Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern. Jürgen Ruszkowski

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Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern - Jürgen Ruszkowski

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verlangte von uns die rücksichtslose Preisgabe aller unserer körperlichen Kräfte und unseres persönlichen Eigentums: „Einer für alle!“ Niemand konnte sich dagegen auflehnen. Eine Entlohnung für den Einsatz gab es nicht. Selbst für Brief- und Paketporto mussten uns unsere Eltern Geld schicken. Unsere selbst finanzierten und auf Kleiderkarte beschaffte HJ-Uniformen, die wir wegen der Kälte oft nachts nicht auszogen und darin schliefen, trugen wir bei der Schinderei in den Schützengräben auf. Kaufläden gab es weit und breit nicht. Später kam ein fahrender Bäcker dreimal wöchentlich in das 2 km entfernte Dorf Schönau, bei dem wir mit den von den Eltern geschickten Markenabschnitten etwas zusätzlich zur schmalen Kost kaufen konnten. In dieser für uns monotonen und entbehrungsreichen Zeit drehte sich in unserer Post an die Eltern alles nur ums Essen. Nur wer einen stabilen Koffer hatte, konnte seine Lebensmittelportionen vor Mäusen schützen. Meine Eltern schrieben mir immer wieder Verhaltensmaßregeln, besonders im Hinblick auf die Erhaltung der Gesundheit. Aus ihren Briefen erfuhr ich auch von den verheerenden Bombenangriffen auf Stettin und die Folgen für unser Haus, in dem für aus Stettin evakuierte Landesforstamts- und Holzwirtschaftsamts-Dienststellen Räume requiriert wurden.

      Bei den Schanzarbeiten traf ich auch unseren Erdkundelehrer Linemann und viele Mädchen aus Christinenberg.

      Es gab immer wieder Gerüchte, der Einsatz dauere nur 14 Tage oder ginge wirklich bald zu Ende, oder wir würden durch andere Hitlerjungen abgelöst. Dann hieß es plötzlich, alle könnten vom 12. bis 17. Oktober nach Hause in Urlaub fahren, zwei Tage würden für An- und Abreise gerechnet und vier Tage als Urlaub! Ein Sonderzug wurde für uns eingesetzt. Weil ich meinen Spaten wegen gänzlich anderer Arbeiten nie gebraucht hatte, nahm ich ihn mit nach Hause. Zu Hause angekommen, musste ich mich mit den inzwischen veränderten Wohnverhältnissen erst vertraut machen. Vom Christinenberger Bürgermeister musste ich mir für die vier Tage Lebensmittelmarken aushändigen lassen. Darauf gab es 1390 g Brot, davon 850 g Roggenbrot, 150 g Fleisch, 85 g Butter, 40 g Margarine, 100 g Marmelade, 100 g Zucker, 75 g Nährmittel, 40 g Kaffeeersatz, 30 g Käse.

      Nach dem Urlaub ging alles im alten Trott weiter. Jedoch bezogen wir wegen zunehmender Nachtkälte einen leer gemachten großen Speicher und teilten ihn mit Strohgarben in Buchten für je vier Mann ab. Jede Bucht bekam eine einfache Lampe. Von nun an konnte man bei länger werdender Abendzeit mal lesen oder schreiben. In der Mitte des Speichers wurde ein Kohleofen installiert. Wintersachen hatten wir uns von zu Hause mitgebracht.

      Von den etwas Älteren unter uns wurden etliche zum Reichsarbeitsdienst einberufen und kehrten zunächst schnell erst nach Hause zurück. Es wurden auch immer mehr Bauernsöhne reklamiert, deren Väter zum Wehrdienst einberufen worden waren, und deren Mütter nicht alleine mit der Landwirtschaft fertig werden konnten. Es kam jetzt auch vor, dass einzelne Eltern ihre Söhne im Lager besuchten. Von meinen Eltern erfuhr ich, dass eine Klassenkameradin, deren Vater in Hornskrug Partei-Ortsgruppenleiter war, ein meinem Vater unterstellter Revierförster, sowohl vom Osteinsatz als auch vom Kartoffelernteeinsatz befreit war. Diese Leute nahmen sich meist rücksichtslos ihre Sonderrechte.

      Einmal durften wir in Schönau geschlossen einen Film sehen: „Wunschkonzert“. Es wurde uns auch die Wochenschau gezeigt, in der über die „V1“-Raketen berichtet wurde, deren Flüge wir von unserem Lager aus verfolgen konnten. Auch über unseren Schanzeinsatz berichtete diese Wochenschau.

      Mitte September hinderte uns der Frost bereits daran, Spaten und Schaufeln in die Erde zu treiben. Ein Sonderzug brachte uns am 22.11.1944 von unserem Osteinsatz heimwärts.

