Grossfuss. Edgar Wallace
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Ein sorgfältig zusammengerollter Regenschirm hing über seinem Arm. Als er die Treppe heraufkam, war sein Gesicht von Sorgen umwölkt.
»Hallo, Ferraby«, sagte er, als er den jungen Mann sah, »wie ich höre, ist Ihr Mann freigekommen?«
»Böse Nachrichten verbreiten sich schnell«, sagte Jim düster. »Mein Vorgesetzter ist wütend darüber!«
»Das glaube ich wohl.« Ein feines Lächeln huschte über Cardews Gesicht. »Ich traf eben Jebbings, den Geheimrat aus dem Finanzministerium. Er sagte ... Ach, es ist ja gleich, was er sagte ..., ich will keinen Streit zwischen Beamten verursachen. Guten Morgen, Miss Leigh! Liegt etwas Dringendes vor? Nein? Mr. Ferraby, darf ich Sie bitten, näher zu treten?«
Jim folgte dem Anwalt in das vornehm eingerichtete Büro. Cardew schloß die Tür hinter ihm, öffnete eine Zigarrenkiste und reichte sie seinem jungen Kollegen.
»Zur Überführung von Verbrechern haben Sie wenig Talent«, sagte er mit einem etwas spöttischen Lächeln. »Und aus gesellschaftlichen und finanziellen Gründen brauchen Sie ja keinen Beruf auszuüben. Ich würde mir an Ihrer Stelle keine Sorgen über den Misserfolg machen. Ich interessiere mich natürlich für den Fall, weil Mr. Stephen Elson mein Nachbar ist – ein etwas hochfahrender Amerikaner, dem es an Manieren fehlt. Aber im Grunde genommen hat er ein gutes Herz, wie man mir sagt. Er wird natürlich ärgerlich sein.«
Jim schüttelte hilflos den Kopf.
»Bei mir muß doch irgendwo eine Schraube los sein«, erklärte er verzweifelt. »Wenn ich in meinem Büro sitze, sind meine Sympathien stets auf sehen des Gesetzes und der Ordnung, und ich freue mich über jeden Verbrecher, der durch meine Beweisführung gehängt wird. Aber wenn ich vor Gericht auftrete, arbeitet mein Verstand mit doppelter Anstrengung, um Entschuldigungsgründe für den Verbrecher zu finden – Entschuldigungsgründe, die ich selbst für mich vorbringen würde, wenn ich in der Lage des Angeklagten wäre.«
Mr. Cardew sah ihn mißbilligend an.
»Wenn aber ein Staatsanwalt vor Gericht sich erhebt und die Unfehlbarkeit des Fingerabdrucksystems bezweifelt –«
»Habe ich das getan?« fragte Jim und errötete schuldbewußt. »Großer Gott, ich scheine die Sache vollständig verfahren zu haben!«
»Das ist auch meine Ansicht. Trinken Sie so früh am Morgen Portwein?« Als Jim ablehnte, öffnete Cardew eine Schranktür, nahm daraus eine dunkle, staubige Flasche, stellte vorsichtig ein Glas auf den Tisch und füllte es mit einem prachtvoll rubinroten Wein.
»Ich habe noch ein anderes Interesse an Sullivan«, fuhr Cardew fort. »Wie Sie vielleicht wissen, beschäftige ich mich mit Anthropologie. Ich schmeichle mir, daß ein ausgezeichneter Detektiv an mir verlorengegangen ist. Wenn man die Männer sieht, die in hervorragenden Stellen im Polizeipräsidium sitzen, möchte man das ganze System reorganisieren, damit einmal Leute von reicher Erfahrung und Bildung ihr Talent zeigen könnten. In meinem Bezirk ist zum Beispiel ein Beamter, der einfach ...«
Die Worte fehlten ihm. Er zuckte nur die Schultern. Jim, der den Oberinspektor Minter kannte, unterdrückte ein Lächeln. Es war allgemein bekannt, daß Super die gebildeten und theoretisch arbeitenden Amateurdetektive vom Grund seiner Seele aus verachtete. Seine Einstellung war ungefähr die eines guten Handwerkers einem Künstler gegenüber. Bei einer Gelegenheit, bei der es sich um Anthropologie handelte, war er sogar sehr ausfallend geworden. Mr. Cardew nannte sein Benehmen tölpelhaft und bäurisch.
»Herr, Sie sind kindisch!« hatte Super ihn damals angefahren, als er leise andeutete, daß eine gebrochene Stimme und große, harte Augen eine bestimmte verbrecherische Anlage verrieten.
