Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern. Jürgen Ruszkowski

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Deutsche Schicksale 1945 - Zeitzeugen erinnern - Jürgen Ruszkowski

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ging jetzt noch normal bis zum 13. Januar 1945 weiter. An diesem Tage brach die russische Offensive los. Jetzt stieg die Angst bei uns, fliehen zu müssen, und wir haben uns weiter auf eine bevorstehende Flucht vorbereitet.

      Janek, unser 35 Jahre alter polnischer Kriegsgefangener, der bei uns arbeitete, machte zwei Kastenwagen, die sonst für Rüben- und Dungfahren genutzt wurden, fahrbereit. Der von der Partei eingesetzte Ortsgruppenführer teilte jetzt auf jedem Hof ein, wer auf der Flucht mit wem fahren sollte. Das bedeutete, dass jeder Bauer mit Fluchtwagen eine gewisse Anzahl von Dorfbewohnern ohne Fluchtwagen mitnehmen musste. Der Ortsgruppenführer hat jetzt alle Dorfbewohner aufgefordert, Vorbereitungen für eine bevorstehende Flucht zu treffen. Der Fluchttermin selbst stehe noch nicht fest; er würde noch mitgeteilt. Wer jetzt bereits ohne Erlaubnis auf eigene Faust fliehen würde, so wurde gedroht, dem würde der Hof enteignet.

      Tante Lene schildert jetzt die eigentliche Flucht, die sie in einem kleinen Heft aufgezeichnet hatte:

      Freitag, 26. Januar 1945:

      Die letzten Tage hören wir den Kanonendonner. Die Front kommt immer näher. In der letzten Nacht ist der Feind in Uderwangen eingedrungen und stößt in Richtung Abschwangen vor. Noch 6 km von unserem Heimatdorf Romitten entfernt. Nachmittags um halb fünf Uhr (16:30 Uhr) verlassen wir in geschlossenem Treck unsere Heimat. Durch tiefen Schnee geht unser Weg in Richtung Westen. Wir haben beide Wagen mit unserer Habe und Futter für die Pferde beladen. Zwei Polen sind die Fahrer: Janek, unser polnischer Kriegsgefangener und ein weiterer jüngerer Pole, der bei uns arbeitete.

      Es fällt mir sehr schwer, mit meinem Sohn Werner (geb. 31.12.1940) wegzufahren und alles zu verlassen, was uns lieb und wert war. Wir fahren auf die verstopften Straßen und sind dem Winter und dem Elend preisgegeben. Mein Mann ist Soldat und weit von uns weg.

      Sonnabend, 27. Januar 1945:

      Nach kalter, durchfahrener Nacht auf den verstopften Straßen, machen wir morgens in Kilgis vor Kreuzburg Rast. Die Pferde sind hungrig und müde. Wir sind durchgefroren und sehen, wo wir uns heißen Kaffee kochen können. Alles ist von Flüchtlingen und Soldaten überfüllt. Zur Nacht finden wir in einem kleinen Dachstübchen, auf dem Fußboden, ein Nachtlager.

      Sonntag, 28. Januar 1945:

      Bei klirrender Kälte von fast 30 Grad fahren wir morgens um 5 Uhr weiter in Richtung Kreuzburg, Zinten. Gegen Abend kommen wir in Klaussitten an. Alles ist überfüllt von Flüchtlingen und Soldaten. Unser Brot ist zu Stein gefroren. Werni weint vor Hunger und Kälte. Wir melken die Kühe und auf dem Futterdamm, bei den Kühen, richten wir uns ein Nachtlager her. Die Polen versorgen die Pferde, die in der Scheune ein Plätzchen gefunden haben. Wir bleiben die ganze Woche hier und sehen die verstopften Straßen. Es ist kein Platz, dass wir uns in den endlosen Treck wieder einreihen können. Es ist viel Schnee gefallen.

      Am Donnerstag, dem 1. Februar 1945, setzt Tauwetter ein.

      Sonnabend, 3. Februar 1945:

      Wir haben bis heute früh in Klaussitten (Kreis Heiligenbeil) gerastet. Der Feind kommt näher. Die Bewohner von Klaussitten fuhren schon am Donnerstag fort. Bei Sturm und Regen fahren wir über Zinten nach Heiligenbeil. Die russischen Flieger beschießen die Straße. Wir haben viel Angst ausgestanden. Wir erreichen Heiligenbeil. Die Polizei zwingt uns, weitere Flüchtlinge mitzunehmen. Wir kommen zum Abend an Fischerkaten vorbei. Die Pferde stehen an einem Strohberg im Wasser. Wir schlafen auf einem Speicher. Werni und ich fallen die Stufen herunter, haben uns aber nichts gebrochen. Wir erkranken beide an einem ruhrähnlichen Durchfall.

