FANG MICH DOCH!. BAUMANN
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Das ungewohnte Jetset-Leben bekommt Ben Johnson nicht. Er verpflichtet sich mehr und mehr für Werbe- und Medientermine und dies zu Ungunsten des Trainingsplans von Trainer Charlie Francis. Es kommt zu Spannungen im Team und genau vier Monate vor den Olympischen Spielen 1988 in Südkorea erleidet Johnson gar einen Muskelfaserriss. Die Mission Olympiagold gerät in Gefahr. Völlig frustriert und zerstritten mit Trainer Francis, zieht Ben die Reißleine und flieht in die karibische Heimat zu seinem dubiosen Leibarzt Jamie Astaphan. Johnsons ursprüngliche Idee bestand darin, sich von den Strapazen zu erholen und seiner Oberschenkelverletzung zu widmen. Er wollte da nicht dopen. Aber als Ben bei Astaphan eintraf, war alles anders. Der Mediziner hatte seine Muskelmarionette nun unter voller Kontrolle und baute den angeschlagenen Helden in Windeseile wieder auf.
Carl Lewis seinerseits war im Olympiajahr 1988 rechtzeitig wieder in Form. Während der US-Olympiaqualifikation im Frühjahr 1988 in Indianapolis läuft der Superstar mit 9.78 Sekunden eine Bombenzeit – mit zu viel Rückenwind und vor allem mithilfe von Doping.(10) Lewis ?Lewis? Doping ?Doping? Kann doch nicht sein. Doch ein paar Wochen nach den Trials bekommt King Carl vom Nationalen Komitee der USA unangenehme Post. Darin steht unter anderem das die Analyse der B-Probe positiv auf drei vom IOC-Verbotenen Stimulanzen getestet wurde.(11) Damit ist Carl Lewis für die Wettbewerbe der Olympischen Spiele in Seoul eigentlich ausgeschlossen und müsste sich die Spiele zuhause vor dem Fernseher anschauen. Doch kann es sich das Internationale Olympische Komitee leisten, den größten Star der Spiele außen vorzulassen? Lewis gibt an, nur eine Erkältungstablette genommen zu haben und der Fall wird vertuscht. Der vierfache Olympiasieger wird regelwidrig zu den Olympischen Spielen 1988 zugelassen. Lewis soll gemäß Insidern über Jahre systematisch gedopt haben.(12) Nicht nur in der Qualifikation für Olympia 1988. Seine vier Goldmedaillen von 1984 in Los Angeles im 100-Meter-Lauf, 200-Meter-Lauf, im Weitsprung und in der Staffel sind schlicht unmöglich, meinen die Kenner. Gibt es außer dieser vertuschten Probe weitere Beweise für diese erschreckende Unterstellung? „Nun, Carl Lewis trug als erwachsener Mann jahrelang eine Zahnspange.“(13) In der Tat: Niemand trägt in diesem Alter eine Zahnspange. Damit versuchte Lewis, dem Wachstum seines Kiefers, das durch die Einnahme von Wachstumshormonen beschleunigt wird, entgegenzuwirken. Das ist ein handfester Beweis für den Missbrauch von nicht erlaubten Hormonen und anderen muskelaufbauenden Präparaten.(13) Lewis selbst schweigt noch heute eisern und sagt lieber nichts, wenn Journalisten zu den Vorgängen von damals nachhaken.
Ben Johnson seinerseits war in der Vorbereitung für Seoul weit offener in seinen Aussagen. Nach seinem intensiven Aufenthalt und seinen Dopingkuren in St.Kitts verkündet er mit viel Selbstvertrauen kurz vor den Spielen in Korea: „Meine Muskeln sind wieder total gespannt. Das kommt von den Vitaminen, von diesen Bodybuilder Pillen die ich nehme.“(14) Die seien stark und helfen Johnson, noch schneller zu werden. Am 17. September 1988 blickt die gesamte Welt nach Seoul in Südkorea – Koreas Präsident Roh Tea-Woo eröffnet feierlich die Olympischen Spiele. Mit besonderer Spannung erwartet die Sportwelt den Kampf der Giganten im 100-Meter-Finale: Carl Lewis und Ben Johnson. Der Titelverteidiger aus den USA gegen den Weltmeister und Weltrekordhalter aus Kanada. Im Halbfinale gibt sich Ben Johnson eine Blöße. Er ist leicht verunsichert seines Formstandes wegen und löst unter anderem einen Fehlstart aus. Passiert noch ein weiteres Missgeschick, ist der Weltmeister aus dem Wettbewerb ausgeschieden. Ben behält glücklicherweise die Nerven und qualifiziert sich doch noch problemlos für das große Finale. Alles andere wäre für die gesamte Sportwelt eine gigantische Enttäuschung gewesen. Im Gegensatz zu Ben Johnson gewann Carl Lewis alle seine Vorläufe mit einer frappanten Leichtigkeit. Bei jedem Start bleibt immer unter zehn Sekunden und ist Favorit.
