Nesthäkchen und ihre Enkel. Else Ury

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Nesthäkchen und ihre Enkel - Else Ury

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      »Mammi paßt auf, daß Emilia und Maria unsere Koffer gut einpacken. Morgen fahren wir fort, weit fort, nach der Fazenda. Aber du kommst nicht mit, Rosita. Du tust mir immer weh beim Kämmen.«

      »Daran ist ja gar nicht die Rosita schuld, sondern der Kamm, Juan«, lachte Anita.

      »Dann lassen wir eben den Kamm zu Hause.« Das erschien dem kleinen Juan noch einleuchtender.

      Ein Mulatte brachte Eiswasser und Früchte.

      »Bringe die Früchte ins Zimmer zu Donna Tavares«, ordnete Anita an. Sie war gewöhnt, der schwarzen Dienerschaft Befehle zu erteilen.

      Inzwischen hatte Marietta, Juan an der Hand, bereits das Zimmer der Mutter betreten.

      »Guten Tag, Mammi. War das heute heiß im Collège! Ein Glück, daß es morgen auf die Fazenda geht. Ihr seid wohl bald mit dem Einpacken fertig?« Marietta küsste die Mutter nach Landessitte auf die Wangen.

      »Guten Tag, mein Herz. O weh, bist du erhitzt, Jetta. Komm, ich mache dir ein Glas Orangenlimonade zurecht.« Eine goldblonde, noch jugendlich aussehende Dame – sie hatte die Mitte der Dreißig wohl kaum überschritten – im weißseidenen, reich mit Spitzen garnierten losen Hausgewande griff nach einer der herrlichen Riesenfrüchte.

      »Mir auch, Mammi, ich habe auch Durst – – –«, begehrte der Kleine, sich zärtlich an die Mutter schmiegend.

      »Jungchen, du trinkst mir heute zu viel durcheinander. Du willst doch morgen zur Reise nicht etwa krank sein, nicht wahr, mein kleiner Hansi?« Wenn die Mutter besonders zärtlich zu ihrem Kleinsten war, nannte sie ihn mit dem ihr so lieben deutschen Namen. Das klang um so merkwürdiger, als die Sprache des Hauses Tavares, in der die Familienmitglieder miteinander verkehrten, portugiesisch war.

      »Nein, ich will nicht krank werden, dann ist meine Mammi traurig.« Der Kleine liebte seine schöne Mutter abgöttisch.

      Da steckte auch Anita den schwarzen Kopf zur Tür herein. »So – die langweilige Schule wären wir auf zwei Monate los, Mammi. Ich wünschte, wir könnten's mit unserer geliebten Miß ebenso machen. Meinst du nicht, daß es ihr in Ribeirao Preto zu langweilig ohne Geschäfte, in denen man shopping gehen kann, sein wird? Wir wären nicht böse, wenn sie es vorzöge, in Sao Paulo zu bleiben.«

      »Aber Nita!« Halb belustigt, halb ärgerlich schüttelte Frau Ursel Tavares den blonden Kopf. »Der armen Miß Smith ist es heute nicht nach shopping gehen zumute. Sie liegt im verdunkelten Zimmer mit heftiger Migräne.«

      »Oh!« machte Marietta mitleidig, trotzdem sie die lange, steife Governess auch nicht besonders in ihr Herz geschlossen hatte.

      »Oh!« echote Anita mit komisch verdrehten Augen so spitzbübisch erfreut hinterher, daß die Mutter gegen ihren Willen wieder lachen mußte.

      »Ihr seid schon eine Gesellschaft! Es wird Zeit, daß ihr in strengere Hände kommt. Miß Smith ist nicht energisch genug, besonders nicht für meine Tochter Anita.«

      »Und unsere kleine Mammi ist auch nicht energisch – Deutsche sind niemals energisch«, meinte Fräulein Anita in bestimmtem Tone.

      »Du mußt es ja wissen, Fräulein Naseweis. Warte nur, wenn du erst mal in Deutschland bei den Großeltern bist. Dann wirst du anders urteilen. Die werden dir schon zeigen, daß Deutsche über genügende Energie verfügen. Alles, was wir bei deiner Erziehung verabsäumt haben – und das ist nicht zu wenig –, werden sie hoffentlich nachholen.«

      »Puh« – machte Anita und schüttelte sich. »Lieber gehe ich in ein Mädchenpensionat nach Rio di Janeiro. Elvira kommt auch zu Ostern nach Rio in eine Boarding-school.«

      »Ich will nach Deutschland zu den Großeltern, Mammi.« Marietta schmiegte den goldbraunen Kopf an die Schulter ihrer schönen Mutter. »Ich will das alles kennenlernen, was dir so lieb ist. Die Großeltern und das kleine Haus im Rosengarten, in dem jetzt Schnee liegt und in dem die Rosen blühen, wenn es bei uns kalte Jahreszeit ist. Bringst du uns bald nach Deutschland, Mammi, ja?«

      »Ja, bald – bald!« Das klang so sehnsuchtsvoll, daß Marietta der Mutter einen klaren Tropfen, der sich fürwitzig von ihren goldenen Wimpern lösen wollte, rasch fortküssen mußte.

