheit zu sagen. Denn unzählige Kleinigkeiten beeinflussen das individuelle Bild, das sich ein Mensch von der Vergangenheit macht.
In der Ausbildung von Polizisten und Kriminalisten spielt die Psychologie der Vernehmung mittlerweile eine große Rolle. Für Juristen trifft das jedoch nicht zu. In deren Stundenplänen sucht man vergeblich nach Fächern wie Aussage- oder Wahrnehmungspsychologie und Vernehmungstaktik. Es gibt lediglich die Möglichkeit zur freiwilligen Fortbildung, die aber nur selten wahrgenommen wird. Verdächtigen könne das zum Verhängnis werden, denn mit dem nötigen psychologischen Knowhow ließe sich mancher Justizirrtum verhindern. Teile der hier aufgezeigten Prozesse zeigen, dass die meisten Gerichte einer grandiosen Überschätzung, was ihre Fähigkeiten angeht, Zeugenaussagen zu beurteilen, unterliegen.
Die Rechtsordnung ist die Gesamtheit der Rechtsnormen und ihr zusammenhängendes System samt den aus ihm ausfließenden Gesetzen, die eine Rechtsgemeinschaft konstituieren und für sie gelten. In der Regel hat heute jeder Staat eine eigene Rechtsordnung, z. B. auch alle deutschsprachigen Staaten. Es gibt jedoch - meist geschichtlich bedingte - Verwandtschaften von Rechtsordnungen z. B. der angelsächsische Rechtskreis, zu dem Großbritannien, die USA und viele frühere britische Besitzungen gehören (hier in weiten Bereichen Richterrecht, Gewohnheitsrecht und englische Rechtstradition).
Die Justiz (lateinisch iustitia) beinhaltet die Rechtsprechung im organisatorischen Sinn, die Gerichte und Richter. Die Rechtsprechung wiederum wird als Rechtsprechung im formellen Sinn betrachtet. Dazu gehören der Ausspruch der in Entscheidungsform ergehenden Akte der Gerichte (Urteile, Bescheide, Beschlüsse, Verfügungen) und deren Vorbereitung durch das Gericht.
1. Kapitel: Justiz im Zeichen des Kreuzes
Die Verurteilung des Sokrates
Sokrates, der griechischer Philosoph beging kein anderes „Verbrechen“, als das der Aufklärung der Menschheit. Sein Bemühen, die Menschen vom Scheinwissen zu echtem Wissen zu bringen („Ich weiß, dass ich nichts weiß”), das ihn angesehene Männer in der Öffentlichkeit ins Gespräch ziehen und ihren Wissensdünkel entlarven ließ, brachte ihm viele Feinde. Weil er die Götter des Staatskults nicht anerkenne, neue Gottheiten eingeführt habe sowie als angeblicher Jugendverderber angeklagt, wurde Sokrates zum Tode verurteilt.
Wie kam es zu der Verurteilung?
Als Sokrates im siebzigsten Lebensjahr stand, wurde gegen ihn auf Grund von Anzeigen Anklage erhoben. Dieses geschah in Form einer öffentlichen Anklage, wie sie jeder Bürger einreichen konnte. Eine Staatsanwaltschaft, wie wir sie heute kennen, gab es 399 v. Ch., dem Prozessjahr, noch nicht. Ankläger bzw. richtig ausgedrückt Anzeigeerstatter waren die Bürger Meletos, seines Zeichens ein schlechter Dichter; der Gerber Anytos und der Redner Lykon. Über das Schicksal von Sokrates musste eins von zehn Geschworenengerichten entscheiden. Dieses war mit 501 ausgelosten Mitgliedern besetzt. Gegen deren Spruchpraxis gab es keine Rechtsmittel.
