Die Befreiung von der Geld- und Zinsherrschaft. Georg Blumenthal
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Abgesehen von den rein volkswirtschaftlichen Wirkungen, zeitigen die unberechenbaren Unregelmäßigkeiten im Geldumlauf und die damit zusammenhängenden Preisschwankungen auch fortwährend sehr gefährliche Verschiebungen zwischen Mein und Dein, zwischen Soll und Haben, zwischen Gläubigern und Schuldnern in privatwirtschaftlicher Beziehung. Alle geschäftlichen Abschlüsse und Vereinbarungen, alle Schuldverschreibungen, Lohnverträge, Pensionen, Gehaltssätze usw. lauten auf ganz bestimmte nominelle6 Geldbeträge; ihr materieller Inhalt ist aber mangels einer wirklichen Währung in keiner Weise gewährleistet, denn dazu wäre vor allem nötig, dass im Durchschnitt alle Preise und somit die „Kaufkraft“ der betreffenden nominellen Geldsummen „währen“, d. h. fest bleiben. Nur dann hätten wir eine wirkliche Währung. Bei Preissteigerungen, die in den letzten Jahrzehnten (vor dem Kriege) bereits durchschnittlich 25 Prozent betrugen und während des Krieges weit — sehr weit — darüber hinausgingen, verschiebt sich naturgemäß auch der materielle Inhalt aller Abmachungen, die auf einen festen Geldbetrag lauten. Die Preissteigerung der Ware bedeutet doch nichts anderes als ein Sinken der Kaufkraft resp. eine sogenannte „Entwertung“ des Geldes. In diesem Falle sind die Gläubiger, d. h. alle diejenigen, welche irgendeine Geldforderung haben, einfach durch die Währung um 25 Prozent (oder entsprechend mehr) ihrer Forderung betrogen, während der Schuldner in gleichem Maße im Vorteil ist. Ein verschuldeter Bauer, der bisher 1000 Zentner Kartoffeln verkaufen musste, um seinen Verpflichtungen gegen seine Gläubiger nachzukommen, braucht bei einer Preissteigerung von 25 Prozent nur noch 800 Zentner zu opfern, um dieselbe Summe bezahlen zu können. Tritt der Gläubiger nun aber seinerseits als Käufer auf, so muss er die Erfahrung machen, dass z. B. 2000 M., die er erhält, nicht mehr ausreichen, um dieselben Waren, die er vor der Preissteigerung damit erstehen konnte, zu kaufen, sondern dass er noch 500 Mark dazu legen muss. Stellt sich dagegen ein allgemeiner Preisrückgang ein, wie z. B. nach Einführung der Goldwährung in den siebziger Jahren, so ist wiederum der Gläubiger im Vorteil und der Schuldner (hier also der Bauer) im Nachteil. Sinkt z. B. der Weizenpreis von 240 Mark per Tonne auf 160 Mark, so ist doch ganz klar, dass nun der Schuldner einen entsprechend größeren Teil seiner gesamten Ernte opfern muss, um seinen nominellen Geldverpflichtungen nachzukommen. Die sogenannte „Not der Landwirtschaft“ wurde s. Zt. von den Agrariern ganz mit Recht auf die Goldwährung zurückgeführt. Ebenso verhält es sich, wie gesagt, mit allen sonstigen Abmachungen, Forderungen, Pacht- und Lohnverträgen usw. Der Beamte z. B., dessen Gehalt ebenfalls, und zwar immer auf längere Zeit im Voraus, auf einen nominellen Geldbetrag festgesetzt ist, erleidet in Zeiten allgemeiner Preissteigerung ebenfalls einen entsprechenden Nachteil, d. h., er wird durch die verminderte Kaufkraft seines Gehaltes einfach um einen manchmal recht erheblichen Teil desselben geprellt, obwohl ihm die Behörden die nominelle Summe auf Heller und Pfennig auszahlen.
Aber auch die Lohnverhältnisse aller übrigen Berufsgruppen hinken stets nur allmählich und mühsam hinter den meist sprunghaft eintretenden Preissteigerungen her. Und bis dann schließlich ein annähernder Ausgleich erzielt ist, kippt die „Konjunktur“ des betreffenden Berufszweiges inzwischen womöglich in ihr Gegenteil um.
Je größer die Preisschwankungen (nach oben oder unten) um so gefährlicher sind die Wirkungen. Der wirtschaftliche Ruin von Tausenden ist oft lediglich auf die hier angedeuteten Mängel der Währung zurückzuführen. Es kann vorkommen — und wir befinden uns, infolge des Krieges und seiner finanziellen Begleitumstände, bereits auf dem besten Wege dazu — dass sich auf diese Weise die bisherigen Schuldner allmählich in Gläubiger verwandeln und umgekehrt, die bisherigen Gläubiger zu Schuldnern werden.
