Liebe jenseits von Paarbeziehungen. frieder hentzelt

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Liebe jenseits von Paarbeziehungen - frieder hentzelt

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auch potenziell gefährlich.

      Zu unseren frühesten Lernerfahrungen gehört es daher, die Regeln für Begegnungen zu erkunden. Wie wird das Gegenüber angesprochen, welche Rituale von Begrüßung und Abschied sind angemessen? Was darf gefragt, über welche Themen kann gesprochen werden? Was kann voneinander erwartet werden? All das und noch viel mehr ist kulturell geregelt und muss erlernt werden. Ohne solche Gestaltungsregeln wäre das Zusammenleben wahrscheinlich kaum möglich.

      Eine gute und wertvolle Begegnung besteht aber nicht nur daraus, dass diese Regeln befolgt werden. Interessant wird es dann, wenn die Grenzen dessen, was erlaubt ist und erwartet werden kann, ausgereizt oder vielleicht sogar ausgedehnt werden. Hier zeigt sich, dass neben dem Erlernen der kulturellen Regeln für Begegnungen noch eine zweite Fähigkeit entwickelt werden muss, nämlich ein Gespür für das Gegenüber und für das jeweils ganz eigene Gefälle eines Zusammenseins.

      Damit sind auch die zwei Seiten markiert, die immer berührt werden, wenn irgendeine Form des Zusammenseins von Menschen betrachtet wird. Es geht um kulturelle Vorgaben, Bewertungen und Rahmensetzungen. Zugleich werden ganz subjektive Ziele, Wünsche und Persönlichkeitsstrukturen Einzelner angesprochen. Zwischen den Menschen, die einander begegnen, entsteht eine Beziehung; sei es beim Einkaufen die Beziehung zu dem Menschen an der Kasse, sei es bei Sexualkontakten in einem Darkroom zu dem Partner gemeinsamer Lust, sei es bei einem tiefen und bewegenden Gespräch zu dem Gesprächspartner.

      Die Beziehungen, die hier entstehen, können allein auf der funktionalen Ebene liegen, wie im Beispiel von Verkäufer und Kunde. Sie können aber auch auf einem Interesse gründen, das ein Anderer als Person auslöst, wie im Beispiel des Sexual- oder dem des Gesprächspartners. Manche dieser Beziehungen sind einzig für den Augenblick wichtig um danach in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Immer wieder werden aber aus diesen abgeschlossenen Punkten von Begegnungen auch Linien, haben diese Beziehungen eine Bedeutung, die über den Augenblick hinausweist. Sie wirken fort und bilden einen neuen Rahmen für zukünftige Begegnungen. So entstehen andauernden Beziehungen, und sie sind es, die zu einem gewichtigen Teil das ausmachen, was wir sind. Andere Menschen gehören zu uns, unsere Geschichte ist nicht erzählbar ohne zu sagen, was sie in der Vergangenheit für uns bedeutet haben, welche Rolle sie in der Gegenwart für uns spielen und was wir künftig von ihnen erwarten, befürchten oder erhoffen.

      Ein altgriechisches Sprichwort, das vielleicht auf Sokrates zurückgeht, lautet: „Zeige mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist.“ Damit wird zum Ausdruck gebracht, von welcher Bedeutung das Netz von Mitmenschen ist, in dem sich jeder befindet und vorfindet. Allerdings wäre es eine deutliche Verkürzung, wenn man nur die freundschaftlichen Beziehungen im Auge hätte. Man könnte auch sagen: „Zeige mir deine Feinde“ oder „Zeige mir deine Kollegen und ich sage dir, wer du bist.“ Alle, mit denen wir in einer Beziehung stehen, machen einen wesentlichen Teil dessen aus, was wir sind.

      Daneben steht noch ein anderer Aspekt. Eine wesentliche Voraussetzung für das Gefühl, mit dem Leben einigermaßen zufrieden zu sein, ist die Zufriedenheit mit den Beziehungen, in denen man steht. Das gilt in gleicher Weise für die Beziehung zu Kolleginnen und Kollegen wie für die zu Freundinnen und Freunden. Grundlage und Motivation der jeweiligen Beziehungen ist mit Blick auf ihre Bedeutung für die Lebenszufriedenheit nicht entscheidend.

      So wichtig und wesentlich für das Lebensgefühl Beziehungen im hier skizzierten Sinne auch sein mögen, so wenig scheinen sie doch mit dem zu tun zu haben, worum die eingangs erwähnten Bücher kreisen. Wer würde nach Ratschlägen dafür suchen, Freunde, Bekannte oder Kollegen zu finden? Die Kategorie „glücklich“ erscheint auch nicht nahe liegend, um eine solche Beziehung zu beschreiben, wenn sie sich positiv gestaltet. Erst recht scheinen diese Beziehungen nichts zu sein, das gerettet werden könnte, sollte oder müsste. Es muss also eine Art von Beziehungen zwischen Menschen geben, der im Allgemeinen eine solche Bedeutung zugemessen wird. Bevor sich auch dieser Text mit dieser besonderen menschlichen Beziehung auseinandersetzt, soll noch einmal betont werden, dass es nur eine von vielen Beziehungsformen auf dem weiten Feld der menschlichen Beziehungen ist.

