Vom Leben verletzt. Romy Hofmann

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aus, vermitteln sie. Jede*r von uns hat das schon oft im Alltag erfahren. Trotzdem bleibt Kommunikation unter vielen Menschen ein „reiner“ Wechsel von Worten und Gedanken. Kein Austausch, kein tieferes Verstehen.

      Mir wurde besonders in der Zeit mit Leonie wenn auch nur ein kleiner Teil der Tragweite von Sprache bewusst. Es war ein durch und durch praktisches Erfahren und Ausprobieren von Sprache. Ja, ich wusste theoretisch, dass das Sprechen etwas sehr Wichtiges zwischen Menschen und beispielsweise auch bedeutsam für das Lernen in der Schule ist. Sprache vermittelt Inhalte nicht nur neutral, denn daneben spielt auch der Kontext der Entstehung und Äußerung einer Aussage eine Rolle im (Miss-)Verstehen. Sprache schafft Wirklichkeit, sie stellt sie erst her. Das heißt, dass wir mit Worten und Sätzen immer neue Realitäten erschaffen, uns und andere darin verorten und ein und derselbe Satz oder -bestandteil zu zwei unterschiedlichen Momenten auch zwei ganz verschiedene Bedeutungen haben kann. Man denke nur an das Wort Hund: einmal ist es das treue Haustier, ein andermal dient es als Schimpfwort - je nach Kontext. Alle Beteiligten einer Kommunikationssituation müssen dabei eine Übersetzungs- bzw. Interpretationsarbeit leisten. Worte bauen aber nicht nur Brücken, sondern können auch Mauern schaffen. Gesellschaftliche Diskurse sind dafür ein Paradebeispiel. So nähren Meldungen über Krisen, Natur-, Atom-, Hunger- und andere Katastrophen Ängste in der Bevölkerung, auch wenn Gefahren ja nicht offensichtlich am eigenen Leib oder anderweitig zu spüren sind. Aber durch Sprache wird eine Situation geschaffen, eine Wirklichkeit hergestellt. Und so kann auch das Nicht-Thematisieren, das bewusste Weglassen von Vorfällen oder Wörtern eine geänderte Wahrnehmung der Menschen bewirken. Es erfolgt eine Auswahl bestimmter Nachrichten, die nur einen Teil des großen Ganzen spiegeln. Allein die Medien, die täglichen Nachrichten über das Fernsehen, Internet oder die Tageszeitung verdeutlichen uns eigentlich immer wieder aufs Neue, was es heißt, selektiv mit der uns umgebenden Wirklichkeit umzugehen. Wir werden nie alles und eindeutig wissen können. Zum einen, weil wir nie immer vor Ort dabei sind und zum anderen, weil jeder Mensch auf seine ganz eigene Sprache zurückgreift und sich ein ganz eigenes Bild der Welt macht. Ob wir nur denken können, was wir (aus-)sprechen, d.h. wofür wir Worte haben, oder umgekehrt nur das auszusprechen in der Lage sind, was wir denken können, dieser Frage gehen Sprachwissenschaftler*innen schon längere Zeit nach. So tief möchten die vorliegenden Ausführungen keineswegs gehen. Ich möchte zeigen, dass Sprache, sei sie noch so „alltäglich“, auf der Straße, im Büro oder zu Hause, viel mehr leisten kann und eben nicht nur im Wechsel von Worten besteht, sondern dass Sprache auch Stimmungen beeinflussen und Situationen herstellen kann. Oder wie es der Philosoph Hans-Georg Gadamer formulierte: „Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache“. Sprache lässt uns (er-)leben.

      Sprache ist auch Handeln. Mit Worten können wir symbolisch handeln, z.B. jemanden zum Ritter schlagen, auch ohne ihm physisch Gewalt (= Schläge) anzutun. Oder eine Tagung eröffnen, ohne einen Vorhang oder eine Tür aufzuziehen. Das ist vielen von uns vielleicht bekannt, aber wenig bewusst im täglichen Umgang miteinander. Und entsprechend kann auch eine Aussage wie „Ich gehe heute Abend ins Kino“ etwas auslösen, eine Handlung im übertragenen Sinne in Gang setzen. Sie kann verletzen, in einem speziellen Kontext. Nämlich, wenn die angesprochene Person zu Hause ist, sich um Essen und Hausputz kümmern muss und eigentlich auch gern mit ihrer Freundin ins Kino gegangen wäre; das aber nicht kann, weil sie andere Aufgaben hat. So eine nichtige Aussage kann tief verletzen. Über die weitere Ausgestaltung der Situation möchte ich gar nicht schreiben. Die / der ein oder andere wird es vielleicht aus einer ähnlichen Situation kennen. So mächtig ist Sprache. Auch ich fühlte mich manchmal verletzt durch einfache Aussagen anderer Personen. Jetzt wird mir deutlich, dass es der Kontext war, in dem ich mich befand und der erst zu dieser Verletzung führte. Sprache lebt auch immer vom aktiven Umgang, nicht nur dem Gebrauch von Worten, sondern von der Interaktion. Damit ist sie zugleich fragil, verändert Situationen und Menschen.

