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und Schenken zu halten, erst gerichtlich festgestellt werden musste. Die Klagen über diese Missbräuche bildeten überall den hauptsächlichsten Gegenstand des geschäftlichen Verkehrs zwischen weltlichen und geistlichen Obrigkeiten. Aber der Versuch, sie zu beseitigen, hatte noch nirgends zu einem durchgreifenden Erfolg geführt, weil die Kirche nicht gewillt war, auf dies ungemein wirksame und für sie höchst bequeme Zwangsmittel zu verzichten.

      Danach begreift man, wie die Wittenberger aufhorchten, als Luther zum ersten Mal in einer Predigt am 14. März 1518 es wagte, auch „dieser Katze die Schelle anzubinden“ und sich zürnend gegen das „Spiel“ wandte, „das man jetzt um geringer Sachen willen mit dem Bann anrichte“. Aber was den anderen Leuten der größte Anstoß war, die Verwendung des Bannes zu finanziellen Zwecken, das interessierte ihn, genau wie bei dem Ablass, erst in zweiter Linie. Als größter Schade erschienen ihm auch bei diesem Missbrauch die verheerenden Folgen, die er für das sittliche und religiöse Leben hatte: die Verwirrung der Gewissen durch die überstrenge Ahndung kleiner äußerer Übertretungen und die laxe Behandlung der schwersten sittlichen Verfehlungen, insbesondere wenn der Angeklagte ein Geistlicher oder ein wohlhabender Mann war, vor allem aber die schweren Skrupel und Ängste, in die gerade die ernster gesinnten Frommen gerieten, wenn sie selbst oder einer ihrer Angehörigen ungerechterweise in den Bann getan wurden. Denn der Glaube, dass der„Bänniger“, wenn er im Bann sterbe, der Seligkeit verlustig gehe, war noch nicht erschüttert und wurde durch die feierlichen Riten bei der Verkündigung des Bannes, Auslöschen der Lichter, Glockengeläut usw., von der Kirche absichtlich genährt und wach erhalten.

      Einen schicklichen Anlass, die Skrupel und Ängste wegen solcher ungerechter Bannsprüche einmal gründlich zu behandeln, gab dem Reformator der vorgeschriebene Text des Sonntags Exaudi, Joh. 15, 26 ff.: „Sie werden euch ungerechterweise in den Bann tun.“ lm Anschluss an diesen Text führte er am 16. Mai auf der Kanzel der Wittenberger Stadtkirche aus: Der Bann bedeute immer nur Ausschluss aus der äußeren Kirchengemeinschaft, nicht Ausschluss aus der inneren Gemeinschaft der Gläubigen, die auf dem einen Glauben, der einen Liebe, der einen Hoffnung beruht. Die Versetzung in diese Gemeinschaft wird nicht durch Menschen bewirkt, daher kann man aus ihr auch nicht durch die Willkür eines anderen Menschen, sondern nur durch die eigene Sünde und Missetat ausgestoßen werden. Die Erregung über die Tyrannei der Offiziale, die schon öfters zur Ermordung dieser Beamten geführt hat, wird sofort nachlassen, wenn das Volk hört, dass dieselben auch durch den Missbrauch ihrer Gewalt nicht Schaden, sondern nur Nutzen stiften können. Denn Unrecht leiden schadet der Seele nicht, sondern ist ihr stets zum Heil. „Wirst du ungerechterweise um der Wahrheit oder Gerechtigkeit willen gebannt, dann darfst du ja nicht aufhören, das zu tun, weswegen du solche Gewalttat erleiden musst. Stirbst du darüber ohne Sakrament und wird dein Leichnam in ungeweihter Erde verscharrt oder gar wieder ausgegraben und ins Wasser geworfen, wohl dir! Selig ist, wer in solch ungerechtem Bann dahingeht. Denn, weil er der Gerechtigkeit treu geblieben ist, wird er die Krone des Lebens erlangen.“ Die Predigt machte insbesondere auf die Juristen und Theologen einen gewaltigen Eindruck. Es schien Luther daher gut, über das gleiche Thema in nächster Zeit eine öffentliche Disputation zu halten. Aber der Bischof von Brandenburg kam ihm wieder dazwischen. Auf die Kunde von seinem Vorhaben sandte er sofort einen expressen Boten nach Wittenberg, um ihn zu ersuchen, die Disputation zu vertagen, und da auch die Freunde für Aufschub waren, so fügte er sich.

