IKONIK. Mario Leimbacher

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IKONIK - Mario Leimbacher

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Früchte kaum interessiert, sondern die exakte Übereinstimmung der vier dazu benötigten Druckvorgänge, damit das gedruckte Produkt der Vorlage am Bildschirm entspricht.

      Der Drucker hat eine Lehre in der Druckerei gemacht. An der Gewerbeschule gab es kein Fach, das semiotische Fragen beantwortet. Es gab jedoch einen Chemiker, der ihm den Unterschied zwischen einem synthetischen und einem pflanzlichen Pigment erklärte.

      4. Das Bild als Stimmung und Verführung

      In der Geschäftsleitung des Lebensmittelkonzerns gibt eine Abteilung, die für Werbung und grafische Produkte zuständig ist. Diese plant bis ins letzte Detail, welche Farben, welche Motive und welche Schriften verwendet werden. Dies ist ein Konzept, das Corporate Design genannt wird.

      Das Poster mit den Früchten erfüllt eine kleine, ganz bestimmte Aufgabe im Gesamtbild der Firma. Es vermittelt eine Stimmung, ganz gleich, ob es betrachtet wird oder nicht, und verhält sich wie die Musik, die im Hintergrund rieselt. Die dominierende Farbe Grün mit einem Stich ins Gelbe und die einzelnen roten Flecken erzeugen den Eindruck von Frische. Die Beleuchtung mittels einiger Spots erzeugt helle, gelbgrüne Flecken im Gesichtsfeld der Konsumenten und erweckt den Eindruck, im eher dunklen, waldartigen Chaos dieser Warenwelt auf beleuchtete Wiesen zu blicken. Im Schriftzug ist wie in den meisten Werbebotschaften der Firma ein Buchstabe durch die Farbe hervorgehoben.

      Das Bild hat mit allen anderen akustischen und visuellen Elementen zusammen die Wirkung einer animierenden Botschaft, die das Wohlbefinden im Geschäft und die Kauflust verstärken soll.

      Einzelne Angestellte dieser Abteilung machen regelmässige Weiterbildungen, um mittels der neuesten Forschungsresultate der Verhaltensforschung auf Details der "Kundenbedürfnisse" eingehen zu können. Zur Optimierung des Erscheinungsbildes gehören auch regelmässige Kundenumfragen über die Firma.

      5. Das Bild als Vorstellung

      Die Äpfel, die auf dem Poster sichtbar werden, sind nicht Teil des Posters, denn das besteht nur aus Papier und Farbpunkten. Die Äpfel müssen im Betrachter entstehen. In meinem Geist ist eine Bezeichnung für das Apfelerkennen verankert, das in dem Moment aktiviert wird, in dem Äpfel in irgendeiner Art für mich sichtbar werden. Was in mir drinnen geschieht, ist für niemanden sichtbar ausser für mich. Für mich selber ist das Sichtbarwerden ein Erlebnis. Das bewusste Erkennen innerer Bilder und Vorstellungen kann auch als ein Sehen bezeichnet werden. Weder Philosophen, Mediziner, Neurologen noch Psychologen können das sichtbar machen, was ich beim Sehen erlebe. Vordergründig könnte man dieses Poster als dessen Sichtbarmachung bezeichnen, dann wäre man aber in einem begrifflichen Spiegelkabinett gefangen, denn das, was ich erkenne, ist das, was die Fotografin für mich sichtbar gemacht hat.

      Ich habe als einzige Person direkten Zugriff auf meine Wahrnehmung und Erfahrung dieser Früchte, jedoch nicht über einen der bekannten Sinne, sondern über das Wahrnehmen von Wahrnehmungs- und Interpretationsvorgängen meiner selbst. Einzig ein Künstler und Gestalter kann gemeinsame Sichtbarkeit wieder über eine Visualisierung herstellen. Das, was der Psychologe oder Neurologe formuliert, sind entweder Interpretationen von beobachteten oder beschriebenen Verhaltenssymptomen oder Visualisierungen der Aufzeichnungen von Messgeräten, also bildgebende Verfahren.

      6. Das Bild als Erinnerung und Traum

      Wenn ich das Poster nicht mehr ansehe, habe ich noch eine Erinnerung an das Bild. Es gehört eine weitere Bezeichnung in meinen Kopf, denn die Erinnerung ist nicht dasselbe wie die gegenwärtige Wahrnehmung. Da ich eine visuelle Situation aus der Vorstellung zeichnerisch rekonstruieren kann, müssen bildhafte Erinnerungen in mir abrufbar sein. Zu diesen in mir wachrufbaren Bildern gehören auch die Traumbilder, die phantastischen und gedanklich konstruierten Bilder.

