Die blaue Hand. Edgar Wallace
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Читать онлайн книгу Die blaue Hand - Edgar Wallace страница 15
Sie überlegte sich, ob sie ihm von ihrem Fund in dem Geheimfach erzählen sollte. Er las Zweifel und Sorge in ihrem Gesicht und wiederholte seine Frage.
»Ich fand das Testament Ihrer Mutter«, sagte sie schließlich.
Er hatte sein Frühstück beendet, den Stuhl vom Tisch zurückgeschoben und rauchte. Aber die Zigarre fiel auf den Teppich, als er das hörte, und sein Gesicht wurde dunkel.
»Ihr Testament!« sagte er. »Sind Sie dessen auch ganz gewiß? Ihr Testament ist doch beim Rechtsanwalt deponiert. Es wurde vor zwei Jahren aufgesetzt.«
»Das Testament, das ich gesehen habe, wurde erst vor zwei Monaten unterzeichnet«, erwiderte sie erschrocken. »Ich hoffe, daß ich nicht, irgendein Geheimnis Ihrer Mutter verraten habe.«
»Zeigen Sie mir doch einmal dieses wertvolle Dokument.« Digby erhob sich. Er sprach abgerissen und heiser, und sie wunderte sich, was, sein Betragen so plötzlich geändert haben mochte.
Sie gingen beide zu dem schlecht eingerichteten Wohnzimmer seiner Mutter, und sie holte das Schriftstück aus dem Geheimfach hervor. Er las es sorgfältig durch.
»Die Alte ist ganz verrückt geworden«, sagte er böse. »Haben Sie es gelesen?« Er sah sie scharf an.
»Ich habe etwas darin gelesen«, entgegnete Eunice. Sie war betroffen von seiner Schroffheit.
Er las das Schriftstück noch einmal durch und sprach leise dabei.
»Wie kamen Sie darauf?«
»Ich habe es zufällig entdeckt.« Sie zeigte ihm, wie sie das Geheimfach gefunden hatte.
»Ich verstehe«, sagte Digby Groat langsam und faltete das Papier zusammen.
»Miss Weldon, vielleicht erzählen Sie mir jetzt, wieviel Sie von dem Dokument gelesen haben?«
Sie wußte nicht, was sie antworten sollte. Sie war doch eigentlich die Angestellte von Mrs. Groat und fühlte, daß es unrecht gegen die alte Frau war, deren Privatangelegenheiten mit ihrem Sohn zu besprechen.
»Ich habe etwas über ein Legat gelesen, das Ihre Mutter Ihnen ausstellte«, gab sie zu, »aber ich habe nicht genau hingesehen.«
»Sie wissen also, daß meine Mutter mir zwanzigtausend Pfund vermacht hat und den Rest einem andern?«
Sie nickte.
»Wissen Sie auch, wie dieser andere heißt?«
»Ja, es ist der Marquis von Estremeda.«
Sein Gesicht sah aschgrau aus, und seine Stimme zitterte vor Wut, die er nicht verbergen konnte.
»Wissen Sie, wie groß das Vermögen meiner Mutter ist?« fragte er.
»Nein, Mr. Groat. Ich glaube auch, daß es nicht nötig ist, mir das zu sagen; das gehört nicht zu meinen Kompetenzen.«
»Sie besitzt eineinviertel Millionen Pfund«, stieß er haßerfüllt hervor, »und mir hat sie zwanzigtausend und diesen verdammten Kasten vermacht!«
Er drehte sich plötzlich um und ging zur Tür. Eunice vermutete, was er vorhatte, lief ihm nach und packte ihn am Arm.
»Mr. Groat«, sagte sie ernst. »Sie dürfen jetzt nicht zu Ihrer Mutter gehen, das dürfen Sie nicht tun!«
Ihr Dazwischentreten ernüchterte ihn. Er trat langsam an den Kamin, steckte ein Streichholz an und entzündete vor den erstaunten Augen des Mädchens das Testament.
Als es ganz verbrannt war, zertrat er es mit den Füßen.