      Paarbeziehungen

      Diese spezielle Form wird im Folgenden „Paarbeziehung“ genannt werden. Damit ist zunächst nichts anderes gesagt, als dass eine solche Beziehung zwei Personen umfasst. Das Wesentliche ist damit aber noch nicht getroffen. Für eine Paarbeziehung ist es entscheidend, dass exakt zwei Personen diese Form von Beziehung miteinander führen. Alle anderen sind ausgeschlossen. Eine Paarbeziehung kennzeichnet, dass sie exklusiv ist. Dementsprechend gehören zu jeder Paarbeziehung ihre Exklusivitätskriterien, Dinge, die nach Meinung der Beteiligten nur innerhalb der Beziehung geschehen dürfen.

      Dabei sind diese Exklusivitätskriterien in den seltensten Fällen nur individuell. Sie gehören vielmehr zu einem gesellschaftlich anerkannten Ensemble von gemeinsam gestalteten Erlebnissen, die als notwendiger und exklusiver Bestandteil von Paarbeziehungen angesehen werden. Hier ist etwa an den Geschlechtsverkehr oder besondere Formen der Zärtlichkeit zu denken. Möglich ist aber auch, dass es bestimmte Themen gibt, über die man nur innerhalb der Beziehung spricht. Letztlich geht es immer darum, irgendwie zum Ausdruck zu bringen, dass es innerhalb der Beziehung eine Liebe gibt, die mit Menschen außerhalb der Beziehung undenkbar ist. Nur ist die höchste oder auch nur die einzigartige Liebe etwas sehr Abstraktes, weshalb es eindeutige, praktische Zeichen dafür braucht, ob sie gegeben ist oder auch nicht.

      Ein Zweites, das neben ihrer Exklusivität Paarbeziehungen aus dem Feld der verschiedenen Beziehungen heraushebt, ist das hohe Maß, in dem es allgemein verbreitete und weitgehend verbindliche Vorstellungen davon gibt, wie das Leben in einer solchen Beziehung aussieht.. Normalerweise entwickeln sich Beziehungen zwischen Menschen entlang der momentanen konkreten Bedürfnisse, Vorstellungen und Möglichkeiten der Beteiligten.

      Anders ist das bei der Paarbeziehung. Hier existiert schon ein mehr oder weniger präzises Bild davon, wie die Beziehung auszusehen hat, noch bevor überhaupt ein potentieller Partner aufgetaucht ist. Und in der Phase des Kennenlernens verdrängt leicht die Frage, ob man dem richtigen Menschen für eine Paarbeziehung begegnet ist, die Frage danach, wie eine angemessene und richtige Beziehung zu dem betreffenden Menschen aussehen müsste. Die verinnerlichten Maßstäbe und Bilder können eine mindestens so hohe Bedeutung erlangen, wie die Erfahrungen und Erlebnisse, die man in der Begegnung mit dem Gegenüber sammelt.

      Aus den klaren Vorstellungen davon, was eine Paarbeziehung ausmacht und wie sie auszusehen hat, folgt auch, dass man in den meisten Fällen einen klaren Anfangspunkt und gegebenenfalls auch einen Endpunkt dieser Beziehungen angeben kann. Für andere Beziehungsformen, eine Freundschaft etwa, gilt das meistens nicht. Sie entwickeln sich in nicht benennbaren Schritten, vertiefen sich und werden intensiver oder sie werden lockerer und oberflächlicher, aber nichts stellt etwas dar, dass man als Anfang oder Ende einer Freundschaft ansehen könnte. Ganz anders sieht das in einer Paarbeziehung aus. Hier können die meisten angeben, wann und womit sie angefangen hat. Häufig werden sogar Jahrestage gefeiert, die an den Beginn der Paarbeziehung erinnern. Diese können sogar neben Hochzeits- und Verlobungstagen stehen. Noch eindeutiger lassen sich meistens Trennungen datieren. Auch wenn ihnen im Normalfall eine längere Geschichte vorausgeht, so ist doch die Trennung selbst ein punktuelles Ereignis. Im Gegensatz zu anderen Beziehungen, wo es immer verschiedene Formen und auch ein Mehr-oder-weniger gibt, gilt für die Paarbeziehung, dass es sie nur ganz oder gar nicht gibt.

      Dass überhaupt von der Paarbeziehung als einer eigenständigen Größe gesprochen werden kann, ist alles andere als selbstverständlich. Noch vor einigen Jahrzehnten hätte man in diesem Zusammenhang unmittelbar an die Ehe gedacht. Eine Nähe zweier Menschen ohne Trauschein war, wenn überhaupt, nur für eine kurze Zeit möglich. Wenn sie längere Zeit anhielt, dann sprach man von einer „wilden Ehe“, was einen massiv negativen Anstrich hatte. Mittlerweile ist die Bedeutung der Eheschließung deutlich zurückgegangen. Für die meisten Menschen, die heiraten, ändert sich nichts

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