Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern. Jürgen Ruszkowski

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Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern - Jürgen Ruszkowski

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       Vorwort

       des Herausgebers zu diesem Buch

      1945 – ein schicksalschweres Jahr in ganz Europa und weiten Teilen der übrigen Welt, das Millionen von Menschen über Jahre oder Jahrzehnte ihres weiteren Lebens stark beeinflusste, soweit sie es überhaupt überlebten, und das bei vielen Menschen traumatische Prägungen für ihr ganzes Leben hinterließ. Nur die über 75jährigen Menschen können sich noch persönlich an den 2. Weltkrieg, sein Ende und die unmittelbaren Nachkriegsmonate erinnern. Für die Nachfolgegenerationen sind jene Ereignisse bereits Geschichte.

      Viele kluge Bücher sind über diese Zeit schon erschienen und füllen ganze Regale. Ein Standardwerk ist z. B. Jürgen Thorwalds „Die große Flucht / Es begann an der Weichsel“. Auch Peter Bamm hat uns auf den letzten Seiten seines Bestsellers „Die unsichtbare Flagge“ oder am Schluss seiner Autobiographie „Eines Menschen Zeit“ treffende Einblicke in jene Zeit hinterlassen. In der Reflexion seiner sowjetischen Kriegsgefangenschaft „...und führen, wohin du nicht willst“ hat Professor Helmut Gollwitzer die Schrecknisse der Niederlage Deutschlands für die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion analysiert, von denen mindestens 1,3 Millionen nicht überlebten. Noch 1998 veröffentlichte Heinz Schön viele Zeitzeugenberichte in „Im Heimatland in Feindeshand“. Nun noch ein Buch?

      Die Zeitzeugen sterben nach und nach aus. „Mutter, wenn du es nicht aufschreibst, wie es damals war, hat schon die nächste Generation unserer Familie keine Ahnung mehr von dem schrecklichen Geschehen!“ Marianne Pletzer nahm sich die Mahnung ihrer Tochter zu Herzen und schrieb sich die belastenden Erinnerungen von der Seele. Inzwischen lebt sie nicht mehr, aber ihre Aufzeichnungen können uns mahnen. Der Herausgeber dieses Bandes war damals gerade 10 Jahre alt. Heute, fast sieben Jahrzehnte später, tauchen die dramatischen Bilder aus jenen Kindheitstagen immer noch vor seinen Augen und denen anderer Zeitzeugen auf. Daher möchte er nach der durch die Deutschen selbst verschuldeten Katastrophe dieses schrecklichen Krieges einige bisher in Buchform noch nicht veröffentlichte Texte einreihen in die bereits vorhandenen Zeugnisse über diese noch unvergessene Zeit, die für unzählige Menschen im Herzen Europas von weichenstellender Bedeutung war.

      Die Jahrzehnte sind inzwischen ins Land gegangen. Viele Wunden sind verheilt, mindestens vernarbt. Seit Willy Brandts Kniefall hat sich das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen langsam wieder normalisiert. Kein ernstzunehmender Deutscher will die Grenzen an Oder und Neiße heute ändern. Die Vertriebenen und ihre Nachkommen haben sich in der heutigen Bundesrepublik Deutschland in harter Arbeit eine neue Existenz aufgebaut und denken nicht daran, nach Ostpreußen, Schlesien oder Hinterpommern zurückzukehren – allenfalls als Touristen, um die Stätten ihrer Kindheit noch einmal wehmütig zu sehen.

      Soll man alte, inzwischen vernarbte, Wunden heute wieder aufreißen? Sollten wir nicht lieber die Lippen zusammenpressen und schweigen, über das, was da Furchtbares geschah? Liefern die in diesem Buch vorgestellten Zeitzeugenberichte nicht den ewig Gestrigen und unbelehrbaren Kahlköpfen Argumentationsmaterial? 67 Jahre danach können die, die die Zeche bezahlen mussten, die Hitler ihnen eingebrockt hatte, die Erlebnisse nicht verdrängen. „...da ich’s wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein tägliches Heulen.“ (Psalm 32,3) Es hat keinen Zweck, das Geschehene unter den Teppich zu kehren. Nur nach einer ehrlichen Aufarbeitung ist ein gemeinsamer Weg in einem neuen Europa möglich.

      Dieses Buch wird sicher überwiegend von älteren Menschen gelesen werden, erfreulich wäre es jedoch, wenn auch die Enkel sich für das Thema interessieren würden. Mögen diese Zeitzeugenberichte heutige und künftige Generationen immer wieder ermahnen, durch Umsicht und Vernunft Aggression und Krieg zu meiden und ein friedliches Miteinander im Umgang der Menschen und Völker zu fördern.