»Diese Sache wäre geregelt! Sie glauben, daß ich ein Unrecht getan habe?« sagte er lächelnd zu Eunice. Er war plötzlich wieder der alte. »Wie Sie schon gemerkt haben werden, ist meine Mutter nicht ganz normal. Es wäre zu viel gesagt, wenn ich sie für vollkommen verrückt erklärte. Ein Marquis von Estremeda existiert nämlich überhaupt nicht, soviel ich weiß. Es ist eine fixe Idee meiner Mutter, daß sie früher einmal mit einem spanischen Adligen befreundet war. Das ist das traurige Geheimnis unserer Familie, Miss Weldon.«
Er lachte; aber sie wußte, daß er log.
11
Die Tür zu Digby Groats Arbeitszimmer stand auf, und er konnte sehen, wie Eunice nach ihrem Zimmer ging, das im Obergeschoß lag. Er hatte fast den ganzen Nachmittag an sie denken müssen und hatte sich selbst verwünscht, daß er sich ihr von einer so schlechten Seite gezeigt hatte, denn er wollte ihr doch vor allen Dingen imponieren und gefallen. Aber vor allem ärgerte er sich darüber, daß er in seiner Wut in ihrer Gegenwart ein Dokument zerstört hatte und dadurch nun in ihrer Hand war. Wenn seine Mutter starb und man nach einem Testament forschte, wenn nun Estremeda durch irgendeinen Zufall mit Eunice bekannt wurde und sie vor Gericht als Zeugin auftrat, konnte durch ihre Aussage das frühere Testament seiner Mutter annulliert und er auf die Anklagebank gebracht werden.
Er war stets der Meinung, daß die großen Verbrecher durch Kleinigkeiten zu Fall gebracht werden. Der Verschwender, der Hunderttausende von Pfunden vergeudet, wird schließlich durch eine kleine Summe von hundert Pfund bankerott, die er nicht bezahlen kann. Und er, das Haupt der Bande der Dreizehn, der alle Spuren seiner Vergehen so meisterhaft verwischt hatte, daß die tüchtigste Polizeibehörde der Welt und die schlauesten Detektive nicht imstande waren, ihm etwas nachzuweisen, lief Gefahr, durch irgendeine Dummheit gefaßt zu werden, die er aus plötzlicher Wut oder Eitelkeit beging.
Er war jetzt noch mehr als früher entschlossen, Eunice Weldon unter seinen Einfluß zu bringen, so daß sie ihre Kenntnisse niemals gegen ihn ausnützte.
Es war eine schwere Aufgabe, die er sich stellte, denn Eunice hatte ihn selbst durch ihre Schönheit sehr fasziniert. Ihre herrliche Erscheinung und ihre ungewöhnliche Intelligenz waren Anziehungskräfte und Reize, denen er sich nicht verschließen konnte. Er wußte genau, daß sie Jim Steele öfter traf, den Mann, den er haßte, und der sein Todfeind war. Jackson hatte sie schon zweimal bei ihren Ausgängen in die Stadt verfolgt und hatte ihm berichtet, daß sie Jim im Park getroffen hatte. Und die Möglichkeit, daß Jim sie liebte, war der größte Ansporn zu all seinen niederträchtigen Plänen.
Er konnte sich durch dieses Mädchen an Jim rächen, er konnte die Frau für sich gewinnen, die Jim Steele am meisten auf der Welt liebte. Das würde eine herrliche Rache sein, dachte er, als er vor seinem Schreibtisch saß und sie behend die Treppe hinaufgehen hörte. Aber er wußte, daß er geduldig warten und vorsichtig zu Werke gehen mußte. Vor allen Dingen mußte er ihr Vertrauen erwerben. Und wenn er sein Ziel erreichen wollte, durfte er nichts davon erwähnen; daß sie Jim Steele traf. In keiner Weise durfte er sie hindern, diesen Mann zu sehen, und ebenso mußte er alles vermeiden, was ihr den Eindruck geben konnte, daß er sich für sie interessierte.
Er hatte nicht mehr versucht, seine Mutter zu sprechen. Wie ihm die Krankenschwester erzählt hatte, schlief sie schon den ganzen Nachmittag. Er fühlte, daß er auch in diesem Falle nur mit Geduld weiterkommen würde. Beim Abendbrot erwähnte er Eunice gegenüber noch einmal die Szene im Wohnzimmer seiner Mutter.
»Sie müssen denken, ich sei ein rücksichtsloser Mensch, Miss Weldon«, sagte er; »aber Sie wissen nicht, wie ich durch die vielen Dummheiten meiner Mutter mit der Zeit verärgert und