      Das Leben meiner Tochter hat mich sensibel gemacht für Sprache, für Aussprüche, Floskeln, für Menschen und Emotionen. Diese Aussage selbst scheint auf den ersten Blick von wenig Bedeutung zu sein und keine weitreichenden Konsequenzen zu haben, bescheinigt sie mir doch keinen „Lerneffekt“, der mir durch ein Zeugnis oder eine Urkunde anerkannt werden kann. Und doch ist es ein großer Schatz, den ich in mir trage. Nicht nur Tief-, sondern auch „Hoch“-schläge vermochten eine solche Sensibilität in mir verstärken. Vielleicht war es gerade das „als auch“ - denn nicht nur Negatives macht Menschen feinfühliger. Ist es nicht so, dass wir ständig versuchen, ein Leben in Harmonie und Glück, also in den guten Zeiten, zu leben? Es muss alles gut laufen, lückenlos und unfallfrei. Mittelmäßig, ja, so können wir auch eine Zeit lang überleben, ohne die großen Höhepunkte. Doch es sind besonders die Ausflüge in tiefe und dunkle Täler, die uns Menschen verdeutlichen, dass es tatsächlich noch etwas Anderes gibt. Erst im Vergleich erkennen wir, wie gut oder schlecht es uns geht oder ergangen ist. Jedes einzelne menschliche Leben darf und sollte natürlich erträglich sein, muss nicht jede Krise durchlaufen. Trotzdem: Wenn wir die Verschiedenartigkeit dessen schätzen, was uns widerfährt, sind wir in der Lage, unser Leben bewusster wahrzunehmen.

      WIE ES GEHT - WAS GEHT? WOHIN UND WIE WEIT GEHEN?

      Sehr viele Menschen pflegen ein Ritual, nach dem sie sich beim (Wieder-)Sehen auf der Straße oder am Arbeitsplatz gegenseitig nach ihrem Zustand befragen. Das passiert oft sehr knapp und berechenbar: „Wie geht’s dir?“ - „Gut, danke und dir?“. Es scheint gerade dazu zu gehören, sich im Alltag so zu begegnen und Interesse an bzw. am Anderen zu zeigen. Für mich aber ist die scheinbar so kleine und kurze Frage nach dem „Wie geht’s?“ in ihren sämtlichen Abwandlungen mit Füllwörtern, z.B. „na“ oder „denn“ oder „so“ eine kolossale Frage geworden. Nur um einen Vergleich zu bringen: Wäre nicht selbst ein Klimaforscher mit der Frage nach der Bedeutung des Klimawandels für uns, ein Politiker mit der Frage nach der Globalisierung oder ein Geograph mit der Beschreibung unserer Erde überfordert? Sehr wahrscheinlich würde jede*r ander*e Expert*in ganz andere Facetten zur Beantwortung der Frage hinzuziehen, auch wenn sie als „Expert*innen“ für dieses oder jenes Gebiet gelten. So ähnlich verhält es sich in meinem Kopf mit der Frage nach dem „Wie geht’s?“ Natürlich bin ich auch Expertin für mich und meine Gefühle, kenne meinen Körper und meine Gedanken. Doch es kommt nicht darauf an, etwas zu wissen, etwas erklären zu können - dazu wäre ich freilich in der Lage, würde man mich einen Moment lang überlegen lassen oder gar die Frage etwas präzisieren. Doch es ist insbesondere auch die / der Gegenüber und der Kontext, in dem die Frage „Wie geht’s“ gestellt wird. In der zehrenden Zeit im Krankenhaus, in der es manchmal scheinbar nicht voranging, ich meine Routinen täglich abspulte und nun ja, auch gar nichts wirklich Besonderes passieren konnte, vielleicht aber auch ein Rückschlag einzustecken war, begann ich, mich mit dieser kleinen Frage unwohl zu fühlen. Irgendwann da setzte eine Sensibilisierung ein, vergleichbar wie eine sich anbahnende Allergie oder Krankheit. Später, wenn ich schon viele dieser Fragen gehört und mich zu einer Antwort quälte hatte, wollte ich einfach keine Antwort mehr geben, weil ich das Gefühl hatte, dass nichts in der Welt auch nur annähernd ausdrücken konnte, wie es mir tatsächlich ging. Ich zerlegte Wörter in einzelne Bestandteile, bis sie mir vorkamen wie Hieroglyphen. Gehen - tut bei mir gar nichts. Ich gehe nicht. Es geht nicht. Man hätte mir jegliche Frage in einer unbekannten Sprache stellen können, es wäre aufs Gleiche hinausgelaufen. Bei einer offensiveren Haltung, konkret: als ich antwortete, dass ich auf eben diese Frage keine Antwort mehr gebe, waren Menschen verärgert, erbost. Es war ein Unverständnis auf beiden Seiten. Wie soll es denn schon gehen, wenn die eigene Tochter schwerst krank ist, wenn die eigene Tochter gestorben ist? Schlecht? Ja, sehr schlecht. Aber weder gut noch schlecht waren in dem Moment die passenden Schubladen, in die ich hätte meine Gefühle hineinsortiert. Es gab so eine Kategorie nicht, keine Schublade dieser Größe und Stabilität, die meine Antwort hätte aushalten können. Was mir dann in einigen Fällen entgegengebracht wurde, waren indirekte Vorwürfe der Fragenden. Oder aber, ich sei „hart“ geworden. Leider, denn sobald ich mich einmal nicht mehr der Alltäglichkeiten hingab und einen Schritt zur Seite ging, bildlich gesprochen, wurde mir sogleich ein Stempel aufgedrückt. Ja, manche Leute reagierten dann auch so, dass sie meine Antwort ins Lächerliche zogen. Meine

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