Romain Rolland. Stefan Zweig

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Romain Rolland - Stefan Zweig

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zu lassen. Alles enttäuscht ihn, was er gemeinsam mit andern schafft: das Gemeinsame wird immer trübe durch das Unzulängliche aller Menschlichkeit. Der Dreyfusprozeß wird eine politische Affäre, das Théatre du Peuple geht zugrunde an Rivalitäten, seine Dramen, die dem Volke bestimmt waren, erlöschen an einem einzigen Theaterabend, seine Ehe zerbricht – aber nichts kann seinen Idealismus zerbrechen. Wenn das gegenwärtige Leben nicht durch den Geist zu bezwingen ist, so verliert er darum nicht den Glauben an den Geist: aus Enttäuschung erweckt er sich die Bilder der Großen, die die Trauer durch die Tätigkeit, das Leben durch die Kunst besiegen. Er läßt das Theater, er läßt den Lehrstuhl, er tritt zurück aus der Welt, um das Leben, das sich den reinen Taten verweigert, in gestaltetem Bilde zu fassen. Enttäuschungen sind für ihn nur Erfahrungen, und über eine kleine Zeit baut er nun in zehn Jahren der Einsamkeit ein Werk, das wirklicher ist im ethischen Sinne als die Wirklichkeit, und das den Glauben seiner Generation in eine Tat verwandelt: den »Johann Christof«.

      Ein Jahrzehnt Stille

      Einen Augenblick lang war der Name Romain Rollands dem Pariser Publikum als der eines gelehrten Musikers, eines hoffnungsvollen Dramatikers vertraut gewesen. Dann ist er durch Jahre wieder verschollen, denn keine Stadt besitzt die Fähigkeit des Vergessens so gründlich und meistert sie so schonungslos wie Frankreichs Hauptstadt. Nie mehr wird der Name des Abseitigen genannt, nie selbst in den Kreisen der Dichter und Literaten, die doch die Wissenden um ihre eigenen Werte sein sollten. Man blättere zur Probe nach in allen den Revuen und Anthologien, in den Geschichten der Literatur: nirgends wird man Rolland auch nur verzeichnet finden, der damals schon ein Dutzend Dramen, die wundervollen Biographien und sechs Bände des »Johann Christof« veröffentlicht hatte. Die »Cahiers de la quinzaine« sind Geburtsstätte und gleichzeitig Grab seiner Werke, er selbst ist ein Fremder in der Stadt zur selben Zeit, da er ihre geistige Existenz so bildnerisch und umfassend wie kein zweiter gestaltet. Längst ist das vierzigste Lebensjahr überschritten, noch kennt er kein Honorar, keinen Ruhm, noch bedeutet er keine Macht, keine Lebendigkeit. Wie Charles Louis Philippe, wie Verhaeren, Claudel, Suarès, die Stärksten um die Wende des neunzehnten Jahrhunderts, ist er unwirksam, unbekannt auf der Höhe seines Schaffens. Sein Leben ist lange das Schicksal, das er selbst so hinreißend erzählt: die Tragödie des französischen Idealismus.

      Aber eben diese Stille ist notwendig zur Vorbereitung von Werken solcher Konzentration. Das Gewaltige braucht immer erst Einsamkeit, ehe es die Welt gewinnt. Nur jenseits des Publikums, nur in heroischer Gleichgültigkeit gegen den Erfolg wagt sich ein Mensch an ein so aussichtsloses Beginnen wie einen Giganten-Roman in zehn Bänden, der sich überdies in einer Zeit auflodernden Nationalismus gerade einen Deutschen zum Helden nimmt. Nur in solcher Abseitigkeit kann sich eine ähnliche Universalität des Wissens zum Werk entwickeln, nur die ungestörte, vom Atem der Menschen unberührte Stille es ohne Hast in vorgedachter Fülle entfalten.

      Ein Jahrzehnt ist Rolland der große Verschollene der französischen Literatur. Ein Geheimnis umgibt ihn: es heißt Arbeit. Ein dunkler Puppenzustand von Unbekanntheit umschließt jahrelang, jahrzehntelang seine einsame Mühe, der sich dann beflügelt das kraftbeschwingte Werk entringt. Viel Leiden ist in diesen Jahren, viel Schweigen und viel Wissen um die Welt, das Wissen eines Menschen, um den niemand weiß.

      Bildnis

      Zwei Zimmerchen, nußschalengroß, im Herzen von Paris, knapp unter dem Dach: fünf Stockwerke hoch schraubt sich die hölzerne Treppe. Unten donnert ganz leise wie ein fernes Gewitter der Boulevard Montparnasse . Manchmal zittert auf dem Tisch ein Glas, wenn unten der schwere »Motorbus« vorüberdröhnt. Aber von den Fenstern geht der Blick über die niederen Nachbarhäuser in einen alten Klostergarten, und im Frühling weht ein weicher Duft von Blüten in die aufgetanen Fenster. Kein Nachbar hier oben, keine Bedienung als die alte Conciergefrau, die den Einsamen vor Gästen und Besuchern schützt.

