Der junge Reformator Luther - Teil 2 – ab 1518. Heinrich Boehmer

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Der junge Reformator Luther - Teil 2 – ab 1518 - Heinrich Boehmer gelbe Buchreihe

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nie offiziell überreicht worden. Wie dem aber auch sein möge, jedenfalls sah sich Cajetan genötigt, auf den Wunsch des Fürsten einzugehen und in diesem Sinne nach Rom zu berichten. Dort war man inzwischen schon durch seine früheren Berichte über Friedrichs Haltung in der Wahlfrage zu der Erkenntnis gelangt, dass man dies einflussreichste Mitglied des Kurfürstenkollegs sich möglichst warmhalten müsse, und hatte aus diesem Grunde schon am 3. September beschlossen, Friedrich die höchste Auszeichnung, die der Papst zu vergeben hatte, die Goldene Tugendrose, zu verleihen. Als die neue Depesche Cajetans etwa am 9. oder 10. September eintraf, war man daher gleich bereit, den Wünschen Friedrichs so weit als möglich Rechnung zu tragen. Die seit Jahrhunderten der Kurie geläufige Überordnung ihrer weltlich-politischen Interessen über ihre kirchlichen Pflichten und Aufgaben hinderte sie also jetzt schon, in der lutherischen Angelegenheit das zu tun, was sie selbst als richtig und unbedingt nötig erkannt hatte.

      Am 11. September ließ Leo X. an Cajetan die Weisung ergehen: Luther in Augsburg sorgfältig, aber unter Vermeidung jeglicher Disputation, zu verhören, und ermächtigte ihn zugleich, „je nach Befund zur Freisprechung oder zur Verurteilung zu schreiten“. Etwa am 20. September konnte Cajetan dem Kurfürsten dieses neue Breve zeigen. Dass er Luther auch im Falle eines unbefriedigenden Ausgangs des von ihm anzustellenden Verhörs in Gnaden wieder entlassen solle, war darin freilich nicht gesagt. Aber dies Zugeständnis konnte er dem Kurfürsten unbedenklich auf eigene Verantwortung und Gefahr machen, nachdem ihm Friedrich in aller Form zugesichert hatte, „dass er der erste sein werde, Martinus in Strafe zu nehmen, wenn er durch Urteil päpstlicher Heiligkeit in Rom verdammt werden sollte“.

      Luther hatte von der schweren Gefahr, in der er schwebte, nichts verlauten hören. Der sehr bedenklich klingende Brief, den Staupitz am 14. September von Salzburg aus an ihn richtete: „Du hast, soweit ich sehe, nur noch das Kreuz, d. h. das Martyrium, zu erwarten. Verlasse daher Wittenberg zur rechten Zeit und komme zu mir, damit wir zusammen leben und sterben. Der Fürst (Erzbischof Matthäus Lang) ist damit einverstanden“, erreichte ihn erst, als er bereits von Spalatin über die Absichten Cajetans beruhigt worden war. Kurz danach, am 24. oder 25. September, traf dann der Befehl des Kurfürsten ein: er solle sich unverzüglich nach Augsburg aufmachen, um sich dort von Cajetan verhören zu lassen.

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      Vor Cajetan in Augsburg