Und dann kommt es eine Woche nach der Eröffnungsfeier am 24. September zum zyklopischen Show-down des Finals. Neben den beiden Hauptdarstellern ist das Einhundert-Meter-Finale von 1988 nur so gespickt mit Stars. Mit Spannung und viel Achtsamkeit bereiten sich die Athleten auf den Start vor: Auf Bahn Nummer eins kniet sich der Brasilianer Robson Da Silva in seinem gelbgrünen Trikot in den Startblock. Neben ihm auf Bahn zwei, in den gelbschwarzen Farben für Jamaika, macht sich Raymond Stewart zum Start bereit und senkt seinen Kopf zum Stoßgebet so tief, bis sein Kinn den Brustkorb berührt. Bahn drei ist für Carl Lewis – in Rot-Weiß – reserviert. Gleich neben ihm auf Bahn vier tippt der britische Europameister Linford Christie in Weiß-Blau nervös auf den Zehenspitzen hin und her. Der explosive US-Amerikaner Calvin Smith, ebenfalls in Rot-Weiß, nutzt Bahn fünf und wirkt auch kurz vor dem Start immer noch sehr entspannt. Bahn sechs gehört Ben Johnson, der, ganz in Rot mit dem weißen Ahornblatt für Kanada auf der Brust, zappelig auf seiner Goldkette kaut. Auf Bahn Nummer sieben, ebenfalls aus Kanada: Johnsons Trainingspartner Desai Williams. Achter und letzter in diesem illustren Kreis ist – in Rot-Weiß – Dennis Mitchell, auch er startet für die USA. Eine einmalige Zusammenstellung und sämtliche Experten sind sich auch jetzt noch einig, dass es weder vorher noch nachher je ein besser besetztes Einhundert- Meter-Finale gegeben hat.
Die ganze Welt schaut gebannt zu, wie sich die Athleten in die Startposition begeben. Das vor lauter Zuschauern aus allen Nähten platzende Stadion ist mit einem Mal totenstill. Millionen von Zuschauern an den Fernsehgeräten stockt der Atem. Jeder will bei diesem Duell dabei sein. Johnson, tief geduckt, breit gebaut und massig gegen den eleganten Lewis. Das ist das Duell, auf das alle warten. „Get set!“ schreit der Startrichter in sein Mikrophon. Die Startpistole knallt und ein lautes Raunen von den Rängen setzt ein. Die Reporter der internationalen Fernsehstationen überschlagen sich in ihren Kommentaren und brüllen beinahe einheitlich in ihre Mikrophone: „Guter Start von Johnson! ... wo bleibt Lewis? ... Johnson vorne! Lewis muss jetzt kommen ... und ... Johnson gewinnt!“(15) Nach exakt 9.79 Sekunden ist die ganze Ekstase vorbei und die Welt wird Zeuge eines Fabelweltrekords. Ben Johnson ist Olympiasieger über 100 Meter. Mutter Gloria Johnson ist außer sich. „Dreizehn Jahre, nachdem Mutter Gloria Johnson ihre alte Heimat auf Jamaika verlassen hatte, scheint es ein Happy End zu geben.“(16) Carl Lewis wird Zweiter und ist bitter enttäuscht über die Niederlage. Trotzdem ist er der erste Gratulant und schüttelt dem neuen Champ manierlich die Hand und verschwindet sofort in die Kabine. Dritter wird überraschend der Brite Christie, Vierter Calvin Smith. Doch die ganz große Geschichte schreibt Ben Johnson. Wie er sich aus dem Startblock herauskatapultiert und mit vorerst kleinen, aber kräftigen Schritten beschleunigt, gleicht einer Sensation. Und es war nicht wie bei Weltklasse Zürich sechs Wochen zuvor, als Johnson auf den letzten fünfzig Metern abbaute und Lewis gewinnen lassen musste. Nein, Johnson wurde in Seoul schneller und schneller. Die anderen hatten nicht einen Hauch einer Chance gegen diesen entfesselten Johnson. Er hat sie mit seiner schieren Kraft alle niedergewalzt.
Trotz seines überragenden Siegs mischen sich in die Kommentare der sensationellen Leistung erste Fragezeichen und Gerüchte. Was macht Johnson derart überlegen? Wie ist so etwas möglich? Ben Johnson wähnt sich am Ziel seiner Träume: „Der Olympiasieg ist geschafft und jetzt mache ich mal erst zwei Jahre Pause“(17), meint Johnson auf der ersten Pressekonferenz nach dem Rennen. „Nach zwölf Jahren harter Arbeit ist es an der Zeit, mal ein bisschen kürzer zu treten.“(18) Andächtig steht Ben Johnson wenig später ganz oben auf dem Siegerpodest und lässt die kanadische Nationalhymne auf sich wirken. Im Interview unmittelbar nach der Preisverteilung antwortet Ben auf die Frage; was ihm den wertvoller sei, die Goldmedaille oder der Weltrekord? „Die Goldmedaille. Die kann Dir niemand nehmen.“(19)
Achtundvierzig Stunden später ist alles anders und das kursierende Gerücht wird zur fatalen Wahrheit. Die Meldung eines positiven Dopingbefunds Johnsons verbreitet sich wie ein Lauffeuer und erreicht Europa, als in Seoul noch fast alles schläft. Als am Morgen dann die offizielle Bestätigung mit Referenznummer