Schizophrenie als Chance. Anton Weiß
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Vulnerabilität
Nahezu ein Hauptkennzeichen Schizophrener ist die Verletzlichkeit. Vulnerabilität ist eine Haupteigenschaft des Ichs. Da es keinen Halt hat, wie noch zu zeigen sein wird, wirkt jeder verbale Angriff, jede Kritik, jede Nichtbeachtung existenziell bedrohend. Jede kleinste Kritik verletzt; wenn Dinge nicht genau so sind, wie man sie sich vorstellt, z. B. dass jemand nicht pünktlich erscheint, wird es als Beleidigung empfunden und erregt einen zutiefst. Die Toleranz ist nahezu null. Wenn Dinge nicht genau der Vorstellung entsprechen, die man von ihnen hat, z. B. der Geschmack eines Gerichts oder die Farbe der Vorhänge, die die Frau gekauft hat, dann gerät man in äußerste Erregung. Ein schief hängendes Bild ist genau so unerträglich wie die Unordnung im Zimmer der Tochter. Selbst der eigene Verstand, der das vielleicht verurteilt, kann an der Erregung nichts ändern. Man ist nicht Herr darüber und auch das beunruhigt.
Ein verletzlicher Mensch gerät leicht in Panik, wenn sich die Dinge, die nicht seinen Vorstellungen entsprechen, häufen und er sich nicht in der Lage sieht, einzugreifen. Hier steht das Erleben der Ohnmacht im Vordergrund. Ohnmächtig zu sein, die Dinge geschehen lassen zu müssen ohne eingreifen zu können, ist einem verletzlichen Menschen unerträglich. Er gerät aus dem Gleichgewicht, wenn sich Ereignisse häufen, die über ihn hinwegrollen und in denen er sich als Rädchen in einem großen anonymen Getriebe erlebt. Der Mensch im Ich meint, alles selber machen zu müssen und ist dann überfordert, wenn er eine Fülle oft divergierenden Informationen nicht mehr ordnen kann. Das führt schließlich dazu, dass er „durch eine unbegrenzte Zahl nicht mehr zu verarbeitender Eindrücke überwältigt wird“ (Häfner, S. 250) Umgangssprachlich haben wir durchaus Ausdrücke dafür, wenn einem die Dinge über den Kopf wachsen, man also völlig kopflos umherrennt, was ebenfalls viele Menschen kennen, in der Schizophrenie aber zum Zusammenbruch führt.
Angsterleben und Depression
Angst ist allgegenwärtig und hängt mit der Ungesichertheit des Daseins zusammen, letztlich mit dem unabwendbaren Tod. Schon immer hat der Mensch Praktiken entwickelt, um die Angst zu bannen. Heute sind es Versicherungen gegen alle möglichen Risiken des Lebens und es wird alles getan, um Krankheit und möglichst auch den Tod zu verbannen. Wie ich zeigen werde, hängt die Angst mit der Illusion des Ichs zusammen, Substanz zu sein, Dauer zu haben, sich selbst Halt geben zu können, Herr über die Dinge zu sein und alles im Griff haben zu können. In der Schizophrenie und der Depression erlebt der Mensch diese Illusion; er erlebt, dass er keinen Halt mehr findet, dass er ins Bodenlose fällt, dass ihm alles entgleitet – der Verstand, der Lebenswille, Empfindungen, alles verliert seinen Wert – und er reagiert mit panischer Angst, ins Nichts zu fallen, verrückt zu werden. Der Schizophrene erlebt die Angst vor Auflösung und den Verlust des Verstandes.
Das Ich hat unglaubliche Angst, sich zu verlieren, es hält sich krampfhaft an sich selbst fest, dabei wäre Loslassen das einzig richtige. Aber es hat eine panische Angst davor, dann ins Leere, ins Nichts zu fallen. Genau das erlebt der Schizophrene: Einerseits die panische Angst, sich und damit alles zu verlieren, und andererseits hat die Verkrampfung im Ich eine dermaßen dramatische Form angenommen, dass es sich damit von allen Lebenswurzeln abgetrennt hat. Da diese Lebenswurzeln die Quelle der Kraft sind, ist es nicht verwunderlich, dass das Ich nun völlig schwach und kraftlos ist, unfähig, noch irgendetwas zu tun, und sich nahe an der Auflösung befindet. Der Mensch im Ich weiß ja nicht, dass ein neuer Halt und eine neue Kraft sich auftun, wenn das Ich loslässt. Zunächst erscheint es als die völlige Vernichtung. Das macht den Sprung, von dem noch zu reden sein wird, so schwer, weil das Ich fürchtet, ins bodenlose Nichts zu fallen.
