Quitt. Theodor Fontane

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Quitt - Theodor Fontane

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hatte sich unterwegs nicht beeilt, ebensowenig wie Opitz. Vom Pastorhause war er zunächst nach dem Kretscham hinübergegangen und hatte hier von dem ihn begrüßenden Wirt erfahren, daß Frau Menz, seine Mutter, eben dagewesen sei und gerad an demselben Tisch erst einen »Grünen« und dann einen Ingwer getrunken habe. Das hörte Lehnert nicht gern. Er gönnte der alten Frau die kleine Herzstärkung, denn er liebte sie trotz all ihrer Schwächen, aber er ärgerte sich wieder über die Heimlichkeit, und dieser Ärger war noch nicht voll überwunden, als er, über die Schwelle seines Hauses tretend, der am Herde hantierenden Alten ansichtig wurde.

      »Guten Tag, Mutter. Pohl läßt grüßen.«

      »Welcher?«

      »Nu, der aus dem Kretscham unten.«

      »So, der. Warst du da?«

      »Ja, Mutter. Und kannst du dir denken, ich habe mich just da hingesetzt, wo du gesessen hattest. Und dir zu Ehren hab ich meinen Ingwer aus deinem Glase getrunken. Es stand noch da.«

      Die Alte sah verlegen vor sich hin und sagte dann: »Aber nur einen, Lehnert. Mir war so schwach«.

      Lehnert lachte. Dann ging er auf sie zu und sagte, während er ihr das graue Haar streichelte: »Gott, Mutter, wie du so bist! Wenn das einer hört', so müßt er denken, der Lehnert ist ein Filz und schlechter Kerl und gönnt seiner alten Mutter nicht einmal einen Tropfen Stärkung. Aber wie liegt es denn? Ich gönne dir nicht einen Ingwer, ich gönne dir zwei, und wenn dir's nicht zuviel wird, Alte, dann können es auch drei und vier werden. Ich habe dich auch noch eigens gefragt, und da hast du ›nein‹ gesagt, aber freilich, als du nein sagtest, da sagtest du schon ja, und als ich die Klingeltür bei Siebenhaar noch kaum aus der Hand hatte, da bist du schon hinübergegangen. Immer versteckt; du kannst nichts offen tun, auch nicht mal das, was die Sonne gar nicht zu scheuen braucht. Alles muß heimlich sein. Und sieh, Mutter, so hast du mich auch erzogen und angelernt. Das muß ich dir immer wieder sagen. Gott sei's geklagt, daß ich's muß. Es ist immer ein und dasselbe, was du so bei dir denkst: es sieht es ja keiner; bei Nacht sind alle Katzen grau, und es darf bloß nich rauskommen. Und wenn es nicht rauskommt, dann ist alles gleich. So denkst du bei dir, und denkst auch wohl: ach, der liebe Gott, der is nicht so, der ist gut und freut sich, wenn man einem Förster oder Grenzaufseher ein Schnippchen schlägt.«

      »Ach, Lehnert, rede doch nicht so! Du weißt ja doch...«

      »Und wenn es dann schiefgeht, ja, dann ist es wieder anders. Dann geht es in die Predigt, und Siebenhaar... na, du weißt schon, ich hab es dir heute schon mal gesagt..., der muß dann wieder einen Heiligen aus mir machen. Aber nicht zu lang; Gott bewahre, denn ein Heiliger paßt auch nicht, und wenn uns dann die Not wieder an der Kehle sitzt, und braucht auch noch gar nicht mal eine rechte Not zu sein, dann ist es mit Siebenhaar auch wieder vorbei, und dann heißt es wieder: ›Es wird es ja wohl keiner sehen‹, oder: ›Man muß es nur klug anfangen, und die Menschen müssen es einem bloß nicht auf den Kopf zusagen können.‹ Ach, Mutter, du meinst es mit keinem bös, und mit mir erst recht nicht, aber du hast das Ehrlichsein nicht gelernt, und davon ist alles gekommen... Und nun will auch Siebenhaar noch mit ihm sprechen, mit Opitz, als ob das was helfen könnte, will mich mit ihm versöhnen, und ich hab's auch versprechen müssen. Aber ich mag nicht. Ich hasse ihn, und Haß ist überhaupt das Beste, was man hat.«

      »Überlege dir's, Lehnert. Er ist ein gräflicher Förster und is nun doch mal der Herr.«

      »Ach was, der Herr! Ein Diener is er. Ich bin ein Herr, wenigstens eher als er, und kann machen, was ich will.«

      »Er hat das Ansehen vor den Leuten, und ich weiß es von Christinen, er ist nicht so schlimm, wie du glaubst und ihn immer machen willst. Er kann auch durch die Finger sehen. Aber er verlangt, daß man ihm gute Worte gibt und ihn für was Besonderes ansieht. Und das tust du nicht. Er kann bloß deinen Trotz nicht leiden. Und darum hab ich Siebenhaar gebeten.«