Mit all diesen Unzuträglichkeiten erschöpfen sich jedoch die verhängnisvollen Nebenwirkungen unseres Geldwesens nicht. Wie ich weiterhin noch nachweisen werde, sind nicht nur die vorübergehenden Wirtschaftskrisen mit ihrem Gefolge von Arbeitslosigkeit, Elend, Verzweiflung und Verbrechen in erster Linie auf die Mängel des überlieferten Geldwesens zurückzuführen, sondern ebenso auch die Dauer-Erscheinung der Massenarmut und das in allen Kulturländern vorhandene sogenannte „Proletariat“. Ich will auf diese Frage hier noch nicht näher eingehen; alles, was ich bisher anführte, soll nur darauf hindeuten, dass hier, beim Geldwesen, welches gleichsam das „Zentral-Nervensystem der Volkswirtschaft“ darstellt, etwas nicht in Ordnung ist. Dies ist aber angesichts der ungeheuren Macht und Bedeutung des Geldwesens umso gefährlicher, als wir alle persönlich dieser Macht unterstehen und letzten Endes mit unserer ganzen Existenz von ihr abhängig sind.
Um z. B. einmal eine Kraftprobe der Macht des Geldes zu erbringen, brauchen unsere Großbanken nur 2 bis 3 Monate hindurch alle fälligen Wechsel einzukassieren und die Diskontierung neuer Wechsel zu verweigern. Bei einem jährlichen Wechselumlauf von 35 — 40 Milliarden und einem Gesamtbestande von etwa 8 Milliarden an Bargeld ist leicht auszurechnen, dass dies der Einziehung alles überhaupt im ganzen Lande vorhandenen Bargeldes gleichkäme und den völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes unbedingt herbeiführen müsste. Unseren Großbanken fehlte bisher vielleicht der Mut oder auch der Wille zu solchen Kraftproben, bei denen ihnen wohl auch die Reichsbank hindernd in den Weg treten würde. Dagegen möchte ich daran erinnern, dass z. B. der amerikanische Milliardär Morgan im Jahre 1907 ein derartiges für ihn sehr einträgliches Experiment sich geleistet hat, dessen Wirkungen wir ja bis hierher verspürt haben, sodass sogar unsere Reichsbank infolge großer Goldsendungen nach Amerika nur mit Not und Mühe die gesetzliche Dritteldeckung ihrer Banknoten aufrecht erhalten konnte.
IV. Wert oder Preis?
Über die Ursache der Störungen in der Volkswirtschaft ist nun von Berufenen und Unberufenen seit jeher viel nachgeforscht und nachgedacht worden. Aber entweder drangen alle bisherigen Forscher überhaupt gar nicht bis zum Geldwesen vor, oder aber ihre Untersuchungen verliefen trotzdem ergebnislos. Der Sumpf, in den sie schließlich alle hineingeraten, ist nämlich die sogenannte „Lehre vom Wert“, der „Wertgedanke“, das heißt, die Vorstellung, dass allen Waren, und namentlich dem Gelde selbst, ein sogenannter „Wert“ innewohnt resp. innewohnen müsse. Diese Vorstellung liegt auch den verschiedenen Währungssystemen aller Länder zugrunde.
Die Absicht, Münzen und Zetteln durch diesen Aufdruck (20, 100 oder 1000 Mark) gewissermaßen einen unveränderlichen „Wert“ zu verleihen, gelingt freilich den Zentral-Geldinstituten (auch unserer Reichsbank) bis auf den heutigen Tag nicht; ihnen allen fehlt die wissenschaftliche Grundlage für eine wirkliche zielbewusste Währungspolitik. Es nutzt auch nichts, dass man den Preis des Goldes gesetzlich auf 2790 M. per kg festgesetzt hat, denn dieser Preis ist ja ebenfalls rein nominell und je nachdem sich die Warenpreise verändern, sind 2790 M. von heute etwas anderes als 2790 M. vor einem oder vor fünf Jahren waren, d. h ihre „Kaufkraft“ ist ganz verschieden. Einen „festen inneren Wert“ gibt es eben nicht, sondern immer nur das relative Verhältnis, welches sich beim Gelde in seiner „Kaufkraft“ oder richtiger, in seinem Preise den Waren gegenüber, ausdrückt. Will man aber die sogenannte Kaufkraft des Geldes (also sein Tauschverhältnis zu den Waren) kontrollieren, so muss man sie an der für eine bestimmte Geldsumme käuflichen Warenmenge messen. Man kann dann den „Preis“ des Geldes mit Bezug auf die Ware — oder den Preis der Ware mit Bezug auf das Geld — als „hoch“, „niedrig“ oder „unverändert“ bezeichnen. Die „Währung“ hätte also in einem unveränderlichen Tauschverhältnis zwischen Geld und Ware zu bestehen; alles andere ist Unsinn.
Da nun aber mangels einer sicheren Währung die Preise allgemein schwanken, so ist auch der „Preis“ des Geldes schwankend: Sinken die Warenpreise, so ist das Geld „teuer“, d. h. man muss viel Ware für wenig Geld hergeben; wird das Geld „billig“, so braucht man nur wenig Waren für viel Geld zu geben, d. h. die Waren sind dann teuer und der „Preis“ des Geldes gesunken. Die Inschriften unserer Münzen und Banknoten sind also im Sinne einer wirklichen Währung rein nominell, von Unveränderlichkeit, von Währung keine Spur, — trotz des goldenen Fundaments.