Jahre mit Camilla. Helmut H. Schulz
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«Kommen Sie herein. Meine Mutter ist zur Kur in Heiligendamm. Ich soll mich um Sie kümmern.»
Ihre Stimme war tief und klangvoll.
Etwas Rundliches, Mütterliches lag in ihrer Gestalt. Während sie meinen Handkoffer trug, stellte ich mir die nächsten Tage mit ihr vor. Sie würde Ansprüche stellen. Das gab sie durch eine gewisse unverhohlene Neugier zu erkennen.
Im Wohnzimmer war für zwei gedeckt. Kaffeekanne und Eier steckten unter Wärmemützen. Servietten lagen bereit, Butter und frische Brötchen. Im Vorbeigehen erblickte ich einen Mann im Spiegel. Er hatte ein rundes, unsympathisches Gesicht und tuscheschwarze blau geränderte Augen hinter scharfen Brillengläsern. Er trug Perlonhemd, Krawatte und einen unauffälligen grauen Anzug. Das zusammen würde mich vor einer Dummheit schützen, glaubte ich.
Unmöglich, sich an die ersten Tage mit Camilla zu erinnern, ohne diesen Abend zu erwähnen.
Auf dem Tisch standen fahlgrüner Sanddorn, blaue Stranddisteln und ein paar Halme Wollgras. Auf der breiten Sitzcouch kauerte Camilla. Wo sie war, breitete sich sofort eine ungezwungene Schlamperei aus. Eine Kerze brannte, nur eine. Camilla tat nie etwas zu viel. Sie konnte sich über den dürftigsten Grashalm freuen. In ihren Augen spiegelte sich die Kerze. Mit den Händen drückte sie ein Kissen an die Wange. Sie schwieg, aber sie beobachtete mich.
«Trinken Sie doch», sagte ich.
Langsam griff sie nach dem roten Wein, der zu rot war für die blassen Farben des Fischlandes. Sie trank hastig, mit zurückgelegtem Kopf, wie Kinder trinken oder wie jemand, dem Weingenuss ungewohnt ist.
Der rote Wein passte nicht hierher, er gehörte in eine Landschaft, in der Blau, Gelb und Rot schmerzhaft aufeinanderprallen.
«Sie sollen unerhört klug sein», eröffnete sie, noch mit leichter, zurückhaltender Ironie.
Müde nach einem langen Tag am Strand, hatte ich keine Lust mich einem Gespräch zu stellen.
«Ich bin Physiker», sagte ich.
«Aber schweigsam sind Sie.»
Ein Kissen genügte ihr nicht. Sie stopfte ein zweites unter das erste und zog die Beine an. Sie verschwanden ganz unter der weißen Wickelschürze, die ihr das Aussehen einer Krankenschwester gab.
«Erzählen Sie doch etwas».
Ich wusste schon, dass sie gern lachte und gern sang, mit einer erstaunlich tiefen und kräftigen Stimme.
Die Kerze vertropfte ihr Stearin.
Ich dachte, es wäre ein Abend, zum Nachdenken, und es wäre das Beste, den Mund zu halten, weder klug noch dumm zu sein, einfach dazusitzen und zu schweigen.
«Sind Sie verheiratet?»
Wohinaus wollte sie? Suchte sie eine Geschichte? War sie klatschsüchtig oder bloß neugierig? Ich zuckte die Schultern, aber ihre Gedanken waren bereits weitergelaufen.
«Ob das immer, so war mit Liebe und Familie?»
Ich hielt einen langen und trockenen Vortrag, über den Ursprung der Familie. Ich erzählte, was mir aus der Engels-Schrift einfiel. Ich redete mit dem unsicheren Gefühl des Laien, der gezwungen ist, über einen Gegenstand zu sprechen, den er nicht gut kennt. Zum Schluss machte ich den Verstoß wieder gut, indem ich ihr riet: «Engels hat darüber geschrieben. Sie sollten es nachlesen.»
«Ich werde es nachlesen», sagte sie spöttisch.
Sie setzte ihre Prüfung fort. «Was kommt nach dem Kommunismus? »
«Das weiß ich nicht. Wir sind noch ziemlich weit entfernt, von einer vernünftigen Weltordnung.»
«Gut. Und danach?»·
«Wir beschäftigen uns mit dem Vorhersehbaren.»
Unzufrieden schüttelte sie den Kopf. «Also, was kommt danach?»
Auf ihren Wangen glühte der rote Wein. Die dunkelbewimperten Augenlider bewegten sich kaum merklich.
«Ist noch Wein da?», fragte sie.
Es war noch Wein da. Ich goss unsere Gläser voll und legte ihr eine Decke um die Füße. Sie dankte nicht. Sie nahm es als selbstverständlich hin.
Es war selbstverständlich.
Plötzlich dachte ich an zu Hause. Die Wohnung im Hochhaus war bequem, die Wände waren dünn. Neben mir wohnte ein Soziologe, der bis in die Nacht hinein seine Schreibmaschine bearbeitete. Es hätte mich interessiert, woran er arbeitete, aber wir standen schlecht miteinander.
«Robert, was machen Sie morgen?»
Ich würde an den Strand gehen wie jeden Tag.
«Und wenn Sie vormittags einkaufen gingen?»
Seit zwei Tagen ging ich früh ins Dorf einkaufen und kehrte mit gefüllten Netzen wieder zurück, ehe ich mich in den Strandkorb setzen konnte.
Ich nickte.
«Und bringen Sie Rotwein mit. Wir haben keinen mehr im Haus.»
Ich liebe den schweren sauren Wein, der wie frisches Brot duftet.
«Und lassen Sie sich nicht wieder fettes Fleisch andrehen.»
«Sonst, noch was?», brummte, ich.
«Das übrige schreibe I ich Ihnen lieber auf.»
Meinem Gedächtnis traute sie nicht. Es war genau so gekommen, wie ich es vorausgesehen hatte.
«Ich habe noch nie soviel Wein getrunken wie in diesen Tagen.»
Gut bekam ihr der schwere rote Wein, und mir bekam er auch gut. Ich schwamm eine halbe Stunde täglich im Meer. Sonst lag ich faul herum. Trotzdem ermüdete das Reizklima sehr.
«Ruhen Sie sich auch wirklich aus?», fragte sie ironisch - besorgt.
«Doch.»
«Mir ist so ans Herz gelegt worden, auf Sie achtzugeben. Legen Sie eine Schallplatte auf, bitte.»
In dem Plattenstapel befand sich Bach, Händel. Ich hätte jetzt gern Barockmusik gehört, aber ich legte Jazz auf, weil sie gern Jazz hörte, ich ärgerte mich einen Augenblick lang über Camilla.
«Man kann sich nicht richtig mit Ihnen zanken», sagte sie nachdenklich. «Werden Sie nie laut? Geben Sie immer nach?»
Ich fand es verfrüht, sie über mich aufzuklären. Nicht umsonst trage ich meinen Spitznamen: das Nashorn.
Die Musik war jetzt ein verwirrendes Durcheinander von Trompete, Posaune und einem Instrument, das nach Altflöte klang. Eine beunruhigende Wirkung ging von diesem Chaos an Tönen aus.
«Ich