      Im Zimmer Bücher und Bücher. An den Wänden klettern sie auf, den Boden überhäufen sie, bunte Blumen wuchern sie über Fensterbrett, Sessel und Tisch, dazwischen Papiere verstreut, ein paar Gravüren an der Wand, Photographien von Freunden und eine Büste Beethovens. Nah dem Fenster ein kleiner Holztisch mit Feder und Papier, zwei Sessel, ein kleiner Ofen. Nichts in der engen Zelle, was kostbar wäre, nichts was weich zur Ruhe lüde oder zu gemächlicher Geselligkeit. Eine Studentenbude, ein kleiner Kerker der Arbeit.

      Vor den Büchern er selbst, der milde Mönch dieser Zelle, immer dunkel gekleidet in der Art eines Geistlichen, schmal, hoch, zart, das Gesicht ein wenig blaß und gegilbt, wie das eines Menschen, der selten im Freien lebt. Feine Falten unter den Schläfen, man spürt einen Schaffenden, der viel wacht und wenig schläft. Alles ist zart an seinem Wesen, das reine Profil, dessen ernste Linie keine Photographie ganz wiedergibt, die schmalen Hände, das Haar, das feinsilbern hinter die hohe Stirn tritt, der Bart, der spärlich und sanft wie ein heller Schatten über der dünnen Lippe liegt. Und alles ist leise an ihm, die Stimme, die sich nur zögernd im Gespräche gibt, der Gang, der leicht vorgeneigt, auch im Ruhenden noch unsichtbar die Linie der gebückten Arbeit nachzeichnet, die Gesten, die sich immer bändigen, der zögernde Schritt. Nichts Leiseres kann man sich denken als seine Gegenwart. Und fast wäre man versucht, dieses Sanfte seines Wesens für Schwäche zu halten oder eine große Müdigkeit, wären nicht die Augen in diesem Antlitz, klar, messerscharf vorblinkend unter dem leicht geröteten Lidrand und dann wieder sanft sich vertiefend in Güte und Gefühl. In ihrem Blau ist etwas von der Tiefe eines Wassers, das seine Farbe nur von seiner Reinheit hat (und alle seine Bilder sind darum arm, weil sie dies Auge nicht bilden, in dem sich seine ganze Seele sammelt). Das ganze feine Antlitz ist von dem Blick so belebt, wie der schwache enge Körper vom geheimnisvollen Feuer der Arbeit.

      Diese Arbeit, die unendliche Arbeit dieses Menschen im Gefängnis des Körpers, im Gefängnis des engen Raumes in all jenen Jahren, wer kann sie ermessen! Die Bücher, die geschriebenen, sind nur ihr kleinstes Teil. Alles umfaßt die brennende Neugier dieses Einsamen, die Kulturen aller Sprachen, die Geschichte, Philosophie, Dichtung und Musik aller Nationen. Mit allen Bestrebungen ist er in Verbindung, über alles hat er Aufzeichnungen, Briefe und Notizen, er hält Zwiesprache mit sich und den andern, indessen die Feder vorwärts gleitet. Mit seiner feinen aufrechten Schrift, die doch gleichzeitig mit Kraft die Buchstaben hinter sich wirft, hält er die Gedanken fest, die ihm begegnen, die eigenen und die fremden, Melodien vergangener und neuer Zeit, die er in schmalen Heften notiert, Auszüge aus Zeitschriften, Entwürfe, und sein gesparter, gesammelter Besitz an solchem selbst geschriebenen geistigen Gut ist unermeßlich. Immer brennt die Flamme dieser Arbeit. Selten gönnt er sich mehr als fünf Stunden Schlaf, selten einen Spaziergang in den nahen Luxembourg , selten kommt zu stillem Gespräch ein Freund die fünfmal gewundene Treppe empor, und auch seine Reisen sind meist Suche und Forschung. Ausruhen heißt für ihn eine Arbeit tauschen für eine andere, Briefe gegen Bücher, Philosophie gegen Dichtung. Sein Alleinsein ist tätige Gemeinsamkeit mit der Welt, und freie Stunden sind einzig jene kleinen Feste inmitten des langen Tages, wenn er in der Dämmerung auf dem Klavier Zwiesprache hält mit den großen Geistern der Musik, Melodien holend aus andern Welten in diesen kleinen Raum, der selbst wieder eine Welt des schaffenden Geistes ist.

      Der Ruhm

      1910. Ein Automobil saust die Champs Elysées entlang, seinen eigenen späten Warnruf überrennend. Ein Schrei – und der Unbedachte, der gerade die Straße überquerte, liegt unter den Rädern. Blutend, mit gebrochenen Gliedern hebt man den Überfahrenen auf und rettet ihm mühsam den Rest des Lebens.

      Nichts sagt so sehr das Geheimnisvolle im Ruhme Romain Rollands aus als der Gedanke, wie wenig noch damals sein Verlust für die literarische Welt bedeutet hätte. Eine kleine Notiz in den Zeitungen, daß der Musiklehrer an der Sorbonne, Professor Rolland, einem Unfall zum Opfer geworden sei. Vielleicht hätte auch einer oder der andere sich daran erinnert, daß ein Mann dieses Namens vor fünfzehn Jahren hoffnungsvolle Dramen und musikalische Schriften verfaßt habe und in ganz Paris, der Dreimillionenstadt, hätte kaum eine Handvoll Menschen von dem verlorenen Dichter gewußt.

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