      Allein unter seiner Kanzel hatten am 16. Mai auch etliche „gräuliche Späher“ gesessen, Sendlinge oder Kreaturen der Dominikaner. Die machten jetzt aus seinen Worten einige in gehässiger Weise zugespitzte Thesen, und diese Thesen verbreiteten sie dann, wo und wie sie konnten. Er erfuhr das ganz zufällig erst mehr als zwei Monate später, als er mit Johann Lang in Ordensangelegenheiten in Dresden weilte. Man betrachtete ihn dort am herzoglichen Hofe bereits mit Misstrauen. Aber da er schon ein so berühmter Mann war, so forderte man ihn doch auf, in der Schlosskapelle am 25. Juli vor dem Hofe – Herzog Georg selbst weilte jedoch schon in Augsburg – eine Predigt über den heiligen Jakobus zu halten. Am Abend sah er sich dann gezwungen, einer Einladung des Hofkaplans Hieronymus Emser Folge zu leisten. Er fand bei demselben eine ganze Anzahl ihm unbekannter Leute vor, darunter einen eifrigen Leipziger Thomisten, den Magister Weißestadt, mit dem er alsbald in ein sehr lebhaftes Gespräch über Aristoteles und Thomas von Aquino geriet. Dass dieses Gespräch hinter der Tür von einem Dominikaner aus Tetzels Vaterstadt Pirna belauscht wurde, ahnte er nicht, auch nicht, dass Emser und Genossen die ganze Zusammenkunft nur arrangiert hatten, um ihn auszuhorchen. Nur eins fiel ihm sehr auf: dass ihm Weißestadt mit jenen angeblich von ihm verfassten Thesen zu Leibe gehen zu können glaubte. Bald nach seiner Rückkehr ins Schwarze Kloster erfuhr er, dass seine Feinde auch in Augsburg mit dieser Fälschung gegen ihn arbeiteten. Daraufhin entschloss er sich sofort, die wichtigsten Sätze jener Predigt, soweit er sie noch im Gedächtnis hatte, aufzuschreiben und als Flugschrift herauszugeben. Aber seine Feinde waren diesmal noch schneller gewesen als er. Sie hatten schon in den letzten Julitagen die gefälschten Thesen mitsamt einem angeblich von ihm herrührenden bitterbösen Epigramm über die Geldgier der Kurie in Augsburg dem päpstlichen Legaten Cajetan in die Hände gespielt, und dieser hatte darauf schon am 5. August das neue Corpus delicti samt einem kaiserlichen Briefe nach Rom gesandt, in dem der Kaiser die Kurie ersuchte, den Bruder Martin Luther, der so verdammungswürdig und ketzerisch nicht nur über die Ablässe, sondern auch über die Kraft des päpstlichen Bannes lehre, unverzüglich zu bannen, zumal zu befürchten sei, dass er mit seinen Ketzereien nicht bloß das unwissende Volk, sondern auch mächtige Fürsten anstecke. Er, der Kaiser, werde nicht verfehlen, das päpstliche Urteil prompt zu vollstrecken. Diese Depesche Cajetans machte begreiflicherweise in Rom einen sehr starken Eindruck. Wenn der Kaiser selbst sich so besorgt äußerte, dann musste der Bruder Martin doch viel gefährlicher sein, als man bisher angenommen hatte. Der Auditor Ghinucci, dem man die gefälschten Thesen und das gefälschte Epigramm vorlegte, konnte diese Ansicht denn auch nur bestätigen. Er erklärte Luther auf Grund dieses neuen Materials für einen notorischen Ketzer und empfahl dem Papst, gegen ihn nunmehr sogleich all die im kanonischen Rechte für solche Fälle vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen. Leo X. ging auch hierauf ein. Am 23. August ermächtigte er Cajetan, in einem sehr umfänglichen Breve (Postquam ad aures), den neuen Ketzer unverzüglich zu verhaften und bis auf weitere Weisung aus Rom sorgfältig zu verwahren. Unter demselben Datum ersuchte er in einem zweiten Breve den Kurfürsten von Sachsen, den „Sohn der Bosheit“ an Cajetan auszuliefern, und in einem dritten den derzeitigen Vorsteher des Augustinerordens, Gabriele della Volta, einen mit allen hierzu nötigen Vollmachten ausgestatteten Ordensbruder nach Deutschland zu entsenden, um den Häretiker und Schismatiker Martinus zu ergreifen, an Händen und Füßen zu fesseln und gefangen zu setzen. Schon zwei Tage später teilte Volta dies Breve dem sächsischen Augustinerprovinzial Gerhard Hecker mit und fügte hinzu, dass auch er Martinus als Rebell wider den Orden nach Rom zitiert habe.

      Damit schien Luthers Schicksal besiegelt.

      Da ereignete sich ein Vorfall, der den Legaten wie die Kurie veranlasste, sofort andere Seiten aufzuziehen. Am 27. August lehnte Kurfürst Friedrich es endgültig ab, den von Kaiser Maximilian dem Kurfürsten vorgelegten Vertrag über die Wahl seines Enkels Karl von Spanien zum römischen König zu unterzeichnen. Die Wahl Karls war, wie Cajetan wusste, der Kurie absolut unerwünscht. Sie konnte aber, so wie die Dinge jetzt lagen, nur dann verhindert werden, wenn der Kurfürst fest blieb. Wollte der Legat einigermaßen den Intentionen seines hohen Auftraggebers gerecht werden, dann musste er also jetzt alles daransetzen, den Kurfürsten bei der Stange zu halten. Er kam, kaum zu seiner Freude, sehr bald in die Lage, von dieser Einsicht Gebrauch zu machen. Bereits an einem der nächsten Tage ließ sich Friedrich bei ihm im Fuggerhause melden, um ihn zu bitten: Luther selber in Augsburg väterlich, aber nicht richterlich zu verhören und ihn danach ungehindert wieder nach Wittenberg zu entlassen. Was hatte den Kurfürsten zu diesem Schritt veranlasst? Allem Anschein nach nicht das damals wohl noch auf dem Wege nach Augsburg befindliche Breve, das ihm die Auslieferung des Sohnes der Bosheit anbefahl, denn so schnell auf solche unerwartete Zumutungen zu reagieren war durchaus nicht seine Art, sondern das inzwischen von ihm gründlich überlegte und mit seinen Räten nach allen Richtungen hin durchgesprochene Gesuch Luthers vom 8. August: bei dem Papst die Commissio causae suae ad partes Alemanniae zu erwirken. Das ominöse Breve

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