       Die letzten Wochen in der Heimat

      – auf dem Forstamt Pütt und in Christinenberg – 1945

      Gerd Brehm (* 1929) berichtet:

      Am 22.11.1944 kehrte ich vom Osteinsatz heim. Am nächsten Tag meldete ich mich in der Schule. Von unseren Jungen erschien keiner außer mir, nur die etwa 20 Mädchen meiner Klasse. Weil ich der jüngste war, hatte ich noch keinen Einberufungsbefehl zum Wehrertüchtigungslager oder als Flakhelfer oder Reichsarbeitsdienstmann oder als Soldat. Unser Direktor befahl uns zur Arbeit in der Druckerei der Pommerschen Zeitung in Gollnow, wo die Mädchen und ich zum Drucken von Lebensmittelmarken angelernt wurden: Arbeitszeit täglich 8 Stunden. Ca. 2 Wochen später befahl mich mein Schuldirektor zu sich und teilte mir mit, dass ich ab sofort zum Volkssturmdienst verpflichtet werde, nämlich als Ersatz für meinen Vater (* 1894, wegen einer Kriegsverletzung aus dem 1. Weltkrieg wehruntauglich), der angeblich für den Volkssturmdienst dienstlich unabkömmlich sei. Er sagte weiterhin, dass mit dem Heranrücken der Ostfront der Volkssturm aufgestellt werden müsste, und dass er der Bataillonsführer für Abteilung Gollnow-Stadt sei und mein Vater zum Bataillonsführer Gollnow-Land ernannt werden sollte.

      Ab sofort mussten wir unseren neu geschaffenen Spielkellerraum unter der Küche als Volkssturmwachlokalraum hergeben. Ein Wehrmachtsunteroffizier veranstaltete für etwa 70 Jahre alte mir bekannte Bauern aus Christinenberg und mich eine 30 Minuten-Ausbildung an einer Maschinenpistole und Panzerfaust mit Probeschuss hinter unserem Wohnhaus, wobei durch den Rückstoß der Panzerfaust unsere Badezimmerscheibe zerdrückt wurde, obwohl wir beim Abschuss mindestens 80 m entfernt vom Wohnhaus standen.

      Die ersten 4 Wochen tat ich Dienst im 12stündigen Wechsel in einem 8 km entfernten Schrankenwärterhäuschen an der Straße Christinenberg - Gollnow. Inzwischen wurde in der Straßenkurve bei Pütt aus riesigen stählernen Schneepflügen, die ineinander verkeilt mit Stahlseilen an beiderseits der Straße stehenden dicken Kiefern verankert wurden, eine Panzersperre mit schmaler Slalomdurchfahrt gebaut, wobei beiderseits auch noch ein 4 m breiter Panzergraben parallel zur Straße ausgehoben wurde. Etwa am 20. Januar 1945 wurde ich zum Dienst vor Pütt an diese Panzersperre abkommandiert mit zwei alten Männern pro 12-Stunden-Schicht im Tag/Nacht-Wechsel. Wir hatten den gesamten Straßenverkehr, ob Wehrmacht, ob jetzt schon pausenlos aus Ostpreußen herkommende Flüchtlingstrecks auf Partisanen zu kontrollieren. Mit Koks aus unserem Heizungskeller (unsere Zentralheizung funktionierte nie in unserer Zeit) in einem großen durchlöcherten Blechfass wärmten wir uns zwischendurch immer wieder auf. Einen Teil der Scheune mussten wir für Reichsarbeitsdienstausrüstungslagerung abgeben, den anderen für SS-Einquartierung.

      Die Trecks von Flüchtlingen aus Ost- und Westpreußen, Litauen und Estland rollten pausenlos bei Tag und Nacht an unserem Haus vorbei. Weil wir einen großen Stall und eine große Scheune auf dem großen Hofgelände hatten, gab es immer wieder große Anfragen wegen Nahrungsmitteln und Milch für Flüchtlingskinder, Unterkunft und Pferdefutter.

      Die Front rückte von Osten immer näher heran. Jetzt begann auch Vater schon damit, mit uns zusammen darüber nachzudenken, was wir machen sollten: flüchten oder hier bleiben. Anfang Februar 1945 entschied sich Vater für einen Bunkerbau ca. 1,3 km von Pütt entfernt im Wald am Rand eines Hügels. Von nun an bauten unser Stellmacher Köpp, der französische Kriegsgefangene Capedeville, Harm und ich aus Kiefernstammhölzern einen großen Erdbunker in G-Form in den Hügel und tarnten ihn gut. In dieser Zeit machte ich darum nur Nachtdienst.

      Vorsichtshalber ließ Vater aber doch unser Auto, das im Kriege dienstlich für Vater zugelassen war, aber über ein halbes Jahr zum Benzinmarkensparen (pro Monat gab es nur 20 Liter auf Marken zugeteilt) nicht benutzt wurde, von dem Waldarbeiter Drozd mit Hilfe seiner Pferde zur Autowerkstatt Schirmer in Christinenberg ziehen. Einige Tage später holte der Chauffeur C. den Wagen voll funktionsfähig bei hohem Schnee ab und stellte ihn in die Garage. Tank und einige Blechkannen waren mit Benzin gefüllt. Einige Stunden danach - die SS-Soldaten hatten das Auto kommen sehen - beschlagnahmte ein Offizier das Auto. Vater verweigerte aber die Herausgabe des Zünd- und Lenkungsschlüssels. Harm und ich wurden auf dem Hof immer wieder mit den Worten bedroht: "Sagt Eurem Vater, dass er den Schlüssel hergibt, oder wir werfen eine Handgranate in Euer Auto!" Einige Stunden beschäftigten sich

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