      Jakob (Thomas) Vio aus Gaeta, genannt Cajetan (* 1469 – † 1534), gehörte zu den sehr wenigen Mitgliedern des Kardinalkollegs, die ihrer verantwortungsvollen Stellung sich ganz bewusst und daher bemüht waren, ihr Amt nach bestem Wissen und Gewissen zum Segen der Kirche zu verwalten. Als Mitglied des Dominikanerordens, dem er bereits in seinem 15. Lebensjahr sich angeschlossen hatte, war er schon in seiner Jugend mit dem System des Thomas von Aquino so vertraut geworden, dass er dasselbe bereits 1494 in einer Disputation mit dem berühmten Humanisten Pico della Mirandola nicht ohne Erfolg verteidigen konnte. Seitdem galt er als einer der Leuchten seines Ordens und stieg rasch zu dessen höchsten Würden empor. Schon mit 31 Jahren (1500) Ward er Generalprokurator und mit 32 General. Die Muße, die ihm sein Amt ließ, benutzte er dazu, seinen berühmten Kommentar zu der großen Summa des Thomas von Aquino auszuarbeiten. Erst das Konzil von Pisa (1511) veranlasste ihn, einmal für die bedrohte Autorität des Papsttums im Sinne und Geist des Thomas das Wort zu ergreifen. Er war es auch vornehmlich, der Papst Julius II. bewog, gegen jenes antipäpstliche Konzil das 5. Laterankonzil zu berufen, und er gab diesem Konzil dann auch durch die Unerschrockenheit, mit der er öffentlich für die damals sehr unpopuläre Lehre des Thomas von der Unfehlbarkeit des Papstes eintrat, die Signatur. Zum Lohn dafür ward er bei dem großen Pairsschub vom 1. Juli 1517, durch den Leo X. sich das aufsässige Kardinalskolleg unterwarf, zum Kardinal von San Sisto erhoben. Den Auftrag, als päpstlicher Legat in Deutschland für den beabsichtigten Kreuzzug gegen die Türken zu wirken, verdankte er nur dem Umstande, dass der Kardinal Farnese in letzter Stunde diese sehr wenig dankbare Mission abgelehnt hatte. Über die Angelegenheit Luthers enthielt seine Instruktion kein Wort. Sie erschien wohl, als er Anfang Juni 1518 Rom verließ, der Kurie noch nicht wichtig genug, um einen so berühmten Gelehrten und Kardinal mit ihrer Erledigung zu behelligen. Zufällig war er aber von allen Männern der Kurie der einzige, der Luther einigermaßen gewachsen war. Schon am 8. Dezember 1517 hatte er, noch ohne Kenntnis der 95 Thesen, eine Abhandlung über die Ablässe vollendet, in der er mehrfach zu ähnlichen Ergebnissen gelangt wie Luther. Er definiert wie dieser den Ablass als Erlass der von dem Beichtvater auferlegten Bußwerke und bekämpft gleich ihm die Meinung, dass man für die Verstorbenen Ablass lösen könne, ohne selbst ordnungsgemäß gebeichtet und die Absolution empfangen zu haben. Die Möglichkeit des Totenablasses bestreitet er aber ebenso wenig wie die Existenz des Schatzes der guten Werke und das Recht des Papstes, über diesen Schatz zu verfügen. Die Übereinstimmung mit Luther geht also nicht weit. Immerhin beweist die Abhandlung, dass Cajetan kein Theologe gewöhnlichen Schlages war wie Tetzel, Wimpina oder Prierias, sondern den Mut und Ehrgeiz besaß, sich über die Probleme, die ihn beschäftigten, eine eigene Meinung zu bilden. Als er dann den Auftrag erhalten hatte, Luther zu verhören, studierte er gewissenhaft sogleich die Schriften des sächsischen Mönches. Eine Frucht dieser Studien sind die vier kleinen Aufsätze, die er am 29. September, 2. und 7. Oktober in Augsburg verfasst hat. In dem ersten vom 29. September führt er gegen Luther, aber ohne ihn mit Namen zu nennen, aus, dass die Ablässe eben dadurch, dass sie die auferlegten Bußwerke erlassen, auch die diesen entsprechenden Fegfeuerstrafen tilgen. In dem zweiten Aufsatz vom 2. Oktober behauptet er gegen Luther: Es sei kein Zeichen von Unvollkommenheit, sich um Ablässe zu bemühen. Der Erlass der Strafe befähige vielmehr den Menschen, in größerem Maße als vorher heilige Werke zu tun. Ja es sei sogar verdienstlich, Ablass zu lösen, denn da der Ablass nur dem zugute komme, der im Stande der Gnade sich befinde, so sei diese Handlung ein Werk der eingegossenen Liebe und daher ein Verdienst. Wolle man sichergehen, dann tue man allerdings gut, die auferlegten Bußwerke trotz des gelösten Ablasses nicht zu unterlassen. Am 7. Oktober schrieb er dann gleich zwei Aufsätze über die von Luther angeregten Fragen. In dem ersten gibt er zu, dass es besser wäre, das Geld, was man für Ablässe ausgebe, den Armen zuzuwenden. Doch sei es keine Sünde, das Bessere wegen eines weniger guten Werkes zu unterlassen. Eine Todsünde würde die Verweigerung des Almosens an den Armen um des Ablasses willen nur dann sein, wenn der Arme sich in äußerster Not befände. In dem zweiten Aufsatze beschäftigt er sich mit der Lehre von dem Schatz der guten Werke. Er betrachtet diese Lehre nicht bloß als eine sogenannte fromme Meinung, sondern als ein vom Papst Clemens VI. in der Bulle Unigenitus vom 27. Januar 1343 in aller Form Rechtens definiertes Dogma und meint darum, sie müsse von jedermann unbedingt anerkannt werden. Es war ihm gewiss nicht verborgen, dass er mit dieser Ansicht unter den Theologen allein stand. Das hat ihn aber nicht gehindert, wenige Tage später auch an Luther mit diesem Ansinnen heranzutreten.

      Er hatte sich somit in seiner Weise sehr gründlich auf das Duell mit dem „schäbigen Bettelmönch“ vorbereitet und durfte danach sich wohl mit der Hoffnung schmeicheln, die für ihn als alten Professor besonders reizvolle Aufgabe, die neue Leuchte von Wittenberg zuzudecken, zu Nutz und Frommen der Kirche wie auch seines in der Person Tetzels schwer gekränkten Ordens, glänzend zu lösen.

      Luther hatte sich gleich nach Empfang des kurfürstlichen Schreibens, also wohl noch am 25. September, aufgemacht, um in Begleitung des Bruders Leonhard Beier als Socius itinerarius zunächst nach Weimar zu wandern, wo seiner genauere Weisungen warten sollten. Er fand dort den Kurfürsten, der am 22. September Augsburg verlassen hatte, schon vor, predigte am 29. September vor dem Hofe in der Schlosskapelle und erhielt dann von Spalatin einen Geleitbrief, einige Empfehlungsschreiben an Augsburger Honoratioren und ganze zwanzig Gulden Reisegeld. Am 30. September wanderte er dann weiter nach Nürnberg, wo er etwa am 4. Oktober in gänzlich abgerissenem Zustand anlagte und vergeblich nach Christof Scheurl sich umsah, der ihn auf Wunsch des Kurfürsten als Rechtsbeistand nach Augsburg weiterbegleiten sollte. Seine Stimmung war anfänglich sehr gedrückt. „Ständig“, erzählt er später, „hatte ich den Scheiterhaufen vor Augen. Nun musst du sterben, sagte ich mir.“ Aber mehr als das eigene Schicksal bewegte ihn der Gedanke:

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