      7. Das Bild im Auge

      Ohne einen physikalisch oder biologisch beschreibbaren Transport-, Übersetzungs- und Aufzeichnungsvorgang kann es keine Bildwahrnehmung geben. Aus diesem Grund übernehmen der Physiker und der Biologe die Untersuchung des Verhaltens des Lichtes in unserer Umgebung, in unserem Auge bis zu dem Punkt, wo die Lichtreize in Nervenimpulse übersetzt werden. Die Retina ist der zentrale Ort, an die eine Bildbezeichnung geheftet werden muss, denn die Retina ist einer der Orte, wo von einem Abbild gesprochen werden muss. Möglicherweise ist die Retina sogar der einzige Ort, wo von einem Bild gesprochen werden darf, wie ich im Kapitel "Die Bildfalle" erläutern werde.

      8. Das Bild durch die Hand

      Wenn ich einen Apfel sehe, ihn ergreife und hineinbeisse, sind meine Augen, mein optischer Wahrnehmungsvorgang im Gehirn, aber auch mein ganzer Körper mit seinen Bewegungsorganen, vermutlich sogar mein Magen davon betroffen. Sie reagieren auf diese Tat, oder rufen die Tat vielleicht sogar hervor. Wenn ich den Apfel sehe, muss mein ganzer Organismus mit diesem Bild in Kontakt stehen. Somit breiten sich die Bedingungen zur Klärung des Bildbegriffes im gesamten Körper aus.

      Aristoteles feierte den Sehsinn als den reinsten Sinn, da er die Dinge nicht berühren muss. Plato misstraute ihm, da er nur ein täuschendes Abbild der eigentlichen Welt der Ideen vorgaukelt. Die neurobiologische Forschung kann belegen, dass wir ohne ein Angleichen von optischer und haptischer Erfahrung des gesamten Körpers keine visuelle Raumwahrnehmung zustande bringen würden. Menschen, die in der Jugend erblinden und später dank einem operativen Eingriff wieder sehen lernen, haben grosse Mühe, die Synchronisation der Körpererfahrung mit der visuellen Wahrnehmung wieder zu koordinieren (vgl. Kurson 2008).

      „Viele Sehtheorien blenden die Erfahrung aus, dass wir mit dem ganzen Körper wahrnehmen und ihn als Medium mit allen Sinnen einsetzen. Man feiert oder kritisiert den Sehsinn als einen „Fernsinn“, der sich mühelos vom Körper löst und selbständig agiert, ja sogar gegen den Körper agieren kann.“ (Belting 2007, S. 53.)

      9. Das Bild als Erkenntnismittel

      Ich vermute, dass ich auch die Worte, die ich hier verwendet habe, als Bildelemente einbeziehen muss, denn das Wort Poster und das Wort Äpfel machen es erst möglich das zu artikulieren, was ich bezwecke. Wörter sind "Bilderwecker". Wenn ich das Wort Äpfel lese, liegt vor mir das typografische Bild „Ä-p-f-e-l“ und es bildet sich in mir die akustische Lautfolge und das dazugehörende Bild von Äpfeln. Das Wort bleibt nicht nur eine Lautfolge, also müssen auch die Worte und ihre Wirkung bei der Bildentstehung eine Rolle spielen.

      10. Das Bild als Metapher - sich ein Bild machen

      Ganz zuletzt taucht vor meinen Augen ein Bildaspekt auf, der mir bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht aufgefallen ist. Ich habe im Lebensmittelgeschäft eine Fotografie der Situation gemacht und sie in diesem Text als Illustration verwendet. Wenn ich mich heute in diesen Moment zurückversetze, mache ich mir ein Bild dieser Situation.

      Die Redewendung sich ein Bild machen spricht mehr an als die Fotografie aufzeichnet. Das fotografische Bild repräsentiert den Moment meines gezielten Blicks auf eine räumliche Situation mit abzubildenden Gegenständen. Sie versetzt durch die eindeutige Perspektive den Betrachter an meine Stelle als damaligen Beobachter und Fotografen. Sie liefert einen kurzen Moment und einen beschränkten Blickwinkel. Wenn ich mich jedoch zurückbesinne, mache ich mir ein Bild, das umfassender ist. Ich setze mich ins Bild über eine Situation, an die ich mich erinnern kann, die auch das gesamte Umfeld im Sinne meines Erfahrungshorizontes einbezieht. Sich ein Bild einer Situation zu machen bedeutet, alle wesentlichen Aspekte einzubeziehen, nicht nur die momentan visuellen.

      Modelle

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