Jim wunderte sich und war neugierig, aus welchem Grund Cardew ihn plötzlich und unerwartet in sein Privatbüro einlud. Es war sein erster Besuch hier, obgleich er den Anwalt bereits seit fünf Jahren kannte. Daß der Aufforderung etwas Besonderes zugrunde liegen mußte, war ganz klar, das ging schon aus dem Benehmen Cardews hervor. Er war nervös und schien offenbar Sorgen zu haben. Mit unentschlossenen Schritten ging er in dem Raum auf und ab und machte ab und zu halt, um ein Schriftstück auf dem Pult geradezurücken oder einen Stuhl anders zu stellen.
»Während ich zur Stadt fuhr, habe ich dauernd an Sie gedacht«, begann er plötzlich. »Ich habe mir überlegt, ob ich Sie um Rat fragen soll – Sie kennen meine Haushälterin Hanna Shaw?«
Jim erinnerte sich sehr gut an die böse dreinschauende Frau, die nur wenig sprach und sich nicht die mindeste Mühe gab, ihre Feindschaft gegen Super zu verheimlichen, wenn ihn jemand erwähnte.
»Sie mögen sie nicht?« fragte er. »Sie hat sich nicht nett gegen Sie benommen, als Sie das letzte Mal zu mir kamen. Mein Chauffeur, der gerne klatscht, erzählte mir, daß sie Sie angefahren hat. Zweifellos ist sie bissig und mürrisch und eine unangenehme Person; aber ich bin sonst sehr zufrieden mit ihr. Überdies ist sie sozusagen das Vermächtnis meiner verstorbenen Frau. Sie hat sie aus einem Waisenhaus zu sich genommen, als sie noch ein Kind war, und Hanna ist in meinem Haus großgezogen worden. Ich möchte sie fast mit einem Terrier vergleichen, der mit Ausnahme seines Herrn alle Leute beißt.«
Er zog seine Brieftasche heraus, öffnete sie und entnahm ihr einige Papiere, die er auf dem Tisch ausbreitete.
»Ich ziehe Sie ins Vertrauen«, sagte er. Er schaute noch einmal nach der geschlossenen Tür. »Bitte, lesen Sie dies.«
Es war ein gewöhnliches Blatt ohne Adresse, Datum oder irgendwelche Oberschrift. Nur drei handgeschriebene Zeilen standen darauf:
»Ich habe Sie zweimal gewarnt.
Dies ist das letzte Mal.
Sie haben mich zur Verzweiflung gebracht.«
Das Schriftstück war mit ›Großfuß‹ unterzeichnet.
»Großfuß? Wer ist das?« fragte Jim, als er es noch einmal durchlas. »Ihre Haushälterin ist demnach bedroht worden? Hat sie Ihnen das gezeigt?«
»Nein, es kam auf sonderbare Art in meinen Besitz. Am Ersten jeden Monats bringt mir Hanna die Haushaltsrechnung und legt sie auf das Pult in meinem Arbeitszimmer. Ich schreibe dann die Schecks für die verschiedenen Kaufleute aus. Sie hat die Angewohnheit, die Rechnungen vorher in ihrer Handtasche mit sich herumzutragen und sie erst im letzten Augenblick zusammenzusuchen. – Dieses Schreiben habe ich in einer zusammengefalteten Rechnung des Kolonialwarenhändlers gefunden. Sie muß es in der Eile mit den anderen Papieren aus ihrer Tasche genommen haben, ohne zu merken, daß sie mir einen Privatbrief gab.«
»Haben Sie mit ihr gesprochen?«
Mr. Cardew zog die Stirn in Falten und schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er zögernd. »Das tat ich nicht. Ich habe ihr aber unter der Hand zu verstehen gegeben, daß sie mich ins Vertrauen ziehen soll, wenn sie jemals in Sorge oder Unannehmlichkeiten kommt. Aber Hanna hat – ich kann keinen anderen Ausdruck dafür finden –, sie hat mich angeknurrt. Es war geradezu unverschämt.« Er seufzte schwer. »Ich kann neue Gesichter nicht leiden, und es würde mir leid tun, wenn ich Hanna verlieren müßte. Wenn sie sich anders betragen hätte, wüßte sie natürlich von meiner Entdeckung. Und um vollständig offen zu sein, ich fürchte mich, ihr zu sagen, daß ich einen ihrer Briefe habe. Wir hatten eine ziemlich ernste Auseinandersetzung wegen eines