      Sonntag, 4. Februar 1945:

      Wir fahren weiter zum Frischen Haff. Die Wege sind verstopft, es geht nur langsam weiter. Im Wald machen wir Rast, kochen etwas Warmes und übernachten. Wir schlafen auf dem Wagen. 150 m von uns fallen nachts Bomben.

      Montag, 5. Februar 1945:

      Wir sehen das Eis des Frischen Haffs bei Leißunen und die feindlichen Flieger beschießen die Treckwagen auf dem Eis im Tiefflug. Die Polizei leitet uns nach Alt-Passarge, 8 km südlich. Die Verstopfung der Straße ist zu groß.

      Dienstag, 6. Februar 1945:

      Wir fahren auf Moordämmen langsam dem Haff zu. Alle Wege sind verstopft. Alles strömt dem Haff zu. Die Pferde sind unruhig, sie frieren. Wir schlafen auf dem Wagen, wir haben keinen warmen Trunk mehr und leiden an schwerem Durchfall und Fieber. Das Wetter ist milde.

      Mittwoch, 7. Februar 1945:

      Morgens um 8 Uhr fahren wir auf das Eis des Haffs. Uns allen ist sehr bange. Wir sehen eingebrochene Wagen aus dem Eis ragen. Tote Pferde, von Beschuss und Bomben getroffen, liegen verstreut auf dem Eis. Weiter liegen tote Soldaten und Zivilisten auf dem Eis. Wagen waren getroffen, alles lag herum: Ein Bild des Elends und des Grauens. Es befinden sich lange breite Spalten im Eis, die wir überqueren müssen. Die Eisschollen senken sich vor den Wagenrädern, die Pferde treten in den entstehenden Spalt und springen wieder heraus. Über uns Tiefflieger und Beschuss. Wie durch ein Wunder kommen wir aus dieser Not bis zur Nehrung.

      „In wie viel Not hat doch der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet.“

      Unser Blick geht über das Haff zurück, da steht Frauenburg in Flammen. Der Russe schießt mit seiner Artillerie auf die Nehrung. Es gibt Tote und Verwundete. Bei strömendem Regen übernachten wir unter freiem Himmel. Menschen und Pferde leiden unsagbar.

      Meine Tante erzählte mir ergänzend hierzu:

      Diese Überfahrt auf dem Eis war grauenhaft. Links und rechts von der auf dem Eis abgesteckten Fahrtroute lagen weggeworfene Sachen, erschossene Pferde, ganze Wagen, die durch die Eisdecke gebrochen waren, wo nur noch die Köpfe der toten Pferde aus dem Eis ragten. Auch die durch die Angriffe der Tiefflieger erschossenen Flüchtlinge lagen neben der Fahrtroute - ein Grauen, das sich heute kein Mensch mehr vorstellen kann.

      Das Eis des Frischen Haffs war teilweise durch die große Belastung unter die Wasseroberfläche gedrückt worden, und ein Spalt trennte uns von dem am Ufer festgefrorenen Eis, das etwa 40 cm höher lag. Hinter diesem schmalen Eisrand war eine steile Böschung. Diese trennte uns von dem rettenden Weg nach Westen. Ich nahm alle Kraft zusammen, schickte ein Stoßgebet zum Himmel, schlug auf die Pferde ein, und vorwärts ging es. Die Pferde brauchten weiter keinen Ansporn mehr. Als wenn sie geahnt hätten, dass es auch für sie auf Leben und Tod ging, übersprangen sie den offenen Eisspalt, legten sich in die Sielen und erklommen mit dem schweren Wagen die Böschung und erreichten so die Frische Nehrung und damit den Weg nach Westen. Von nun an ging es, nur mit geringen Pausen in Richtung Weichsel, die wir am 12. Februar erreichten. Es schneite und regnete. Nachts um 24 Uhr überquert der Treck mit einer Fähre die Weichsel. Aber die sowjetischen Truppen wurden durch diesen Fluss nicht lange aufgehalten. Oft bestand der Abstand zu den vorstoßenden Panzerspitzen nur wenige hundert Meter, und oft fuhren die Panzer parallel zum Flüchtlingstreck in wenigen Kilometern Abstand.

      Zurück zum Tagebuch:

      Donnerstag, 8. Februar 1945:

      Wir wollen weiter, aber die Straße auf der Nehrung ist total verstopft. Von Danzig kommen viele Soldaten und wir müssen anhalten. Wir nächtigen unter freiem Himmel auf einem freien Platz. Wir kochen Kaffee vom Schneewasser mit grünem Reisig. Jeder sieht zu, wie und wo er etwas kochen kann.

      Freitag, 9. Februar 1945:

      Wir fahren über die Dünen am Ostseestrand entlang. Die Pferde sind

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