Winnetou Band 1. Karl May
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Er schwieg und senkte den Kopf. Ich war tief bewegt und sagte nichts, denn ich hatte das Gefühl, als ob
jede Bemerkung nach einem solchen Bekenntnisse trivial klingen müsse; aber ich nahm seine Hand in die
meinige und drückte sie herzlich. Er verstand mich und gab mir dies durch ein leises Nicken und einen
Gegendruck zu erkennen. Es verging eine ganze Weile, bis er leise fragte:
»Woher es nur kommt, daß ich Ihnen dies erzählt habe? Ich sehe Sie heut zum erstenmal und werde Sie
vielleicht nie wiedersehen. Oder ist es auch eine Gottesfügung, daß ich hier und jetzt mit Ihnen
zusammengetroffen bin? Sie sehen, ich, der frühere Gottesleugner, suche jetzt alles auf diesen höhern
Willen zurückzuführen. Es ist mir mit einemmal so sonderbar, so weich, so wehe um das Herz, doch ist
dies "wehe" kein schmerzliches Gefühl. Eine ganz ähnliche Stimmung überkommt einen, wenn im
Herbste die Blätter fallen. Wie wird sich das Blatt meines Lebens vom Baume lösen? Leise, leicht und
friedlich? Oder wird es abgeknickt, noch ehe die natürliche Zeit gekommen ist?«
Er blickte wie in stiller, unbewußter Sehnsucht das Tal hinab. Von dorther sah ich Intschu tschuna und
Winnetou kommen. Sie saßen jetzt auf Pferden und führten dasjenige Klekih-petras ledig neben sich. Wir
standen auf, um nach dem Lager zu gehen, wo wir mit beiden zugleich ankamen. Am Wagen lehnte
Rattler mit feuerrotem, aufgedunsenem Gesichte und stierte zu uns herüber. Er hatte während der kurzen
Zeit so viel getrunken, daß er nun nicht mehr trinken konnte, ein schrecklicher, ein ganz vertierter
Mensch! Sein Blick war heimtückisch wie derjenige eines wilden Stieres, welcher zum Angriffe schreiten
will. Ich nahm mir vor, ein Auge auf ihn zu haben.
Der Häuptling und Winnetou waren von ihren Pferden gestiegen und traten zu uns. Wir standen in einem
ziemlich weiten Kreise beisammen.
»Nun, haben meine weißen Brüder sich überlegt, ob sie hier bleiben oder fortgehen wollen?« fragte
Intschu tschuna.
Der Oberingenieur war auf einen vermittelnden Gedanken gekommen; er antwortete:
»Wenn wir auch fortgehen wollten, so müssen wir doch hier bleiben, um den Befehlen zu gehorchen,
welche wir empfangen haben. Ich werde noch heut einen Boten nach Santa Fé senden und anfragen
lassen; dann kann ich dir Antwort geben.«
Das war gar nicht so übel ausgedacht, denn bis der Bote zurückkehrte, mußten wir mit unserer Arbeit
fertig sein. Der Häuptling aber sagte in bestimmtem Tone:
»So lange warte ich nicht. Meine weißen Brüder müssen mir sofort sagen, was sie tun wollen.«
Rattler hatte sich einen Becher mit Brandy gefüllt und war zu uns gekommen. Ich dachte, er habe es auf
mich abgesehen, aber er trat jetzt zu den beiden Indianern und sagte mit lallender Zunge:
»Wenn die Indsmen mit mir trinken, so tun wir ihnen den Willen und gehen fort, sonst nicht. Der Junge
mag anfangen. Hier hast du das Feuerwasser, Winnetou.«
Er hielt ihm den Becher hin. Winnetou trat mit einer abweisenden Gebärde zurück.
»Was, du willst keinen Drink mit mir tun? Das ist eine verdammte Beleidigung. Hier hast du den Brandy
ins Gesicht, verfluchte Rothaut. Lecke ihn dir ab, da du ihn nicht trinken willst!«
Ehe es Einer von uns zu verhindern vermochte, schleuderte er dem jungen Apachen den Becher nebst
Inhalt in das Gesicht. Das war nach indianischen Begriffen eine todeswürdige Beleidigung, welche auch
sofort, wenn auch nicht so streng bestraft wurde, denn Winnetou schlug dem Frevler die Faust in das
Gesicht, daß er zu Boden stürzte. Er raffte sich mühsam wieder auf. Schon machte ich mich zum
Einschreiten gefaßt, denn ich glaubte, er werde zur Tätlichkeit schreiten; dies geschah aber nicht; er
starrte den jungen Apachen nur drohend an und wankte dann fluchend wieder nach dem Wagen zurück.
Winnetou trocknete sich ab und zeigte, grad wie sein Vater, eine starre, unbewegte Miene, der man nicht
ansehen konnte, was im Innern vorging.
»Ich frage noch einmal,« sagte der Häuptling; »dies ist das letzte Mal. Werden die Bleichgesichter noch
heut dieses Tal verlassen?«
»Wir dürfen nicht,« lautete die Antwort.
»So verlassen aber wir es. Es ist kein Friede zwischen uns.«
Ich machte noch einen Versuch der Vermittelung, doch vergeblich; die drei gingen zu ihren Pferden. Da
erscholl vom Wagen her Rattlers Stimme:
»Immer fort mit euch, ihr roten Hunde! Aber den Hieb ins Gesicht soll mir der Junge sofort bezahlen!«
Zehnmal schneller, als man es ihm bei seinem Zustande zutrauen konnte, hatte er ein Gewehr aus dem
Wagen genommen und schlug es auf Winnetou an. Dieser stand im Augenblicke frei und ohne Deckung;
die Kugel mußte ihn treffen, denn es geschah alles so schnell, daß ihn keine Bewegung retten konnte. Da
schrie Klekih-petra voller Angst auf:
»Weg, Winnetou, schnell weg!«
Zu gleicher Zeit sprang er hin, um sich schützend vor den jungen Apachen zu stellen. Der Schuß krachte;
Klekih-petra fuhr sich, von der Gewalt des Kugelaufschlages halb umgedreht, mit der Hand nach der
Brust, taumelte einige Augenblicke hin und her und fiel dann auf die Erde nieder. In diesem Augenblicke
stürzte aber auch Rattler, von meiner Faust getroffen, zu Boden. Ich war, um den Schuß zu verhüten,
rasch zu ihm hingesprungen, aber doch zu spät gekommen. Ein allgemeiner Schrei des Entsetzens war
erschollen; nur die beiden Apachen hatten keinen Laut von sich gegeben. Sie knieten bei ihrem Freunde,
der sich für seinen Liebling aufgeopfert hatte, und untersuchten stumm seine Wunde. Er war ganz nahe
am Herzen in die Brust getroffen; das Blut schoß mit Gewalt hervor. Ich eilte auch hinzu.