Der Wortlaut der Anklage aus der Überlieferung von Xenophon lautete; „Sokrates tut Unrecht, indem er die Götter nicht anerkennt, welche der Staat anerkennt, dafür aber neue Götter einführt. Er tut ferner dadurch Unrecht, dass er die jungen Leute verdirbt.“ Welch schwerwiegende Anklage. Doch Sokrates konnte diese, mit den Worten: „Ich habe nämlich, Männer Athens, diesen Ruf durch nichts anderes erworben als durch eine Art Weisheit.“ wiederlegen. Durch einen großen Rundgang durch die Stände des Volkes habe er versucht, sich über das Wesen der Weisheit klar zu werden. Er sei zu den Staatsmännern, den Dichtern, den Handwerkern gegangen und habe gefunden, dass diese weise zu sein schienen, es aber doch nicht seien. Daraus seien ihm viele Feindschaften erwachsen, „von gefährlicher und schwerer Art“.
Der Freispruch war nahe. Den Ankläger Meletos hatte Sokrates so wiederlegt, dass dieser nicht einmal ein Fünftel der Richter gewonnen hätte, in welchem Fall Meletos nach dem Gesetz 1000 Drachmen Strafe hätte zahlen müssen. Nun wurden die Ankläger Anytos und Lykon aktiv. Sie argumentierten, vielleicht sei die Anklage unnötig gewesen, aber nun, da sie einmal erhoben worden sei, müsse Sokrates auch verurteilt werden. Es gelang ihnen, 281 Richter auf ihre Seite zu bringen. 220 Richter sprachen Sokrates frei. Mit 61 Stimmen Mehrheit wurde Sokrates verurteilt. Die Richter wussten, dass Sokrates unschuldig war, aber sie fällten das Todesurteil. Die ihm angebotene Flucht durch seinen Freund Kriton lehnte er ab. In dem Bewusstsein, dass sein Gehorsam gegenüber dem ungerechten Richterspruch das verletzte Recht wiederherstellen und die Rechtsordnung als Ganzes schützen werde, trank er gefasst den Schierlingsbecher. Sokrates hinterließ keine Schriften. Platon, sein bedeutendster Schüler, schildert im „Phaidon” die Gespräche der Todesstunde im Kreis von Freunden.
Der Prozess Jesu
Wer war Jesus? Jesus von Nazareth, war die Gestalt, auf deren Erscheinen sich das Christentum gründet. An der Geschichtlichkeit Jesu zweifelt die wissenschaftliche Forschung nicht. Trotz aller geschichtlichen (und astronomischen) Berechnungen steht lediglich fest, dass Jesu Auftreten um 30 n. Chr. stattfand. Wie lange seine öffentliche Wirksamkeit dauerte, ist unbekannt. Seine Heimat war Galiläa, seine Vaterstadt Nazareth. Das Matthäus- und Lukasevangelium lassen Jesus in Bethlehem geboren sein; ihre Stammbäume wollen seine Abkunft von König David verbürgen; sie führen auf Joseph, der nach der ältesten Matthäus-Handschrift Jesus „zeugte”. Die Gottmenschheit Jesus wird im Neuen Testament auf vielfache Weise unterstrichen (bzw. erklärt): durch Geistzeugung in der Taufe (Lukas 3,22), durch Verklärung (Markus 9,7), durch das Ineins von „Wort” und Fleisch (Evangelium des Johannes 1,14), durch Erhöhung nach gehorsamem Leiden, durch Jungfrauengeburt.
Jesus brachte keine neue Gotteslehre, sondern glaubte mit Israel an Gott (Schöpfer, Gesetzgeber, Herrn, Richter), dessen Anspruch und Verheißung er unbedingt zur Geltung brachte. In einzigartiger Weise lebte Jesus unter Gott als seinem Vater und lud mit dem Heils- und Bußruf unter die Königsherrschaft Gottes ein (Bergpredigt). Der bedingungslosen, „anstößigen” Gnade und Liebe Gottes entspricht der ganz neue Ruf Jesu in die Nachfolge seiner Person zur Verwirklichung der uneingeschränkten Gottes- und