      Allen, die an der Erstellung dieser Zeitzeugensammlung mitgewirkt haben, die von ihren Erlebnissen berichteten, die Texte ins Internet gestellt und somit zugänglich gemacht hatten, die sich mit der Veröffentlichung in diesem Buch einverstanden erklärten, sei herzlich gedankt, ebenso Herrn Jochen Esdohr (†) für das Korrekturlesen, das er trotz großer Bedenken zur Veröffentlichung einiger der Texte übernahm.

      Hamburg, 2003 / 2014 Jürgen Ruszkowski

       Prolog zum Thema Kriegsende 1945

      von Jürgen Ruszkowski

      Im Frühjahr 1945 kam der von Hitler angezettelte böse Krieg an sein bitteres Ende und brachte das Elend, das man vorher anderen Völkern bereitet hatte, mit aller Gewalt über die Deutschen. Die Rache der Sieger war schrecklich.

      Nicht nur bei den Russen hatte die beim deutschen Rückzug betriebene Taktik „Verbrannte Erde“ Wut und Rache den Deutschen gegenüber ausgelöst. Die Deutschen hatten ab 1941 die russischen Kriegsgefangenen als „Untermenschen” zu Zehntausenden verrecken lassen. Von Stalingrad bis an den Bug waren die Rotarmisten über die Leichen ihrer russischen Brüder hinweggeschritten. – Auch die Polen rächten sich in den ihnen 1945 als Ersatz für die im Osten nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 von der Sowjetunion einverleibten Landesteile nun zugeteilten deutschen Ostgebieten an den Deutschen, was ihnen die Deutschen seit 1939 angetan hatten. Himmler am 22. August 1939: „Polen wird von der Landkarte der Nationen verschwinden. Was im rückwärtigen Heeresgebiet passiert, wird vermutlich nicht die Zustimmung der Generalität finden. Deshalb soll die Armee nicht an der Liquidierung der polnischen Berufssoldaten und der Juden beteiligt werden. Dies wird Aufgabe der SS sein...” Die SS habe „grundsätzliche Aufgaben zu erfüllen: Sie hat sicherzustellen, dass Polen niemals wieder aufersteht. Deshalb muss der polnische Adel, die polnische Intelligenz vom Lehrer bis zum Wissenschaftler ausgerottet werden. Zugleich sollten die Polen auf den Stand von Heloten, von Untermenschen zurückgeführt werden. Sie hat sofort Vorausmaßnahmen gegen die drei Millionen polnischen Juden zu ergreifen.” (André Brissaud: „Canaris“) „Nach Himmlers, Bormanns und Greisers Plänen sollten nur diejenigen Polen im Warthegau und polnischen Generalgouvernement bleiben dürfen, die untergeordnete Arbeit verrichteten. Sie sollten ohne Schulbildung bleiben und als Menschen zweiter Klasse beachtet und behandelt werden. Und so war es geschehen... Die Austreibung der Polen war in der ersten Zeit brutal gewesen, rücksichtslos, überstürzt, ohne Bedacht auf Menschlichkeit und Menschenleben; durchgeführt oder geleitet von landesfremden SS-Kommandos...“ (Jürgen Thorwald: „Die große Flucht”). Kein Wunder, dass in Russen, Polen und Tschechen bei Kriegsende ein ungehemmter Revanchismus den Deutschen gegenüber wütete. Verbrechen wurden also auf beiden Seiten verübt. – Aber nicht nur die Schuldigen zahlten!

      Das Drama hatte bereits 1914 mit der Entfesselung eines industrialisierten Krieges im romantisch-pubertären Rausch eines halbstarken Männlichkeitswahns begonnen. Der Zweite Weltkrieg wird von vielen Historikern als Fortsetzung des Krieges von 1914/18 angesehen. Das „Friedensdiktat“ von Versailles legte den Keim zum zweiten Teil des Weltkrieges mit seinen noch weitaus dramatischeren Folgen für Deutschland. Das aus Versailles resultierende wirtschaftliche und parteipolitische Chaos im Deutschland von Weimar führte dazu, dass die Partei des Adolf Hitler an die Macht kam, die diese durch demokratische Wahl errungene Macht dann skrupellos missbrauchte und das deutsche Volk nach anfänglichem Siegesglanz in große moralische Schuld und in die bitterste Not seit dem 30jährigen Krieg führte.

      Der von Sozialisten und Liberalen als Erzreaktionär gesehne Reichsgründer Otto von Bismarck war durchaus kein Friedensengel und auch kein Freund der Polen. Er scheute vor Kriegen nicht zurück, war jedoch zu einem klugen und vorsichtigen Außenpolitiker geworden,

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