Die Bedrohung von innen und die damit verbundene Angst resultieren aus der Tatsache, dass das Ich sich selbst den Halt zu geben versucht, den es sich aber nicht geben kann. Dadurch ist es den unbewussten Mächten ausgeliefert und der damit verbundenen Angst, von ihnen verschlungen zu werden. Von den mit der Schizophrenie verbundenen Symptomen steht Angst an erster Stelle (Häfner S. 135). Solange der Mensch aus dem Ich heraus lebt, ist Angst sein ständiger Begleiter, denn im Hintergrund lauert das Wissen um die Substanzlosigkeit. Es fühlt die Bedrohung im tiefinneren Wissen, dass dieser sich selbst gegebene Halt eine Illusion ist. Den meisten Menschen gelingt es ein Leben lang, diese Bedrohung zu unterdrücken, zu verdrängen; sie müssen dadurch aber in Kauf nehmen, dass sie sich in ihrem Leben viel vormachen und sich letztlich selbst betrügen. Dem Schizophrenen gelingt das nicht und deshalb bekommt er die volle Wucht der andrängenden unbewussten Kräfte zu spüren, denen er kaum oder nicht, jedenfalls meistens nicht, ohne Hilfe standhalten kann. Da es sensible Menschen sind, erleben sie die Möglichkeit, sich zu verlieren und wenden viel Energie auf, um diesem Sich-Verlieren zu entgehen und verzehren darin ihre kostbare Energie.
Angst entsteht auch gerade im Wahn, weil man nicht weiß, wo die Grenze ist, wie weit man fortgerissen wird, wie weit man überschwemmt wird und nicht mehr Herr der Lage ist. Diese Befürchtung kann sich zur Panik steigern. Mir hat geholfen, dass ich wusste, dass in der Hypnose niemand zu etwas gebracht werden kann, wozu er nicht innerlich bereit ist. Die Frage ist natürlich, dass man auch das nicht weiß, wozu man fähig ist, denn man kennt sich ja viel zu wenig und merkt nun, dass man ein Abgrund ist, zu Dingen fähig, die man niemals geglaubt hätte.
Negativsymptome
Den Negativsymptomen gemeinsam ist das Fehlen an Energie: In Antriebslosigkeit, Emotionslosigkeit und Depression fehlt es dem Menschen an Kraft; er ist zu nichts mehr fähig, weder kann er sich zu einem Tun aufraffen noch kann irgend ein Inhalt ihn erfreuen oder ihm eine Lebensqualität vermitteln.
Alles wird leer, was einem etwas bedeutet hat und verliert völlig die Fähigkeit, den Menschen anzusprechen. Alles, was einmal für das Ich wichtig war, verliert seine Bedeutung.
Es entgleitet einem alles: Es entgleiten die Inhalte und der Sinn der Dinge. Es entgleitet einem der Verstand, so dass man glaubt, verrückt zu werden, es entgleitet einem der Wille, so dass man kaum noch am Morgen aufstehen kann, es entgleitet einem das Gefühl, so dass man nichts mehr empfindet, sich innerlich leer und völlig kraftlos fühlt.
Interessant ist, dass Psychopharmaka gerade im Bereich der negativen Symptomatik, der in besonderer Weise Ausdruck des geistigen Lebens des Menschen ist, kaum Wirkung zeigen. Vielleicht ist das ein Anhaltspunkt dafür, dass es doch eine rein geistige Wirklichkeit gibt, die materiell in keiner Weise darzustellen ist und sich damit auch der Einflussnahme durch materielle Einwirkung entzieht.
Lebenswende-Situationen
In Lebenswende-Situationen – Berufs- oder Studienwahl, Eheschließung, Scheidung, unerwünschte Schwangerschaft u. v. a. – steht der Mensch vor Entscheidungen, deren Ausmaß er nicht abschätzen kann. Das Ich ist überfordert, es kann nicht mehr alles managen, es wird ihm alles zu viel, es verliert den Überblick. Es gerät in Panik, weil ihm die Dinge entgleiten, weil es spürt, dass seine Spannweite nicht ausreicht, um die Dinge im Griff zu behalten. Gerade in Zeiten des Umbruchs, wo es die Folgen seiner Entscheidungen nicht abschätzen kann, wo es für viele Möglichkeiten überzeugende Gründe sieht, aber keinen Anhaltspunkt für die richtige Entscheidung, wo es keine Sicherheit mehr gibt, da gerät gerade das sensible, verletzliche Ich in völlige Konfusion; die Folge ist eine weitgehende Dissoziation