      Anita waren derartige Gefühlsäußerungen unbehaglich. Sie kamen zum Glück nicht oft vor. Meist sah man Frau Ursel strahlend schön und heiter. Nur ganz selten brach sich die Sehnsucht nach der deutschen Heimat, nach ihren Lieben in weiter Ferne Bahn. Sie war ja eine glückliche, verwöhnte, vielbeneidete Frau. Von ihrem Gatten, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas, wurde sie auf Händen getragen. In dem Bekanntenkreise feierte man la bella tedesca – die schöne Deutsche – nicht minder ihres liebreizenden Wesens, als ihrer gesellschaftlichen Stellung wegen. Sie und ihr Gatte standen an der Spitze des Musiklebens Sao Paulos. Seit Donna Tavares ihren Einzug in die brasilianische Stadt gehalten, hatte sich dasselbe zu ungeahnter Blüte entfaltet. Regelmäßige Kammermusikabende waren eingerichtet worden. Werke der großen europäischen Meister wurden studiert und zur Aufführung gebracht. Kein Wohltätigkeitskonzert fand statt, in dem Donna Tavares nicht durch ihre herrliche Stimme die Zuhörer begeisterte. Frau Ursel hatte sich um die Kunst in ihrer neuen Heimat ganz besonders verdient gemacht. Das Kino bildete früher den Hauptanziehungspunkt in Sao Paulo. Trotzdem die Stadt eine europäische Kolonie war, in Bezug auf die Vorliebe für das Kino war sie ganz amerikanisch. Da hatte die deutsche, blonde Frau in Gemeinschaft mit einigen gleichgesinnte Seelen eine höhere, edlere Kunst an Stelle der sensationellen des Kinos zu setzen versucht. Den größten Einfluß aber hatte Frau Ursel auf die Kunst im Hause gehabt. In den meisten einheimischen Familien war dieselbe noch ziemlich unkultiviert. Bunte, schreiende Farben wurden bevorzugt. Die Vasen schmückten Papierblumen, während draußen im Garten die herrlichste Flora in unglaublicher Üppigkeit blühte. Die Alteranda, der balkonartige Vorbau des Hauses, wurde kaum jemals von den Bewohnern betreten und daher auch nicht bepflanzt. Das war etwas ganz Befremdendes für die junge deutsche Frau. War sie es doch gewöhnt, daß man daheim im Sommer alle Mahlzeiten auf der rosenumrankten Terrasse, deren Blumenschmuck der Mutter Stolz war, eingenommen hatte. Freilich, die Tropentemperatur in Brasilien machte den Aufenthalt auf der Alteranda am Tage fast unmöglich. Das lernte Frau Ursel bald einsehen. Aber im schönsten Blumenschmuck mußte sie trotzdem prangen. Ihr Schönheitssinn verlangte dies. Und siehe – bald zeigte es sich, daß sie damit Schule gemacht. Das Beispiel des Tavaresschen Hauses fand Nachahmung. Hatte man zuerst die Nase darüber gerümpft, daß die junge Frau ihre Vasen mit frischen Blüten, anstatt mit Papierblumen, füllte, bald fanden auch andere Freude daran. Die künstlerisch geschmackvolle Einrichtung des Tavaresschen Hauses wurde alsbald zum Muster für viele andere, denn Geld spielte ja bei den reichen brasilianischen Familien keine Rolle.

      Frau Ursel verstand einen guten Gebrauch von ihrem Reichtum zu machen. Sie war für die deutschen Auswanderer eine gute Fee geworden, die nicht nur vermöge ihres goldenen Zauberstabes half, nein, deren gütiges, warmes Wort den in der Fremde Verzagten ebenso wohltat wie ihre werktätige Hilfe. Bei allen ihren gesellschaftlichen, künstlerischen und Wohlfahrtsbestrebungen aber war Frau Ursel vor allem Mutter. Die Mutter ihrer Kinder – darin war sie ganz deutsch geblieben. Trotz der vielen Dienerschaft, um ihre Kinder kümmerte sie sich selber. Für ihre Kinder und deren Wünsche und Anliegen hatte sie immer Zeit.

      Auch heute. Anita besprach mit der Mutter die Abschiedsbesuche, welche man noch bei den Verwandten und Freunden machen müßte. Marietta wollte durchaus wissen, wann die Reise nach Europa zu den Großeltern denn endlich vor sich gehen sollte. Und Klein-Juan bestürmte die Mutter, ihm eine Taschentuchmaus, die richtig lebendig springen konnte, zu fabrizieren.

      Während Frau Ursel Anita einige befreundete Familien,

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