      »Aha«, lachte Lehnert. »Also du. Nun meinetwegen.«

      »Und darum«, so wiederholte die Alte, »hab ich Siebenhaar gebeten, als ich nun doch mal mit ihm sprach, daß er ihn gut für uns stimme. Soviel weiß ich, er gibt was auf Siebenhaar, und wenn der ihn rumkriegt und Opitz dir dann die Hand gibt, dann nimm sie, dann stoße sie nicht weg und vergiß all das Alte. Sieh, Lehnert, es hat ja doch alles seine zwei Seiten, und vielleicht hat er nicht so ganz unrecht gehabt, und du hast aus der Sache mit dem Kreuz mehr gemacht, als du hättest machen sollen. Gib nach, Lehnert! Trotz macht Feind. Und wir brauchen Freunde, weil wir arm sind und das Geschäft schlecht geht, und gerade jetzt im Sommer. Und unser Nachbar ist er auch. Es is doch sonst mit den Försters gut gegangen. Gib nach und versöhne dich mit ihm! Dann haben wir gute Zeit, und wenn dann mal was vorkommt, na, du weißt schon, was ich meine, so verpufft und verknallt es. Kennst ja doch unser altes Sprichwort: Der Wald ist groß, und der Himmel ist weit.«

      Lehnert, die Hände auf dem Rücken, ging auf und ab. Er hatte das alles schon oft gehört, nur eines nicht: daß er das mit dem Kreuz doch vielleicht schlimmer genommen als nötig. Und so hochmütig er war, so bescheiden war er auch.

      »Wenn es so wäre? Wenn ich mehr daraus gemacht hätte als nötig?« so gingen seine Gedanken.

      Und er nahm der Mutter Hand und sagte: »Gut, Alte. Ich will es mir überlegen.«

      Sechstes Kapitel

      Was hüben die Mutter ihrem Sohn und drüben die Frau ihrem Mann gesagt hatte, blieb doch nicht ganz ohne Einfluß, weil beide Parteien klug genug waren, das Wahre darin herauszufühlen; Opitz war strenger als nötig, Lehnert war aufsässiger als nötig, und der schlichte Ton, worin das einem jeden gesagt wurde, tat seine Wirkung. So machte sich's, daß beide stillschweigend übereinkamen, sich wenigstens nicht mehr zum Tort leben zu wollen, und weil sie dabei fühlen mochten, daß das bei steten persönlichen Begegnungen sehr schwer sein würde, so faßten sie den Entschluß, sich nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen. In der Tat, man vermied es, sich zu sehen, und gab es unter anderm auf, zu gleicher Zeit, wie sonst wohl, im Vorgarten zu sitzen und sich über die Straße hin mit den Augen zu messen. Ja, Lehnert seinerseits ging noch weiter und machte, wenn er ins Dorf mußte, nur um die Försterei zu vermeiden, lieber den Umweg am Waldsaume hin. Auch die Hühner, die durch ihre Besuche drüben im Garten der Försterei beständig Anlaß zu Klagen und bitteren Worten gegeben hatten, hielt er besser in Ordnung, und das Steinsprengen, das mit seinem Knall und seiner aufsteigenden Rauchwolke seinen reizbaren Nachbar durch Jahr und Tag hin mehr als alles andere verdrossen hatte, gab er ganz auf. An einen völligen Ausgleich der alten Gegensätze war freilich nicht zu denken, dazu war zuviel vorgefallen, aber wenn Friede nicht sein konnte, so doch wenigstens Waffenstillstand.

      Und unter solchem Waffenstillstande verging eine Woche.

      Nun war wieder Sonntag, und die Glocken der Arnsdorfer Kirche klangen wie gewöhnlich vom Tal zu den Bergen herauf. Aber diesem Rufe folgten heute nur wenig, weil oben in Kirche Wang ein Brückenberger Paar getraut werden sollte. Das veranlaßte denn alle die, die sich mehr von der Trauung einer jungen hübschen Braut als von der Predigt des alten Siebenhaar versprachen, lieber bergauf nach Wang zu steigen, und das um so mehr, als über das wundervolle Brautkleid, das aus Hirschberg und nach andern sogar aus Breslau stammen sollte, schon die ganze Woche lang gesprochen worden war. In der Tat, Schaulust und Neugier gaben heute den Ausschlag. Aber einige stiegen doch nicht bloß als Neugierige, sondern als recht eigentliche Trauzeugen und Hochzeitsgäste hinauf, unter ihnen auch Opitz in Gala, dem sich, gleich nach Passierung des am Ausgange von Krummhübel gelegenen Rummlerschen Gasthauses, auch noch Grenzaufseher Kraatz und der alte Laborant Zölfel angeschlossen hatten.

      Zu diesen zur Hochzeit Geladenen

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